Der Kranich ist ein Aasgeier

Air Berlin Aus der Pleite der Linie wurde ein Geschäft für die Lufthansa, indem sie die dort Beschäftigten über den Klapptisch zog
Ausgabe 47/2017
Über den Wolken muss die Rechtsfreiheit grenzenlos sein
Über den Wolken muss die Rechtsfreiheit grenzenlos sein

Foto: Bo van Wyk/Imago

Als der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Lufthansa AG, Carsten Spohr, am 12. Oktober bekannt gab, der Vertrag zur Übernahme der Air-Berlin-Teile Niki und LGW mitsamt Start- und Landerechten sei nun unterschrieben, war er laut ZDF „sichtlich gut gelaunt“, grinste von einem Ohr zum anderen, und sprach von einem historischen Tag.

Nicole war da noch Flugbegleiterin der Air Berlin, ist es immer noch, eigentlich, da ihr Anstellungsverhältnis bis heute besteht, auch wenn sie kein Gehalt mehr bekommt. Zwei Wochen nach Spohrs Pressekonferenz wurde Nicole „widerruflich freigestellt“, nach fünf Jahren bei der Air Berlin, wurde weder gekündigt, noch übernommen, sondern „fallen gelassen“, wie sie es nennt, unter Druck gesetzt und dazu gedrängt, sich arbeitslos zu melden. Seitdem sitzt Nicole vor allem zu Hause, und überlegt sich, was sie falsch gemacht hat.

„Ich hätte nicht gedacht“, sagt sie, „dass mich das so mitnimmt. Am Anfang dachte ich, endlich ist die Insolvenz raus, es konnte ja nicht ewig so weitergehen. Aber dass uns so übel mitgespielt wird, dass es so ein Psychoterror wird, dass es einen so emotional mitnimmt, damit hat keiner von uns gerechnet.“

Nicoles Lage, ihre Verbitterung, und die Freude von Carsten Spohr hängen unmittelbar zusammen, keins von beiden wäre ohne das andere möglich. Die Geschichte dahinter ist die Chronologie eines Skandals. Eines Skandals allerdings, bei dem sich alle Beteiligten große Mühe gegeben haben, die geltenden Spielregeln der Marktwirtschaft einzuhalten. So dass am Ende die Spielregeln selbst der Skandal wären, die einen derartigen Deal möglich machen.

Nicole, die sich nun fragt, was sie falsch gemacht hat, hat selbstverständlich überhaupt nichts falsch gemacht, sie ist nur unter die Räder gekommen, und sucht die Schuld bei sich selbst. Wobei, ihr Fehler war es, dass sie gerne bei Air Berlin gearbeitet hat, ihr Fehler war es, dass sie die Airline in Schutz nahm, bis zum Schluss, und dass sie dachte, weil sie ihr Bestes gab, würde auch die Air Berlin sie nicht fallen lassen, unter Druck setzen, und sie zuletzt aussieben: hier die Flugzeuge, die Start- und Landerechte, für die Lufthansa zurechtgeschnürt, und da die Beschäftigten, die man so, wie sie sind, nicht haben wollte, mit ihrer Erfahrung und ihren Rechten. Sondern die man sich – als hätten sie mit Air Berlin gar nichts zu tun – nun vom Jobcenter neu abholen und anstellen kann.

Vielleicht war Nicoles Lage nicht von Anfang an das strategische Ziel aller Beteiligten. Aber die verschiedenen Akteure – die Air-Berlin-Manager, die Lufthansa und nicht zuletzt die Bundesregierung – müssen verantworten, dass das Ergebnis ihres Zusammenwirkens in Nicoles Wut und Spohrs Freude besteht.

Die Chronologie des „coolen Spiels, das die mit uns abgezogen haben“, wie Nicole es nennt, beginnt im Februar 2017, als Thomas Winkelmann Vorstandsvorsitzender der hoch defizitären und verschuldeten Air Berlin wird. Winkelmann hatte vorher 19 Jahre für die Lufthansa gearbeitet, unter anderem als CEO von Germanwings, eben jener Lufthansa-Tochter, die sich nun Teile der Air Berlin unter den Nagel gerissen hat. Zu Winkelmanns Amtsantritt schreibt die Süddeutsche Zeitung noch: „Winkelmanns Aufgabe: den Rest der einst zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft irgendwie zu retten, und mit ihm Tausende von Arbeitsplätzen.“

Winkelmanns Winkelzüge

Nun könnte man sagen: Wenn das die Ziele waren, dann hat Winkelmann beide verfehlt. Nur: Manche Beobachter urteilen eher, dass Winkelmanns Wirken nicht darauf hindeutete, dass er die Air Berlin retten wollte. Sondern eher darauf, eine geordnete Insolvenz zum Vorteil der Lufthansa vorzubereiten. Daniel Flohr, Leiter Tarifpolitik und Öffentlichkeitsarbeit bei der Industriegewerkschaft Luftverkehr (IGL), sagt: „Dass die Air Berlin aus sich heraus nicht gerettet werden kann, war vielen klar.“ Aber als Winkelmann übernommen habe, „da war für uns das erste Zeichen: Hoppla, da ist ein CEO, der ruft zwar Umstrukturierungsmaßnahmen aus, aber macht erst mal die Tarifverträge für ein paar Jahre zu, das passt nicht zusammen.“ Man habe sich gefragt, was Winkelmann vorhabe: „Was ist denn das, wenn nicht ein Zeichen dafür, dass die Air Berlin in eine Insolvenz gesteuert wird?“

Im April 2017 gibt die Air Berlin bekannt, dass sie im Jahr 2016 rund 782 Millionen Euro Verlust gemacht hat. Kurz darauf, Anfang Mai, reist Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Abu Dhabi, im Gepäck: Lufthansa-CEO Carsten Spohr. Es gibt Gespräche mit dem Air-Berlin-Eigentümer Etihad. Auf einer Aktionärsversammlung wenige Tage später bekräftigt Spohr das Interesse der Lufthansa an der Air Berlin. Es gebe nur drei Probleme: Air Berlins hohe Schulden, Air Berlins hohe Kosten, und die kartellrechtlichen Folgefragen, wenn die Lufthansa ihren Mitbewerber übernehme.

An dem Problem der „hohen Kosten“ arbeite Winkelmann, sagte Spohr. Das Problem der Schuldenlast werde schließlich die Insolvenz lösen. Und für die geordnete Übernahme von Teilen der Air Berlin genau wie für die kartellrechtliche Genehmigung gibt es offenbar die stille Unterstützung der Bundesregierung, deren Verkehrsminister Alexander Dobrindt die Lufthansa als „deutschen Champion im internationalen Luftverkehr“ bezeichnet.

Als die Air Berlin am 15. August Insolvenz anmeldet, folgt ein Überbrückungskredit über 150 Millionen Euro durch die Bundesregierung, ohne dass irgendwelche Bedingungen daran geknüpft werden. Der Kredit an sich sei gewiss kein falscher Schritt gewesen, sagt Daniel Flohr von der IGL. Bei einer abrupten Insolvenz von heute auf morgen hätte ja wahrscheinlich die Bergung der gestrandeten Passagiere den Staat ähnlich viel gekostet. Piloten und Flugbegleiter wären auf einen Schlag arbeitslos geworden, Air Berlins Flugzeuge von einem Tag auf den nächsten gegroundet, und das Rennen um die frei werdenden Start- und Landerechte „hätte in einem Hauen und Stechen geendet“, weil die ja dann an den Erstbesten, der bereitsteht, vergeben werden.

So weit, so gut. Das Ergebnis: Der weiterlaufende Betrieb gab „der Lufthansa überhaupt die Zeit, den Deal so einzutüten“, sagt Flohr. Man vermied, dass sich andere Airlines Strecken sichern, etwa die Ryanair, deren Beschäftigungspraktiken mit unsozial noch beschönigend beschrieben wären. Man schaffte es, dass auch die Easyjet einen Teil der Air Berlin übernimmt, was die kartellrechtliche Lage für die Lufthansa schlagartig verbessert. Und man vergaß nicht, das Gehalt von CEO Winkelmann, immerhin 950.000€ pro Jahr bis 2021, mit einer Bankgarantie abzusichern.

Bei alledem blieb nur eine Partei unberücksichtigt. Die Beschäftigten, Leute wie Nicole. Sie bekam am 31. Oktober eine „widerrufliche Freistellung“, und verstand allmählich, dass man sie nicht vergessen hatte, sondern im Gegenteil sichergestellt hatte, dass es für die Beschäftigten eben keine Lösung geben würde. Nicoles Fehler war es, dass sie ihrem eigenen CEO, der Lufthansa und selbst der Bundesregierung den Zynismus nicht zugetraut hat, dass es für sie kein Auffangen geben würde, keine große Transfergesellschaft, sondern nur vom Land Berlin eine kleine für wenige hundert Leute des Bodenpersonals, weil man die für die Berliner Verwaltung händeringend brauchte.

Nicole, deren Fehler es war, gerne bei Air Berlin gearbeitet zu haben, verstand dann irgendwann, „dass sie uns jetzt auf einmal einfach so vor die Tür schmeißen“. Und dass keiner gewillt war, zu helfen, „weder die Medien, noch die Politiker, noch die Arbeitsämter“, dass keiner, selbst nicht die Anwälte, die sich jetzt auf das Thema stürzten, „dir sagen kann, wie du dich zu verhalten hast“.

Gerne arbeiten: großer Fehler

Im Kern geht es nun um die Frage, ob die Übernahme von Teilen der Air Berlin durch andere Airlines als Betriebsübernahme zu betrachten sei. Um eine solche rechtlich zu vermeiden, dient das Konstrukt, dass die Lufthansa nicht die Air Berlin kauft, sondern nur deren Tochterfirmen Niki und die Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW), in die man Start- und Landerechte gepackt hat, um sie von den Beschäftigten zu trennen, die mit dem Rest der Air Berlin in die Insolvenz abstürzen.

Andreas Splanemann, Sprecher der Landesbezirksleitung Berlin-Brandenburg der Gewerkschaft Verdi, rechnet damit, dass sich der Rechtsstreit darüber mehrere Jahre hinziehen wird. „Natürlich hatte die Lufthansa ein großes Interesse daran, Teile von Air Berlin billig zu kriegen“, sagt Splanemann, „und sie hat ja von vorneherein klargemacht, dass es kein Interesse an den Beschäftigten gab. Bei der Lufthansa war Sekt- und Feierstimmung, als sie das Geschäft des Jahrzehnts gemacht haben. Auf der Strecke geblieben sind nur die Beschäftigten. Natürlich war das unsozial.“

Die Lufthansa wolle in das Geschäft mit ihrer Billig-Tochter Eurowings rein, „so billig wie möglich, aus deren Sicht ist doch klar, dass die die alten Beschäftigten nicht haben wollten, die wollen junge Leute, die billiger sind“. Splanemann schätzt, dass sich mindestens 4.400 Air-Berlin-Beschäftigte beruflich neu orientieren müssen, „eine Katastrophe“.

In dieser schwierigen Situation, so wie sie jetzt sei, sagt Splanemann, „kann man den Beschäftigten nur empfehlen, die Chancen zu nutzen, die es gibt, das heißt, sich bei Easyjet und bei der Lufthansa zu bewerben“. Mit der Billigfluglinie Easyjet habe Verdi eine Vereinbarung abgeschlossen, die zusichert, dass es keine Einkommensverluste gibt. Ob das zu 100 Prozent realisiert werde, könne man nicht sagen, aber jedenfalls sei es so vereinbart.

Bei der Lufthansa-Tochter Eurowings ist die Sache komplizierter. Vor allem, weil die Eurowings selbst ein völlig inhomogener Betrieb ist. Schon länger fliegen ja Flugzeuge und Personal der Air Berlin für die Eurowings in einem sogenannten „Wet-Lease“-Deal, es fliegen die Germanwings und die tarifierte Eurowings Deutschland, und schließlich die Tochterfirma Eurowings-Europe, mit Sitz in Wien.

Wer sich bei Letzterer bewirbt, nach österreichischem Recht angestellt und außerhalb Deutschlands stationiert wird, muss mit Gehaltseinbußen von bis zu 40 Prozent rechnen und darf in einem Unternehmen ohne Tarifvertrag und ohne Betriebsrat arbeiten, wo Krankheitstage vom Gehalt abgezogen werden und es eine Kündigungsfrist von 15 Tagen gibt, wie es Mitarbeiter von Eurowings-Europe in einem offenen Brief geschildert haben, in dem sie die Air-Berlin-Beschäftigten davor warnten, sich zu bewerben.

Die Lufthansa habe wohl damit gerechnet, sagt Nicole, dass die Air-Berlin-Beschäftigten ihr jetzt die Türen einrennen. Doch diesen letzten Gefallen wollten ihr die meisten nicht tun, „ich glaube, man kann an einer Hand abzählen, wie viele Leute bis jetzt bei der Eurowings einen Vertrag unterschrieben haben“. Trotz ihrer höchst schwierigen Lage, und auch wenn es ihre einzige Gegenwehr ist, neben den Kündigungsschutzklagen, die sich über Jahre hinziehen werden. Andreas Splanemann von Verdi sagt, es gebe „offensichtlich auch psychologische Barrieren bei den Beschäftigten“, weil sie das Gefühl hätten, aufzugeben, wenn sie sich jetzt in Scharen bewerben, obwohl dies in der derzeitigen Lage höchst riskant sei. Aber vielleicht haben viele einfach genug davon, auf eigene Kosten weiter zu Carsten Spohrs Freude beizutragen.

Das unausgesprochene Argument der Lufthansa, bessere Beschäftigungsbedingungen, wie es sie bei der Air Berlin gab, seien im Billigflugsegment nicht wettbewerbsfähig, ist übrigens dabei, sich selbst zu entkräften. Seit dem Aus für Air Berlin ist der Kranich auf zahlreichen innerdeutschen Strecken nun der einzige Anbieter, was zu Preissteigerungen von bis zu 50 Prozent führt. Ein Monopolist muss nicht wettbewerbsfähig sein, weil es einen Wettbewerb nicht mehr gibt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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