Wir können aufatmen: Der Staat darf die Lufthansa retten. In letzter Minute stimmte Großaktionär Heinz Hermann Thiele zu und ermöglichte es, dass die Steuerzahlenden der Fluglinie mithilfe eines KfW-Kredits in Höhe von 3 Milliarden Euro, einer „stillen Einlage“ von 5,7 Milliarden und mit dem Kauf von 20 Prozent der Aktien wieder auf die Beine helfen können. Das Ganze ist überlebenswichtig für den Kranich, der – zusammengestaucht von der Corona-Pandemie – darniederlag wie ein Kormoran im Ölteppich einer Tankerkatastrophe.
Der Staat wird also stiller Teilhaber der Lufthansa, ohne Mitsprache und ohne Vorgaben für die gerettete Airline: Mehr wollte man sich im Wirtschaftsministerium nicht erlauben. „Wir wollen nicht mehr Einfluss nehmen“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier. „Wir wissen, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist.“
Was Altmaier damit meinte: Die Lufthansa sei ja eigentlich ein profitables Unternehmen und Aushängeschild deutschen Wirtschaftens, quasi der Mercedes der Lüfte, und völlig unverschuldet am Rande der Insolvenz, bloß wegen der Corona-Krise. In der Tat spricht wenig für eine Verstaatlichung einer Fluglinie, deren Geschäftsmodell nicht nur wegen der Pandemie einer ungewissen Zukunft entgegensieht. Das eine ist, dass man Politiker:innen und Beamte keine Airline steuern lassen mag, wenn sie schon beim Flughafenbau derart abstürzen wie am BER in Berlin. Das andere, dass ein Unternehmen, das davon lebt, zahlende Geschäftsreisende per Verbrennungsmotor von einer Stadt in die andere zu fliegen, schon in wenigen Jahren ziemlich alt aussehen könnte. Zum Beispiel, wenn Klimaziele zur Verringerung des CO₂-Ausstoßes ernst genommen würden.
Doch: Wäre Einfluss zu nehmen nicht die Aufgabe von Politik? Zu gestalten, zu entscheiden, was Unternehmen hierzulande erlaubt sein soll und was verboten? Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass die Zeit der Altmaier’schen Enthaltsamkeit vorbei ist. Nehmen wir die Fleischindustrie: Auch hier wollte die Bundesregierung lange keinen Einfluss nehmen. Noch 2015 – die erbärmlichen Bedingungen für Mensch und Tier waren längst bekannt – ließ sich der damalige Wirtschaftsminister, ein gewisser Sigmar Gabriel, von Tönnies einwickeln. Er besuchte eine Fleischfabrik und sagte darauf: Der Tönnies-Konzern, quasi der Mercedes der deutschen Schlachthöfe, werde Missstände von allein abstellen. Mehr könne man nicht tun.
Geändert hat sich seitdem fast nichts. Doch auf einmal sind nicht mehr nur Werkvertragsarbeiter aus Rumänien und Moldawien und zu verwurstende Schweine betroffen, sondern die ganze Republik. Jetzt sollen Subunternehmer rausfliegen und Werkverträge verboten werden: Die Pandemie macht möglich, wobei die Politik versagt hat. Tatsächlich war deren Nichteingreifen ja immer schon mehr als nur passives Zugucken: In Wahrheit handelt es sich um eine Form staatlicher Unterlassung, die Missstände erst ermöglicht.
Auf die Spitze getrieben hat diesen Ansatz die Bankenaufsicht BaFin im Fall des Finanzdienstleisters Wirecard: Von den krummen Geschäften dort hat man nicht nur nichts bemerkt, sondern zeigte stattdessen zwei Journalisten, die darüber berichtet hatten, wegen des Verdachts auf Marktmanipulation an. Der Grund: Ihre Artikel über vorgetäuschte Umsätze hatten den Aktienkurs von Wirecard – quasi dem Mercedes der deutschen Fintech-Branche – abstürzen lassen. Zu Recht, wie sich nun herausgestellt hat.
Wir sind an den Punkt gelangt, wo klar wird: Keinen Einfluss zu nehmen, ist keine Option mehr. Wie eine Alternative aussehen kann, zeigt das Beispiel Frankreich. Dort setzte Präsident Emmanuel Macron, nachdem die Proteste der Gelbwesten ihn in Bedrängnis gebracht hatten, im Oktober 2019 einen Klimarat ein: 150 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger sollten Vorschläge erarbeiten, wie Frankreich seine Klimaziele erreichen kann, ohne dass das zu sozialer Ungerechtigkeit führt. Heraus kamen 150 Forderungen: eine Kerosinsteuer, ein Programm zur energetischen Sanierung, eine Senkung des Tempolimits auf Autobahnen, ein Verbot von Neufahrzeugen mit hohen Emissionen, ein Verbot von Inlandsflügen, solange Alternativen bestehen, und die Aufnahme einer Präambel in die Verfassung, dass die Ausübung von Freiheitsrechten nicht dazu führen darf, dass der Erhalt der Umwelt gefährdet wird.
Macron hat sich inzwischen verpflichtet, alle Vorschläge bis auf zwei entweder dem Parlament oder den Wählern als Referendum vorzulegen. Es zeigt sich: Eine Regierung kann sich, wenn sie nicht weiterweiß, beim Souverän Rat holen. Dieser allerdings, gibt man ihm nur ausreichend Zeit und genügend Information, spricht bald wie eine Umweltaktivistin der „Extinction Rebellion“.
Das gleiche Prinzip ließe sich auch im Fall Lufthansa anwenden: Dann käme man schnell ab von dem Ziel, Milliardenbeträge aufzubringen, nur um den Normalbetrieb wiederherzustellen. Denn: Der Normalbetrieb ist das eigentliche Problem. Die Bürger:innen des Klimarats haben sich ja nicht aus ideologischen Gründen radikalisiert, sondern weil die Fakten sie dazu drängten. Die Fakten – und der Wunsch, den Planeten nicht verkommen zu lassen. Anders gesagt: die Notwendigkeit, Einfluss zu nehmen.
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