Hürdenlos

Forschung Warum immer mehr unsinnige Studien veröffentlicht werden
Ausgabe 42/2018

Gibt es eine Kultur sexueller Gewalt unter Hunden? Die Frage wurde jüngst in Gender, Place & Culture, einer renommierten britischen Zeitschrift für feministische Geografie, gestellt. Gestützt auf einjährige Feldforschung in drei Hundeauslaufgehegen im US-amerikanischen Portland hieß die Antwort: ja. Sollte man dem gesellschaftlichen Zwang zu körperlicher Normalisierung dadurch entgegenwirken, dass man dem professionellen Bodybuilding eine Sparte „Fett-Bodybuilding“ hinzufügt? Das wurde vor Kurzem in Fat Studies, einer US-amerikanischen Zeitschrift für die interdisziplinäre Erforschung von Körpergewicht und Gesellschaft, gefordert. Die Zeitschrift Affilia, die sich feministischen Aspekten der Sozialarbeit widmet, akzeptierte einen Artikel mit dem Titel Our Struggle is My Struggle zur Veröffentlichung, zu Deutsch: „Unser Kampf ist mein Kampf“.

Gemeinsam haben diese Aufsätze, dass sie nicht von denen stammen, deren Namen sie schmücken. Die existieren gar nicht. Geschrieben haben die Artikel die Mediävistin Helen Pluckrose, der Philosoph Peter Boghossian und der Mathematiker James Lindsay. Und nicht nur die genanten Artikel hat das Trio geschrieben und versucht an den Mann, oder besser an die Fachöffentlichkeit von universitären Fächern wie Gender oder Disability Studies, zu bringen: 20 Aufsätze entstanden in zehn Monaten, sieben davon wurden veröffentlicht oder waren auf dem Weg dahin, als ihr eigentlicher Charakter publik wurde: Sie sind totaler Quatsch.

Die Dunkelmänner

1996 veröffentlichte der Physiker Alan Sokal einen Essay in einer angesehenen Fachzeitschrift, der die Nähe von Quantenphysik und „postmodernen“ Theorien nachwies: Wie die gesellschaftliche Realität sei auch die natürliche Welt durch Sprache konstruiert, existiere jenseits dieser nicht. Dass das jeder Grundlage entbehrte, wurde zur Waffe für Kritiker der Geisteswissenschaften in den sogenannten Science Wars: Man sprach ihnen Wissenschaftlichkeit ab. Vom Ausmaß her ähnelt „Sokal Squared“ (Sokal hoch 2) eher dem Roman Naked Came the Stranger von 1969. Der Autor Mike McGrady bat Journalisten, je ein Kapitel zu schreiben. Jedes musste möglichst viel Sex beinhalten, jeder Satz sollte so schlecht wie möglich geschrieben sein.

Wenn McGrady zeigte , dass die Branche schlechte Literatur fördert, wollte David Lassman das Gegenteil: zeigen, dass Genie heute unerkannt bleibt. 2007 reichte er Texte von Jane Austen bei Literaturagenten ein und sammelte reihenweise Ablehnungen. Die „Mutter“ solcher entlarvenden Scherze waren die Dunkelmännerbriefe von 1515, in Küchenlatein verfasste satirische Texte, die Humanisten im Stil der an den Universitäten herrschenden Scholastik schrieben. Der kritische Scherz wurde von Erasmus und Thomas Morus für seine Gewitztheit gelobt. Luther dagegen schimpfte ihren Autor einen Hanswurst.

So handelt es sich bei dem Artikel, den Affilia drucken wollte, um Zitate aus Adolf Hitlers Mein Kampf, aufgepeppt mit Vokabular der Gender Studies. Das Ziel dieser Täuschungsaktion, sagt Lindsay am Telefon, sei, die Unwissenschaftlichkeit der genannten Disziplinen ans Licht zu bringen. Viele, meint er, hätten zwar einen „Wahrheitskern“ – er erkenne an, dass Konzepte wie „Weiße Fragilität“ und „Toxische Männlichkeit“ eine Basis in der Realität hätten. Viele aber benutzten solche Konzepte, um Debatten abzuwürgen. Wer Kritik an Arbeiten der „Grievance Studies“ – etwa: „Klage“-Studien, weil hier das Augenmerk auf den Opfern von Ausgrenzung und Diskriminierung liege – übe und daraus abgeleitete sozialen Folgerungen kritisiere, dem werde vorgeworfen, Vorurteile zu pflegen. Oftmals würde man dann als Rassist oder Sexist beschimpft, gerade in sozialen Medien. Im New Statesman schreiben die Autoren und die Autorin dies der Popularität „postmoderner“ Denker zu: Deren Theorien seien durch eine neue Forschergeneration explizit politisch geworden.

Pluckrose, Boghossian und Lindsay verstehen sich als Linksliberale. Lindsay sagt, es sei wichtig, Kritik zu üben, weil gerade die Unwissenschaftlichkeit der neuen Fächer und ihre Konzentration auf sexuelle und ethnische Identität viele Amerikaner, die eigentlich demokratisch wählen würden, in die Arme Donald Trumps trieben. Gleichzeitig besteht er darauf, dass die Wissensfelder, die hier veräppelt werden, wichtig seien. Man sollen sich eben an Standards halten.

Man muss aber kein Postmoderner sein, um zu sehen, dass selbst die Natur- und Sozialwissenschaften sich in einer Krise befinden – Ergebnisse werden auch hier oft erst gar nicht von anderen überprüft, und wenn, kommt der nächste Wissenschaftler selten zum gleichen Schluss. 2011 gab Bayer eine Untersuchung zur Reproduzierbarkeit medizinischer Studien in Auftrag – mit dem Ergebnis, dass 75% der Studien nicht reproduziert werden können. Über den Grund der Krise herrscht weitgehend Übereinstimmung: Wissenschaftliche Karrieren fußen auf innovativen, erfolgreichen Resultaten. Man kommt nicht voran, wenn man zugibt, dass ein Experiment gescheitert ist. Experimente anderer zu reproduzieren, gilt als Sackgasse für die Karriere. Unter solchem Druck fallen auch die „harten“ Wissenschaften Fälschungen zum Opfer. 2013 reichte der Journalist John Bannon eine Studie bei mehr als dreihundert „open access journals“ ein, die mit zahlreichen methodologischen, mathematischen und ethischen Fehlern gespickt war. Mehr als die Hälfte der Zeitschriften haben sie akzeptiert – und eine Rechnung für die Veröffentlichung geschickt. Bannon dokumentierte das in Science, bekam dafür aber leider lange nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie „Sokal Squared“, wie der Harvard-Politologe Yascha Mounk die Affäre getauft hat (siehe Kasten). Hier sei es anders, sagen viele, weil Zeitschriftenwie Fat Studies kein Geld für die Veröffentlichung verlangten. Daher seien sie weniger korrupt als die sogenannten „Pay to play“-Zeitschriften.

Ist der Unterschied wirklich so groß? Wenn man bei den genarrten Zeitschriften nachfragt, erhält man sterile Erklärungen von SAGE, Taylor & Francis und Elsevier – den gleichen Konzernen also, die viele „Pay to play“-Zeitschriften herausbringen. Auf Nachfrage schickt eine der getäuschten Publikationen, das feministische Journal Hypathia, eine vorformulierte Presseerklärung: Lindsay und Co. hätten einen Grundpfeiler der Wissensaneignung und -vermittlung verletzt: Vertrauen. Man sei ein pluralistisches, feministisches Philosophiemagazin, sehe Feminismus nicht als einen Monolithen an. Man erwarte, dass Feministen nicht immer einer Meinung seien und dass Autoren ihre echten Namen benutzten, ihre Ansichten argumentativ stützten, Daten korrekt präsentierten und sich mit der relevanten Forschungsliteratur auseinandersetzten. Gerade für Publikationen, die jüngere und marginalisierte Forscherinnen und Forscher ermutigen wollten, Aufsätze einzureichen, sei es wichtig, unnötige Hürden aus dem Weg zu räumen. Man prüfe, wie man sich besser gegen Täuschungen schützen könne. Wie sehr die Wahrheit manchmal dem Schabernack ähnelt, wussten schon Galileo und Darwin. Dass genarrte Zeitschriften ihr Vorgehen aber kaum verteidigen, zeigt tief greifende Missstände, nicht nur in den Geisteswissenschaften.

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