2009: Und raus bist du

Zeitgeschichte Die Pleite von Karstadt und Quelle wird zum größten Firmencrash der Bundesrepublik, ausgelöst durch den Umbruch im Einzelhandel und ein miserables Management
Ausgabe 24/2018
Cheeeeese! Thomas Middelhoff 1999 bei der Karstadt-Quelle-Fusion
Cheeeeese! Thomas Middelhoff 1999 bei der Karstadt-Quelle-Fusion

Foto: Ulrich Baumgarten/Getty Imagess

Die Fakten sind schnell erzählt: Am 9. Juni 2009 muss die Arcandor AG, ein Konzern mit den Geschäftsfeldern Einzelhandel, Versandhandel und Touristik, Insolvenz anmelden. Es ist die größte Firmenpleite der Nachkriegszeit: Im Geschäftsjahr 2008 noch hat die Arcandor AG mit 86.000 Mitarbeitern fast 20 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet – jetzt belasten den bankrotten Konzern 50.000 Gläubiger und 19 Milliarden Schulden. Doch „Arcandor“ ist eigentlich nicht Arcandor, erst im Jahr 2007 hat Firmen–Chef Thomas Middelhoff, vormals Vorstandschef bei Bertelsmann, die Umbenennung durchgesetzt. Arcandor ist eigentlich Karstadt, die Kaufhauskette, und Quelle, der Versandhandel, beides Schwergewichte der westdeutschen Wirtschaftsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg, dazu noch die Touristikfirma Thomas Cook. Als Middelhoff bekannt gibt, dass die Umbenennung in Arcandor AG nun abgeschlossen sei, fügt er noch hinzu, er werde Arcandor „nach erfolgreicher Sanierung“ 2008 zum Jahresende verlassen. Middelhoff bleibt länger, bis Februar 2009. Vier Monate später sind Karstadt und Quelle pleite.

Middelhoff ist nur eine der Schlüsselfiguren der Arcandor-Pleite, allerdings eine besonders schillernde. Inzwischen schreibt er laut dpa an einem Wirtschaftskrimi und gibt den geläuterten Knastbruder, der wegen Untreue und Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Arcandor zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, davon 18 Monate im offenen Vollzug hinter sich gebracht hat, bevor er vorzeitig entlassen wird.

So endete, was 1881 als „Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt“ in Wismar begann. Rudolph Karstadt, der Sohn eines Färbermeisters, entwickelte die Idee eines Warenhauses, das anstatt des sonst üblichen Feilschens billige Festpreise anbot. Damit hatte er rasch Erfolg, erwarb und gründete immer neue Filialen, bis Karstadt 1930 Europas größte Kaufhauskette war. Karstadt überlebte die Weltwirtschaftskrise und die 1930er Jahre, als die NSDAP „Warenhäuser“ als jüdische Erfindung denunzierte und als Bedrohung des „deutschen Mittelstandes“ angriff. Das Unternehmen passte sich an, „arisierte“ sich selbst und wuchs nach dem Krieg dank des Wirtschaftswunders derart, dass Karstadt 1977 die Neckermann Versand AG und schließlich 1994 seinen Kaufhauskonkurrenten Hertie, den Eigentümer des KaDeWe, schlucken konnte.

2009 endete auch, was als zweiter Unternehmensteil 1922 als „Großhandel mit Kurzwaren“ in Fürth in Mittelfranken anfing, und dann ab 1927 zum Versandhaus Quelle wurde. Gustav Schickedanz, der Sohn eines Werkmeisters und einer Haushaltsgehilfin, hatte das Geschäftsmodell des Versandhandels aus den USA übernommen und in Deutschland eingeführt. Er war damit erfolgreich, dass die durch schiere Menge möglichen Rabatte an die zumeist ländlichen Endkunden durchgereicht wurden, die per Post Bestellungen aufgeben konnten, wenn sie sich in eine Kundenkartei eintragen ließen.

Das Quelle-Geschäft florierte in den „Goldenen Zwanzigern“, genauso in den 1930ern, da Schickedanz schon 1932 in die NSDAP eintrat, und sein Unternehmen später durch zahlreiche „Arisierungen“ vergrößerte. Nach dem Krieg stand Schickedanz kurze Zeit unter Berufsverbot, aber schon 1949 wurde er als bloßer „Mitläufer“ eingestuft und erhielt sein Vermögen aus der Treuhänderschaft zurück. Der Rest ist Wirtschaftswundergeschichte: Als Gustav Schickedanz 1977 starb, galt in Deutschland jeder zweite Haushalt als Quelle-Kunde, der Bestellkatalog, 930 Seiten dick, wurde an 7,5 Millionen Haushalte verschickt.

1999 fusionieren Karstadt und Quelle zu KarstadtQuelle, ab 2004 tritt die Krise des Unternehmens offen zu Tage: Der Konzern macht 1,6 Milliarden Euro Verluste, angekündigt wird, 8.500 Mitarbeiter zu entlassen und mehr als 70 Warenhäuser zu verkaufen. Bis zur Pleite wird ein Rettungskonzept an das nächste anschließen, immer neue Sanierungspläne fordern immer neue Zugeständnisse von den Beschäftigten, zum Schluss auch von den Gläubigern.

Was genau KarstadtQuelle das Genick gebrochen hat, ist schwer zu sagen: Eigentlich, möchte man meinen, hätte der Umstieg vom analogen Versandhandel zum Internetgeschäft doch auf der Hand gelegen, wie ihn etwa OTTO, der Quelle-Konkurrent, vollzogen hat, der sich am Ende die Namensrechte sichert und bis heute weiternutzt. Quelle wie auch Karstadt erweisen sich als überfordert, mit den Umbrüchen im Einzelhandel Schritt zu halten: Zu groß das Sortiment, zu altbacken die Einrichtung. Man wird zum Relikt aus Wirtschaftswunderzeiten, auch wenn der Todesstoß von der Unternehmensführung kommt, die so katastrophal agiert, dass es Arcandor in den Ruin treibt, während die Manager sich selbst bereichern.

Veranschaulichen lässt sich diese Lesart der Pleite an Madeleine Schickedanz, der Tochter des Unternehmensgründers Gustav Schickedanz, der zuletzt ein Viertel der Arcandor-Aktien gehören. Geboren 1943, hat sie nie im Unternehmen gearbeitet, sondern sich von ihren jeweiligen Ehemännern vertreten lassen – ihnen wie dem Vermögensverwalter Josef Esch und der Privatbank Sal. Oppenheim blind vertraut. Dies auch dann noch, als letztere bei dubiosen Immobiliengeschäften Karstadt-Kaufhäuser kaufen, um sie zu überhöhten Preisen an Karstadt zurückzuvermieten. Sal. Oppenheim, Deutschlands älteste und damals Europas größte Privatbank, gerät durch die Arcandor-Pleite in eine solche Schieflage, dass sie sich von der Deutschen Bank schlucken lassen muss. Auch gegen die Manager von Sal. Oppenheim folgen Gerichtsverfahren, in denen sie 2015 wegen „schwerer gemeinschaftlicher Untreue“ schuldig gesprochen werden. Ein Schadenersatzverfahren von Madeleine Schickedanz gegen Josef Esch und Sal. Oppenheim endet im Vorjahr mit einem außergerichtlichen Vergleich.

Arcandor-Vorstandsvorsitzender Middelhoff hatte Esch schon seit längerem sein Vermögen verwalten – das heißt, zu Zwecken der „Steueroptimierung“ in Immobilienfonds anlegen lassen. Schließlich verhinderte Middelhoff nicht, dass auch die Arcandor ein Warenhaus an einen Immobilienfond überschrieb, und verschaffte sich selbst 2,2 Millionen Euro an Boni, als Arcandor schon kurz vor der Pleite stand.

Alle Rettungsversuche – auch der Ruf nach staatlichem Beistand – helfen nicht. Nach der Insolvenzanmeldung wird Quelle abgewickelt, da sich kein Käufer findet. Karstadt hingegen wird 2010 für einen Euro an den amerikanischen Investor Nicholas Berggruen verkauft, der sich so die Schenkungssteuer spart. Ungeachtet dessen hängen die 25.000 Beschäftigten, Medien und Politik ihre Hoffnungen an den „Karstadt-Retter“. Der versteht es, allerlei Zugeständnisse einzusammeln: Die Beschäftigten verzichteten auf 150 Millionen Euro, die Kommunen auf Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die Gläubiger auf zwei Milliarden Euro ihrer Forderungen, der Staat auf die Mehrwertsteuer und die Eigentümer der Immobilien auf Mieteinnahmen – Berggruen selbst investiert nichts.

2014 dann zieht er sich zurück und verkauft Karstadt für einen Euro an den österreichischen Immobilienunternehmer René Benko, dem bereits einige der Geschäftsgebäude von Karstadt gehören. 2018 meldet Karstadt, dass erstmals wieder ein Gewinn verbucht werde. Schon 2016 hat das Management mit der Gewerkschaft vereinbart, die 2013 ausgerufene „Tarifpause“ zu beenden, und bis 2021 schrittweise in den Flächentarif zurückzukehren.

Doch die Kaufhauskrise ist längst nicht zu Ende. Im März 2018 sickert durch, dass mit der Kaufhofgruppe der größte Karstadt-Konkurrenten in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Wegen einer anhaltenden „Ertragskrise“ drohe die Zahlungsunfähigkeit, heißt es, falls die Mitarbeiter nicht zum Lohnverzicht bereit sind. Vor allem der Umstand, dass Karstadt sich durch eine mehrjährige Tarifpause finanzielle Vorteile verschafft hat, setzt Kaufhof offenbar zu.

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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