Offener Leserbrief an den vorwärts und Kay Walter

Links? Sozialdemokratisch? Linke Mehrheiten ächten, dreiste Dolchstoßlegenden stricken und vieles mehr lässt sich im Kommentar "Wahl in Frankreich: Warum Putin-Freund Mélenchon nicht Premier wird" von Kay Walter erbaulich begutachten: darauf eine notwendige Replik.

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Ihre Freitag-Redaktion

Sehr geehrte Vorwärts-Redaktion, sehr geehrter Herr Walter,

im Folgenden einige Anmerkungen zu einem Ihrer Artikel.

Ihr heutiger [13.6.22] Artikel: https://www.vorwaerts.de/artikel/wahl-frankreich-putin-freund-melenchon-premier

"Wahl in Frankreich : Warum Putin-Freund Mélenchon nicht Premier wird"

besticht nicht nur durch die grob fahrlässig tendenziöse Überschrift und enthaltene Unterstellung, sondern stimmt auch wunderbar auf den Rest Ihres denkfaulen Verrisses ein.

Doch zunächst einige anerkennende Worte:
Mit der Diagnose des demokratischen Desasters hinsichtlich der Wahlbeteiligung im ersten Rundgang haben sie natürlich recht. Dies gilt es klar zu markieren. Auch Ihre Erklärungen des Wahlsystems Frankreichs, Ihre Kritik an diesem, sowie Erklärungen seiner historischen Hintergründe sind für die geneigte Leser*innenschaft entweder lehrsam oder hilfreiche Wiederholung. Auch der positiven Einschätzung der Niederlage des rechtradikalen und rechtsextremen Lager schließe ich mich an.

Bereits im ersten Absatz werfen Sie allerdings über Ihre Apposition direkt Mélenchon mit Le Pen in einen Topf. Das mag noch bei Leser*innen, denen die französische politische Landschaft fremd ist, funktionieren, aber jedem, der auch nur ein paar substanzielle Artikel zu dem Thema gelesen, oder sich sonstig informiert hat, als tendenziös aufstoßen. Sei's drum.

Mit ihrer wiederholten (Bildunterschrift plus 1. Absatz) Formulierung Mélenchon habe sich der Wahl nicht *gestellt*, stellen Sie, wenn überhaupt, eines heraus: Ihren Willen zur schlecht getarnten Diskreditierung. Sie substanzialisieren auch die Gründe für Mélenchons Entscheidung nicht und verlassen Sich auf die affektive Wirkung Ihrer "Rhetorik".

Absolut undurchsichtig ist dann der geneigten Leser*inneschaft, wie Sie es dann - ohne Ihre eigenen Trapezkünste und Drahtseilakte zu bemerken -, schaffen sowohl genug Redseligkeit aufzubringen, um "Mélechon" linkshegemoniales Genie zu attestieren, als auch gleichzeitig abzusprechen in irgend einer Weise links zu sein. Wohin die Nadel ihres eigenen politischen Kompasses deutet, ist dann auch am besten mit Ihren eigenen Worten in Frage gestellt: "Was an seinem Programm links sein soll, ist inhaltlich nicht erklärbar, ja nicht einmal auffindbar".

Wie Sie auf die Idee kommen, ausgerechnet den mit seiner Politik krachend gescheiterten ancién Hollande für politische Scharfsicht und prognostische Kraft in causa Mélenchon/Macron ins Boot zu holen, bleibt außerhalb eines infantilen Autoritätsarguments im vorgeblich "sozialdemokratischen" Lager mehr als nebulös.

Wären Sie an einem inhaltlichen Diskurs und nicht an Diskreditierung interessiert, würden Sie sich doch einer Gegenüberstellung der Positionen Mélenchons und Macrons (möglicherweise sogar unter Einbeziehung der tollwütigen Kommentare Hollandes) stellen, anstatt in Ihrer gut betuchten Pariser Wagenburg "liberaldemokratische" Affekte zu bespielen, doch Obacht geneigte Leser*innenschaft: "Aber exakt das ist Ziel des begnadeten Volkstribuns".

Trotz der zweifelsfrei positiven Aspekte Ihres Diskursbeitrages, ist das Résumé seines Effektes für die soziale Demokratie in toto leider erneut bestens von Ihnen vorformuliert: "Trotzdem ist das alles nicht gut. Weder für die Linke, noch für die französische Demokratie".

Hochachtungsvoll,

Patrick Huttel

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Patrick Huttel

Beendet seinen Master in Politischer Theorie (Frankfurt a.M./Darmstadt) derzeit in Paris.

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