Was ist eine Band? Eine Gruppe von Freunden, die an verschiedenen Orten der Welt leben, medial Ideen austauschen, ab und an einander sehen, etwa bei Kunstvernissagen oder Modenschauen, sowie schlussendlich auch im Studio, in das sie, je nach Bedarf, noch andere Talente einladen. Nicht gerade Rock and Roll, diese Definition. Mancher mag da an Synthiepop-Bands der frühen 80er wie Heaven 17 denken. Deren coole Pose als Verwalter ihrer Sounds war jedoch noch arg durch die technischen Möglichkeiten ihrer Zeit eingeschränkt. Gleiches gilt Mitte der 80er für das M-Base-Jazz-Kollektiv, dessen Musiker einander Disketten schickten – auf dem Postweg.
Leben lässt sich dieses Bandverständnis, das gewissermaßen den Text eröffnet, erst heute, und sein Ideal verkörpert das Quartett Future Brown. Für alle vier war es ein weiter Weg hin zu den Zentren der Popkultur New York, Los Angeles und Berlin, in denen sie heute leben. Ihre Eltern kommen aus Indien, dem Iran, Kuwait, Puerto Rico, der Dominikanischen Republik und den USA. Dabei bedienen sie keinesfalls Underdog-Pop-Klischees. Sie sind polyglotte Hipster. Asma Maroof und Daniel Pineda erfinden als DJ-Team Nguzunguzu futuristische Clubmusik, Jamie Imanian-Friedman betreibt das Label Lit City Trax, und der ironisch dekonstruierte Exotismus von Fatima Al Qadiris Album Asiatisch war 2014 der Favorit vieler Jahrescharts.
Was liegt also näher als die große Fusion im neuen Freiraum? Nicht als weltmusikalisches Miteinander im Sozialen, sondern als Melange der zusehends weltweit lokal entstehenden, aber medial verknüpften Clubsounds. So hören wir die digitalen Weiten des Dubstep zum Rap diverser Gäste, wir kebbeln uns mit aggressiven Grime Anklängen zu brasilianischen Baile-Funk-Sounds und verknoten die Füße mit Chicago Footwork Beats. Das düstere No Apology beeindruckt mit Dancehall-Elementen, weiter geht die Reise ins Ambiente eines Latin-R&B-Clubs und von dort aus nach London, zum lichten britischen Modern Soul von Danger Zone. Neben den beiden Stücken, auf denen die enorm talentierte Tink rappt, ist der Song der Höhepunkt des Albums.
Das letzte bisschen Sorgfalt
Leider fehlen in diesem Stilmix – anders als zuletzt zum Beispiel in FKA twigs Welt aus R&B und Gothic – die Reibungspunkte. Oder ist es das letzte bisschen Sorgfalt im Songwriting, das 1990 das sehr ähnlich funktionierende Debüt von Massive Attack weit über den Status einer cleveren Melange erhob? Dafür verzichtet Future Browns Ansatz auf stylisch knisternde, historisierende Samples. Ihre Musik hat die Geschichte noch vor sich. Nichts erscheint hier in reiner Form, alles bleibt verfügbares Material, zusammengetragen aus sämtlichen Ecken. Die Welt ist ihr Melting Pot.
Vergleichweise klein ist der Melting Pot in dem über Jahrhunderte hinweg jene Musik wuchs, an deren Ende Future Brown nun warten: Pop als Resultat musikalischer Kommunikation der in die USA Eingewanderten und Verschleppten. Deren Urspünge erlangten in den vergangenen Jahren neue Popularität. Doch nur wenige Schwarze beteiligten sich am Folkrevival. Eine kulturelle Vergangenheit, voll der Erinnerung an Unterdrückung will eher überwunden, denn gepflegt werden. Eine Ausnahme waren die Carolina Chocolate Drops, sie ergriffen nicht nur Banjo und Fiddle, sondern kleideten sich wie Photos von 1910 entstiegen. Liebevoll und differenziert zelebrierten sie die ganze Bandbreite von Jug Band Music über Blues und Country sowie afrokaribische Songs bis hin zu frühem Jazz, was ihnen 2010 gar einen Grammy bescherte.
Ein Zufall nur, dass Tomorrow is My Turn, das erste Soloalbum ihrer Sängerin Rhiannon Giddens, nun fast im selben transparent-matten Braun gehalten ist wie die erste Single von Future Brown. Auch Giddens will sich Festlegungen entziehen. Sie trägt nun Songs von Elisabeth Cotten bis Dolly Parton vor, im eleganten Kleid. Eine Geste der Distanz, verstärkt noch durch ihre gewaltige Stimme, wenn sie Last Kind Words deklamiert und bei O’ Love is Teasin’ gar britischen Folk interpretiert. Alles gelingt unter Produzentenlegende T-Bone Burnetts Ägide formvollendet, aber allein bei dem aus Nina Simones Repertoire bekannten Tomorrow is My Turn (geschrieben von Charles Aznavour) entrinnt Giddens dem kalkulierbaren Gestus, den eine zu mächtige Musikgeschichte einfordert. Immerhin: Hier verwaltet diese Geschichte einmal nicht ein weißer Mann.
Wo die Echos der Vergangenheit Giddens nicht freigeben wollen, muss Future Browns Entwurf metro-urbanen Hipstertums den Fallen der Beliebigkeit entkommen. Ihre Stärke ist der Diskurs als Basis ihrer musikalischen Fusion, doch das Ergebnis lässt sich noch allzu einfach mit bekannten Etiketten versehen. So mag die Geschichte US-amerikanisch geprägter Popmusik zwar langsam zu Ende erzählt sein, sich ihrer zu entledigen vermögen aber weder Rhiannon Giddens noch Future Brown, eher im Gegenteil. Die Zukunft wartet noch.
Alben
Future Brown Future Brown Warp 2015
Tomorrow is My Turn Rhiannon Giddens Nonesuch / Warner 2015
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