Der falsche Gegner

Skandal Donald Trumps Ex-Sicherheitsberater John Bolton hat ein Buch über den Präsidenten geschrieben. Es ist ein empörendes Werk
Ausgabe 26/2020

Gab es je eine dämlichere Gattung als das „Trump-Buch“? Und gab es je ein schlimmeres Exemplar dieser Gattung als John Boltons The Room Where It Happened? Just nachdem Bolton, der von 2018 bis 2019 als dritter Nationaler Sicherheitsberater unter dem 45. US-Präsidenten diente, die Aussage vor dem Repräsentantenhaus im Amtsenthebungsverfahren gegen seinen ehemaligen Dienstherren verweigert hatte, kündigte er an, seine Erfahrungen im Weißen Haus niederschreiben und veröffentlichen zu wollen. Später erklärte Bolton sich dann zwar bereit, vor dem Senat auszusagen. Dabei war dem 71-Jährigen aber wohl von vornherein klar, dass die Republikaner im Senat ihn auf keinen Fall aufrufen würden.

Militärschlag muss sein

Anstatt also seine Kenntnisse dort anzubringen, wo sie eventuell etwas bewirkt hätten, nutzte Bolton sie für die eigene Publicity. Das ist eine seltsame Entscheidung für einen Mann, der für seine kriegerische Weltanschauung berüchtigt ist. Für John Bolton scheint jeder politische Konflikt Anlass zu einem Militärschlag zu geben. Während seiner Amtszeit hatte man oft das Gefühl, gleich würde Bolton die Marines wieder nach Saigon schicken, ausgerechnet er, der dem Einsatz in Vietnam selbst dadurch entging, dass er sich für die National Guard von Maryland meldete (er habe nicht den Wunsch gehabt, „auf einem Reisfeld zu sterben“ schrieb der ehemalige Kommilitone Hillary Rodhams und Bill Clintons ins Jahrbuch der Elite-Uni Yale).

Um seinen ehemaligen Oberbefehlshaber Trump anzugreifen, nutzt Bolton keinesfalls alle verfügbaren Mittel der amerikanischen Justiz. Er begnügt sich mit Worten. Zugegeben, sein Buch führte ihn diesmal gewissermaßen in die Schlacht – Trump hat alles darauf verwendet, die Veröffentlichung zu verhindern. Oder war das Teil einer Marketingkampagne? Bereits vor Veröffentlichung landete The Room Where It Happened auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste.

Die wichtigste Enthüllung Boltons ist wohl, dass Trump den chinesischen Präsidenten Xi Jinping um indirekte Wahlkampfhilfe bat. „Er betonte die Bedeutung der Landwirte und verstärkter chinesischer Käufe von Sojabohnen und Weizen für den Wahlausgang“, schreibt Bolton. „Ich würde Trumps genaue Worte drucken, aber der Überprüfungsprozess der Regierung vor der Veröffentlichung hat anders entschieden.“ Einerseits ist das schockierend. Aber würde man sich nicht eher wundern, wenn Donald Trump anders handeln würde? Braucht es da „genaue Worte“? Genauso wenig würden wir uns jedenfalls wundern, wenn noch eine Pornodarstellerin mit Vorwürfen auf der Bildfläche erschiene.

„Xi sagte, er wolle noch sechs weitere Jahre mit Trump zusammenarbeiten, und Trump antwortete, die Leute meinten, in seinem Fall solle die verfassungsmäßige Begrenzung auf zwei Amtszeiten aufgehoben werden“, so gibt Bolton einen Wortwechsel mit dem „Großen Vorsitzenden“ wieder: „Xi sagte, in den USA würde zu oft gewählt.“ Er wolle mit keinem anderen als Trump zusammenarbeiten. Wie habe der reagiert? Zustimmend genickt habe Trump, wie das wohl jeder aufstrebende Autokrat täte, wenn er auf eines seiner Idole trifft. Die Konzentrationslager für Uiguren, so zitiert Bolton einen Dolmetscher, seien genau das Richtige, habe Trump beim Eröffnungsdinner für das G20-Treffen in Osaka gesagt. Xi solle nur weitere bauen. Unterdessen trennt Trump unter aller Augen Kinder von ihren Eltern und interniert sie an der mexikanischen Grenze.

Man sollte keine 592 Seiten lesen müssen, um diese Details zu erfahren. Ein guter Autor hätte das Wichtige locker auf zehn untergebracht. Seitenlang schreibt Bolton über unbedeutende Auseinandersetzungen. Vor allem solche zwischen Donald Trump und John Bolton. Bolton schreibt hässliche Sätze, die er zu hässlichen Absätzen kombiniert. Die werden in schlecht strukturierten Kapiteln untergebracht, und die Kapitel werden dann in irgendeine Ordnung sortiert. Es sind aber nicht Boltons mangelnder Stil oder seine schlechten Argumente, die ihn zu einem so miserablen Autor machen. Was die Lektüre so schmerzhaft macht, ist seine Erwartung, den Leser auf seiner Seite zu haben.

Bolton stellt sich als einsamen Kämpfer gegen Trump dar. Aber selbst Trumps härteste Gegner wären auf dessen Seite gewesen, als derselbe John Bolton sich im Juni 2019 zum Advokaten einer „unverhältnismäßigen Antwort“ auf den Iran machte („unser Militär ist neu aufgestellt und einsatzbereit“). Der Präsident war der Meinung, man könne nicht rund 150 Menschen töten, nur weil eine US-Drohne abgeschossen wurde. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich Trump applaudiert habe. Einem, der es „cool“ fände, in Venezuela einzumarschieren, wie Bolton den ehemaligen Stabschef im Weißen Haus, John F. Kelly, zitiert. Nicht cool.

Viele Bücher sind erschienen, mit dem Versprechen, uns Trumps wahres Gesicht zu zeigen: Michael Wolffs Fire and Fury, Bob Woodwards Fear, Omarosas Manigaults Unhinged, Cliff Sims’ Team of Vipers, Jonathan Karls Front Row at the Trump Show und Jon Sopels A Year at the Circus. Doch selbst ein so talentierter Autor wie Michael Wolff und auch ein preisgekrönter Journalist wie der Watergate-Mann Bob Woodward waren nicht in der Lage, wirklich gute Bücher über Trump zu schreiben. Denn die Wahrheit über den Präsidenten entblößen zu wollen, ist wie Striptease am FKK-Strand. Wer nicht weiß, wie verkommen und inkompetent Trump ist, wird es nicht von Bolton lernen.

Viele scheitern an Trump. Die besten Wahlkampfreden und Debattenbeiträge haben nichts bewirkt. Auch die besten Komiker*innen sind nicht wirklich lustig, wenn sie sich an Trump abarbeiten. Früher konnten solche Berichte viel bewirken. Woodward schrieb über Richard Nixon, und eine Nation war nicht mehr dieselbe. Woodward schrieb über Trump, und eine Nation zuckte mit den Achseln.

Warum? Warum hat das „Grab them by the pussy“-Tape Trump nicht die Wahl gekostet? Warum hat er die Stormy-Daniels-Affäre problemlos überstanden? Warum blieben die zahlreichen Hinweise auf sein bodenlos korruptes Verhalten so wirkungslos gegen einen Mann, der selbst im eigenen Lager mehr Feinde als Freunde hat?

Was nützt schon eine Taschenlampebei strahlendem Sonnenschein? Journalist*innen kann man es nicht verübeln, dass sie die Wahrheit suchen. Wolff, Woodward und Karl haben getan, was sie konnten. Doch was Trump angeht, brauchenwir Historiker*innen, Soziolog*innen, Medienwissenschaftler*innen und Psychoanalytiker*innen eher noch als Journalist*innen – und erst recht nicht John Bolton –, um das, was wir schon wissen, zu deuten und zu erklären. Die Trump-Bücher, die jetzt geschrieben, gelesen und diskutiert werden müssen, sollten sich weniger mit Trump selbst beschäftigen und stattdessen viel mit seinen Anhängern, mit den Medien, die ihm so viel Aufmerksamkeit schenken, und mit der Republikanischen Partei, die Trump unterstützt hat, egal, wie weit er ging. Einer wie John Bolton würde darin als Symptom auftauchen.

Zwei Millionen Dollar Honorar

Anstatt aber solche Bücher zu finanzieren, soll der New Yorker Traditionsverlag Simon & Schuster Trumps ehemaligem Sicherheitsberater zwei Millionen Dollar für sein Scheißbuch gegeben haben. Wie viele wissenschaftliche Bücher hätte man damit finanzieren können? Wie viel Korruption auf lokaler Ebene hätten Journalist*innen mit zwei Millionen aufdecken können?

Wer Trump verstehen will, beschäftigt sich besser mit dem System, das John Bolton so reichlich für seine Feigheit belohnt hat. Wer Trump verstehen will, guckt am besten einmal schnell auf Wikipedia nach, dann wird er verstehen, dass Trump sich einen Falken, der seit Jahrzenten für Regime Change im Iran, in Syrien, Libyen, Venezuela, Kuba und Nordkorea plädiert hat, ins Weiße Haus geholt hatte. Einen, der sich stets für militärische Interventionen starkmachte, egal ob er in den Diensten Ronald Reagans, der Bushs oder Trumps stand.

Eigentlich sollte Boltons Buch mit zahlreichen Kommentaren versehen erscheinen, die seine Rolle bei ebenso zahlreichen Menschheitsverbrechen ausführen. So, wie es jetzt erschienen ist, sollte es zumindest nicht gekauft werden. Falls man es aus irgendeinem Grund lesen muss, sollte man dafür nichts bezahlen. Erste Kopien sind im Netz schon zu finden. Und noch weitere Bücher, zum Beispiel aus dem Hause Simon & Schuster.

Peter Kuras schrieb im Freitag zuletzt über den Film The Royal Train

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