Keine Almosen

Zukunft Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens verharren in der Logik des Kapitalismus – anstatt ihn abzuschaffen
Ausgabe 21/2017

Wenn du dein Produkt verkaufst, bleibst du trotzdem du selbst. Aber wenn du deine Arbeitskraft verkaufst, verkaufst du dich selbst. Du verlierst die Rechte von freien Menschen und wirst zu einem Vasallen eines gigantischen Apparats der Geldaristokratie, die jedem mit der Auslöschung droht, der ihr Recht zur Versklavung und Unterdrückung in Frage stellt. Diejenigen, die in den Fabriken arbeiten, sollten diese auch besitzen.“

Das forderten 1840 die Lowell Mill Girls, geknechtete Arbeiterinnen in den Textilfabriken der USA. Solche Rufe nach Freiheit sind heute kaum noch zu hören. Viele sind inzwischen der Eschatologie des Kapitalismus verfallen, dem Glauben an die heilbringende Kraft der freien Märkte. Der Wirtschaftsguru John Maynard Keynes prophezeite 1930, „dass Gier ein Laster wird, das Verlangen von Wucherzinsen ein Vergehen, die Liebe zum Geld verächtlich. Wir werden wieder diejenigen ehren, die uns lehren, der Stunde und dem Tage tugendhaft und gut gerecht zu werden, jene köstliche Menschen, die zu einem unmittelbaren Genuss der Dinge fähig sind, die Lilien des Feldes, die sich nicht mühen und die nicht spinnen. Aber hütet euch! Diese Zeit ist noch nicht gekommen. Gier, Wucher und Vorsicht müssen noch etwas länger unsere Götter bleiben. Denn nur sie können uns durch den Tunnel ökonomischer Notwendigkeit ans Tageslicht führen.“

Die Botschaft Keynes’ mutet religiös an: Nehmt Ausbeutung und Entbehrungen auf euch, plündert den Planeten und eure Mitmenschen aus, dann wird bald die Erlösung kommen – und die ebenfalls von Keynes prophezeite 15-Stunden-Woche für alle. Zwar ist Kapitalismuskritik spätestens mit der Krise seit 2008 wieder salonfähig geworden. Doch die Eschatologie des Kapitalismus ist damit keineswegs überwunden: „Es ist inzwischen einfacher, sich das Ende der Welt vorstellen als das Ende des Kapitalismus“, klagt der US-Kulturtheoretiker Fredric Jameson.

Erlösungsprophezeiung

In aller Munde ist ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), dessen Fürsprecher dieser eschatologischen Erlösungsprophezeiung erliegen: Wenn das BGE erst einmal Wirklichkeit ist, dann werden wir alle ein unbeschwertes Leben führen. Aber man sollte auf seine Wünsche aufpassen, sie könnten wahr werden: Finnland (Freitag 01/2017) und Brasilien experimentieren mit dem BGE, Milliardäre wie Bill Gates fordern es; mit dem Bündnis Grundeinkommen wurde nun sogar eine Bundespartei gegründet. Und alle so: yeah!

Wo bleibt das Misstrauen, wenn sogar der Vater des Neoliberalismus, Milton Friedman, von einem Grundeinkommen träumte? Wo bleibt der Argwohn, wenn Staaten als Hofdiener des Kapitals auf einmal Almosen verteilen sollen? Zugegeben: Es ist verlockend, jeden Monat einfach 500 oder 1.000 Euro zu bekommen. Und ja, das Existenzrecht muss definitiv von der Arbeit entkoppelt werden, zumal die Lohnarbeit angesichts der Automatisierung ohnehin schwindet, Erfolg meist von sozialer Herkunft abhängt und ein DAX-Vorstand auf einen durchschnittlichen Stundenlohn von 5.000 Euro kommt.

Die Apologeten des BGE sind in der Logik des Kapitalismus gefangen. Sie begreifen nicht, dass man die Eigentumsverhältnisse verstehen und verändern muss, will man die Gesellschaft verstehen und verändern. Die Kritiker des BGE fragen meist nur, ob die Menschen dann nicht stinkfaul werden – ach, die meisten wissen sich schon zu beschäftigen. Oder ob das finanzierbar ist – sicher, wenn man Steueroasen austrocknet. Unter den Tisch fällt dabei völlig, dass auch eine Welt des BGE eine kapitalistische Welt ist. Eine Welt mit Ausbeutung, Lohnarbeit, Rassismus, Patriarchat und Umweltzerstörung. Eine Welt, in der ein einziger Mensch, Bill Gates, über 45 Milliarden US-Dollar auf seinem Konto hat, während über eine Milliarde Menschen hungern. Eine Welt, in der sich der Reichtum der wenigen auf der Armut der vielen gründet. Warum sollte man diesen Großverdienern und Millionären bedingungslos noch weiteres Geld in den Rachen werfen?

Es scheint, als müsste man den Befürwortern des BGE noch einmal klarmachen, was eigentlich Kapitalismus bedeutet. Ray Kroc, der Gründer von McDonald’s, erklärt es uns: „Wenn irgendeiner meiner Konkurrenten am Ertrinken wäre, dann würde ich ihm einen Schlauch in den Mund stecken und das Wasser aufdrehen. Das ist ein Kampf: jeder gegen jeden. Ich werde sie töten, und ich werde sie töten, bevor sie mich töten.“ Anders formuliert: Auch in einer Welt mit BGE werden die Leute ertrinken. Denn es gibt – quasi per Definition – keine Almosen im Kapitalismus. Wenn Staaten tatsächlich ein BGE einführen sollten, dann nur, um den ohnehin geschrumpften Sozialstaat verschwinden zu lassen.

Der Profit beruht im Kapitalismus auf Knappheit: Im Gegensatz zu einem Apfel wächst eine Goldmünze nicht an Bäumen, deshalb ist sie knapp und damit teuer. Ein Gemälde von Picasso ist einmalig, also äußerst knapp und damit sehr teuer. Und auch das Geld ist knapp, die Armen und Ärmsten wissen das allzu gut. Könnte der Staat jedem Bürger eine Goldmünze und einen Picasso pro Monat schenken, würden diese Dinge sofort an Wert verlieren, weil sie nicht mehr knapp sind. Insofern würde wohl auch ein BGE zu einer Geldentwertung und damit Preissteigerung führen. Mit einem BGE könnte man problemlos einen gigantischen, staatlich subventionierten Niedriglohnsektor rechtfertigen. Obendrein kann man die Forderung nach einem BGE nur an einen Nationalstaat stellen: Immigranten und Geflüchtete ohne Staatsbürgerschaft blieben außen vor, was zu sozialen Verwerfungen führen würde. Außerhalb unserer Grenzen würde das Elend einfach weitergehen: Im globalen Süden schuften die outgesourcten Sklaven des 21. Jahrhunderts täglich 16 Stunden in giftgeschwängerten Fabrikhallen, um unsere Smartphones, Spielsachen und Klamotten herzustellen – mit oder ohne BGE.

Ideen zum Kuscheln

Ein BGE wäre einzig in einer Welt wünschenswert, in der die Großeigentümer enteignet sind und alles allen gehört. Aber da sind wir schon am springenden Punkt: Eine solche Welt wäre eben nicht mehr kapitalistisch. Anders formuliert: Die Befürworter eines BGE müssen sich darüber klar werden, dass sie innerhalb der Logik des Kapitalismus denken – sie wollen ihn nicht mit einer Revolution abschaffen, sondern mit einer Reform bestätigen. „Realpolitik treiben, heißt, an Bestehendes anbauen, heißt, Verzicht leisten auf Abbruch und Erneuerung, heißt, das Dach flicken, wo der Unterbau morsch ist“, notierte Erich Mühsam. Reformen tun not, aber sie werden das kapitalistische System nicht auf links drehen, erst recht nicht ein BGE.

Wenn wir uns das Ende des Kapitalismus vorstellen wollen, sollten wir uns von der plüschigen Wohlfühlwelt des BGE verabschieden. Die Welt gehört niemandem – und deshalb allen. Die Produktionsmittel – Anbauflächen, Rohstoffe, Grundstücke, Infrastruktur, Kraftwerke, Maschinen, Fabriken, Roboter, Rechenzentren, Server – müssen zurück in die Hände der Allgemeinheit. Dann kommen eine 15-Stunden-Woche und das Grundeinkommen ganz automatisch. Wir brauchen Genossenschaften, Kollektivbetriebe und Commons – hier liegt der Schlüssel zur Erlösung, und nicht im BGE.

Vor allen sozialpolitischen Veränderungen steht der Bewusstseinswandel. Und deshalb ist es wichtig, offen über sozialpolitische Utopien wie den Anarchismus, Syndikalismus, Neozapatismus oder Kommunismus – als freiheitliche Utopien, nicht als verklärende Vorstellung staatlicher Diktatur – zu diskutieren. Nur mit solchen Ideen und Erzählungen können sich die Menschen überhaupt daran erinnern, dass eine andere Welt möglich, dass der Kapitalismus alles andere als alternativlos ist. Trotz oder gerade wegen dessen jahrhundertelanger Unüberwindbarkeit müssen wir solche Utopien am Leben halten.

Kuschelideen wie das BGE zementieren diesen Zustand und segnen damit die Ausbeutung von Mensch und Natur geradezu ab. Wir sollten nicht mit einem BGE in der Denke des Kapitalismus verharren, sondern wieder mehr Utopie wagen. Oder, wie die spanische Freiheitskämpferin Lucía Sánchez Saornil hinsichtlich ihrer Utopien zu sagen pflegte: „Wir werden sie erbauen, die umgekehrten Pyramiden!“

Patrick Spät hat zuletzt Die Freiheit nehm ich dir. 11 Kehrseiten des Kapitalismus veröffentlicht (Rotpunktverlag 2016, 184 S., 9,90 €)

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