„Alles, nur kein Interview!“: Meinungen und Proteste von Arthur Schnitzler
Im Gespräch Von wegen „überholte Gattung“: Der Dramatiker Arthur Schnitzler redete gern mit der Presse – die Lektüre der Sammlung seiner Interviews ist sehr lehrreich und lustig
Gilt als „vollendeter Gentleman“, schrieb aber auch erboste Leserbriefe: Arthur Schnitzler
Foto: Brandstätter Images/Ullstein
Zehn Jahre bevor seine Bücher in Berlin in Flammen aufgingen, hatte der jüdische Schriftsteller Arthur Schnitzler in Wien einen Traum. Er war so bemerkenswert, dass er ihn unbedingt ins Tagebuch notieren musste: „Ich soll zum Vicebürgermeister von Wien gewählt werden, bin im Rathaus, aber in kurzer Pepitahose und blauem Rock, endlich sagt mir jemand, ich müsse doch lange Hosen nehmen … ich bedenke unbehaglich, wie ich mich gegenüber antisemitischen Pöbeleien benehmen soll.“
Der „psychologische Tiefenforscher“, wie Sigmund Freud ihn nannte, der später die Traumnovelle schrieb, begann mit 17 Jahren sein Tagebuch und führte es penibel bis zu seinem Tod 1931 weiter; das Journal umfasst zehn Bände, die seit 2000 voll
die seit 2000 vollständig vorliegen. Man kann in ihnen auch online blättern und gezielte Suchen starten, gibt dieses Lebenswerk doch nicht nur interessante Einblicke in die Welt des assimilierten Judentums und die Auswüchse des Antisemitismus, sondern auch in Schnitzlers erotische Verstrickungen (er zählte sogar seine Orgasmen), den Theater- und Literaturbetrieb des Wiener Fin de Siècle und in die Wirren der Kriegs- und Nachkriegsjahre. So „ungewöhnlich langweilig“, wie Marcel Reich-Ranicki einst – naturgemäß liebevoll – polterte, ist Schnitzlers Journal ganz und gar nicht.Zumal die Traumnotate – sie sind mittlerweile in einem Buch bei Wallstein zusammengefasst – von Schnitzlers Ängsten in seinem Unbewussten zeugen. Sie ähneln in vielem dem inneren Monolog seiner Figuren – er hat ja ebendiesen in der Novelle Lieutenant Gustl für die moderne Literatur quasi erfunden – und sind zugleich ein dunkles Spiegelbild seiner Zeit. Zusammen mit einer umfassenden Korrespondenz, die die Briefwechsel mit Sigmund Freud, Hermann Bahr, Stefan Zweig und vielen anderen umfasst, schienen Schnitzler-Freunde bis heute bestens bedient zu sein, um sich im Heute ein eigenes Bild von der Welt von gestern zu machen.An die Existenz des profanen Genres „journalistisches Interview“ hatte man bei Schnitzler hingegen gar nicht mehr gedacht. Schriftsteller sind hierfür ja grundsätzlich beliebte Gesprächspartner. Sie können berichten, wie sie auf ihre Ideen kommen und welchen Einfluss die eigene Biografie aufs Werk hat. Man erhofft sich von ihnen aber auch Aufklärung über die allgemeine Weltlage. Sie gelten meist als unbefangen, ja gar als moralische Instanzen, um sich zu politischen und gesellschaftlichen Themen zu äußern. Und siehe da: Auch Schnitzler gab diese Interviews, diese „überholte Gattung“, wie er meinte, und die er vordergründig verabscheute.So hieß es 1923 in einem Porträt: „Interviews allerdings bittet er sich gleich im vorhinein aus. Er hat die denkbar geringste Neigung, Monologe zu halten, die hernach als Aeußerung eines berühmten Zeitgenossen registriert werden könnten.“ Bei anderen Gelegenheiten rief Schnitzler den Journalisten zu: „Alles, nur kein Interview!“ Oder: „Um Gotteswillen – kein Interview!“ Einer ungarischen Journalistin diktierte er 1928 in den Block: „Keiner kann doch einen anderen nach einem Gespräch von der Dauer einer Stunde authentisch porträtieren, das setzt doch eine langjährige Bekanntschaft voraus.“Nun hat der Literaturwissenschaftler Martin Anton Müller mehr als 80 Interviews ausfindig machen können, die in Zeitungen und Zeitschriften von Havanna über Wien, Berlin, Kopenhagen bis St. Petersburg abgedruckt wurden. Natürlich auch in den USA, dort war Schnitzler ziemlich prominent, was nicht zuletzt mit der jüdischen Diaspora zusammenhing. Und anders als im deutschen Sprachraum habe es in der journalistischen Kritik der USA bis zu seinem Tod keine antisemitischen Töne gegeben, so der Literaturwissenschaftler Daniel Göske.Schnitzler wusste sich also sehr gut öffentlich zu inszenieren, auch wenn die Hauptmotivation dieser Inszenierung darin lag, den öffentlichkeitsscheuen Dichter zu spielen. „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug“, hat Schnitzler zwar nicht in einem Interview gesagt, dafür in seiner Komödie Paracelsus, wo auch der Satz fällt: „Sicherheit ist nirgends.“ So unrecht hatte er also nicht, wenn er immer wieder darauf pochte, man solle gefälligst in seine Bücher schauen, wenn man etwas von ihm wissen wolle.Vieles in diesem großartig aufgearbeiteten Interviewband (der zweite beinhaltet „Meinungen“ und „Proteste“ Schnitzlers, unter anderem in Form von erbosten Leserbriefen) ist ziemlich unterhaltsam. Schnitzlers Statur und Äußeres werden voller Bewunderung beschrieben: „Ein vollendeter Gentleman“ oder „Er hat langes braunes Haar, einen weichen hellblonden Bart und blaue Augen. Eine gewisse innere Gelassenheit spiegelt sich in seinem sympathischen Gesicht wider.“Und da gibt es natürlich auch die beliebten Fragen nach den eigenen Einflüssen und die Antworten, die Lobhudeleien gleichen: „Ich liebe auch Ihren Schriftsteller Čechov. Er ist einer der besten zeitgenössischen Autoren. Welche Eleganz der Stimmung, welche Tiefe der Gedanken und wie viel Edelmut gegenüber den Menschen!“„Sind Sie orthodoxer Jude?“Viele Fragen zum Judentum und dem Antisemitismus werden ihm allerdings nicht gestellt. Im Anhang werden in „Abwandlung eines Sachregisters“ Fragen fingiert, auf die Schnitzler antwortet oder „zumindest zu antworten scheint“. Ein verschwindend geringer Teil im Verhältnis zu den Äußerungen über die eigene Biografie, die Kunst, Länder oder Werke. Gleichwohl schwingt das Thema Antisemitismus immer irgendwo mit, wenn Schnitzler etwa im Gespräch einstreut: „Ich habe den Eindruck, dass die Bevölkerung Kopenhagens z.B. nicht so bewusst ‚bösartig‘ ist wie die anderer großer Städte.“Eine Antwort aber sticht heraus, scheint vieles davon zu ersetzen, worüber sich seine Biografinnen und Biografen während der vielen, jedes Mal anders akzentuierten Schnitzler-Renaissancen nach 1945 den Kopf zerbrachen. Es geht um seine Haltung zum Judentum.Auf die Frage eines Kopenhagener Journalisten „Sind sie ein orthodoxer Jude?“, antwortet Schnitzler fast wie in einem Monolog, was in dieser Länge ungewöhnlich ist und redaktionell zumindest den Anschein erweckt, er sei nicht durch Zwischenfragen – etwa zu einem Judenstaat in Palästina – unterbrochen worden. Im Wiener Hotelzimmer des Journalisten sagt Schnitzler kurz nach Ostern demnach Folgendes: „Nichts liegt mir ferner. Ich bin Deutsch-Österreicher. Ich bin in deutschen Kreisen geboren und aufgewachsen und ich fühle mich als Repräsentant liberalen deutschen Geistes und Denkens. Ich bin ein so guter Deutsch-Österreicher wie nur einer, aber deshalb würde es mir doch niemals einfallen, meinen jüdischen Ursprung zu verleugnen.Mir ist sehr wohl bewusst, dass vieles von dem, was in meinen Werken am meisten Glück gebracht hat, in hohem Maße dem jüdischen Geist geschuldet ist; es gibt verteilt in meinen Arbeiten auch ganz spezifisch jüdische Dinge. In gewissen Punkten bin ich doch ganz uneins mit der üblichen jüdischen Auffassung, z. B. in Hinblick auf die jüdische Heimatlandbewegung, die alle Juden in einer Gemeinschaft in Palästina sammeln will. Jemandes Heimat ist dort, wo er geboren und aufgewachsen ist, in dem Land, dessen Kultur man in den Jahren der Entwicklung aufgesaugt hat, wo die Physiognomie gebildet wird, und nicht in einem Land, zu welchem man nur die ferne Verbindung hat, dass es vor tausenden Jahren den Vorvätern gehört hat.“Dies ist eine bemerkenswerte Einlassung eines Schriftstellers, der die politischen Langzeitfolgen, die ohne die Ära des antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger nicht denkbar gewesen wären, ansonsten lieber literarisch verarbeitete. Etwa im Professor Bernhardi (1912) oder im Roman Der Weg ins Freie (1908) – und dabei unbelastet vom Wissen um die Shoah war, die er nicht mehr erleben musste.Über moderne Literatur wurde er auch befragt. „Es gibt eigentlich auch da nichts wirklich Neues“, sagt Schnitzler. „Es gibt eigentlich keine neuen Ideen, es gibt nur neue Gedankenintensitäten … Jede große Wahrheit ist eine Banalität, solange man sie nicht selbst entdeckt hat.“ Es ist eine pessimistische Antwort, die man auf vieles übertragen kann. Nicht zuletzt auf einen Antisemitismus, der noch immer präsent ist. 100 Jahre nachdem Schnitzler im Traum in kurzen Hosen im Rathaus stand.Placeholder infobox-1
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