Haben Sie etwas gehört? Ich auch nicht, kaum. So unbeachtet, so leise wurde in Ägypten die letzte Errungenschaft der Revolution von 2011 zu Grabe getragen, dass es so gut wie keiner gemerkt hat.
Die Bestattung nahm die Form einer Verfassungsänderung im Hauruckverfahren an. Ein Referendum mit nur drei Tagen Vorlauf gab den Ägypterinnen und Ägyptern die Gelegenheit, dem Vorschlag zuzustimmen, dass die Amtszeit des amtierenden Präsidenten, General Abdel Fattah al-Sisi, um zwei Jahre verlängert werden soll. Zusätzlich wurde die Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Wahlperioden, eingeführt mit der nachrevolutionären Verfassung von 2012, abgeschafft, so dass al-Sisi bis 2030 weiterregieren darf.
Nun könnte man einwenden, dass all das doch vom Wahlvolk gebilligt wurde, von den teilnehmenden 44,3 Prozent der Wahlberechtigten stimmten 88,8 Prozent der Verfassungsänderung zu. Doch damit läge man zweifellos daneben: Eine ernstzunehmende öffentliche Debatte über die Verfassungsänderung gab es nicht. Medien, die nicht gleichgeschaltet sind, werden in al-Sisis Ägypten abgeschaltet, geschlossen oder finden ihre Webseiten von einem Tag auf den anderen geblockt. Oppositionelle, Regimegegner bis hinunter selbst zu zahmen Kritikern des Napoleons am Nil landen im Gefängnis, mehrere Zehntausend politische Gefangene soll es laut Menschenrechtsorganisationen geben.
Mit der Verfassungsänderung ist in Ägypten die Restauration nach der Revolution komplett. Und was sagt die Bundesregierung dazu? Die Kanzlerin? Der Außenminister? Nichts. Die offiziellen Reaktionen aus Deutschland zahm zu nennen wäre eine ziemliche Übertreibung. Ein Sprecher des Außenministeriums beschränkte sich darauf, „zu befürchten, dass im Zuge der Verfassungsänderungen die Rolle der Exekutive und der Streitkräfte ausgeweitet sowie friedliche demokratische Machtwechsel erschwert werden könnten“. Was Sie nicht sagen! Das aber soll nicht deswegen schlecht sein, weil man sich dem friedlichen Aufstand für Demokratie und Würde von 2011 verpflichtet sieht. Oder weil man die Demokratie als Regierungsform an sich schätzt. Nein, wegen des deutschen Interesses an „Stabilität“ in Ägypten, so das Auswärtige Amt, seien die Änderung der Verfassung und die Rückkehr des Despotismus nicht ideal.
Ganz ähnlich argumentierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei seinem Besuch bei General al-Sisi in Kairo Anfang 2019: Sinngemäß sagte er, Stabilität in Ägypten sei wichtig, weil die Menschen dann dort blieben und nicht nach Deutschland kämen, weil Ägypten Frieden mit Israel halte und weil es in Libyen nebenan schon genug Ärger gebe. Unausgesprochen folgt noch die Einsicht, dass es mit der Demokratie in Nahost halt einfach nicht klappen wolle, was will man tun, so sind sie nun mal.
Dagegen zwei Denkanstöße: Es hilft, sich 2011 als eine Art 1848 vorzustellen. Ja, da folgten auch bleierne Jahre. Und ja, die Geschichte ist nicht gnädig mit jenen, die sich mit der Restauration gemein machen, damals nicht und heute nicht. Zweitens: Nur acht Jahre ist es her, dass Hosni Mubarak fiel. Ich erinnere noch die Scham derer, die ihn kurz zuvor hofiert hatten, als sie sahen, wie die Jugend ihre Würde erkämpfte.
Der Tahrir ist kein Platz, er ist eine Hoffnung, ein jäher Traum, der nicht verschwindet, man sehe nach Algerien, nach Sudan. Auch in Ägypten wird er wiederkehren. Erst aber herrscht Ruhe, Friedhofsruhe, und Schweigen aus Deutschland.
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