Eigentlich könnte Franz Ehrlich zufrieden sein. Mit dem Funkhaus Berlin in der Nalepastraße baute er ein Hauptwerk des sozialistischen Realismus, seine Möbelserie 602 stand in DDR-Wohnzimmern, wurde ins Ausland exportiert und gilt heute als moderner Klassiker. Es gab einen Dokumentarfilm und Ausstellungen über ihn. Aber trotzdem wollte er mehr: eine Professur. Und eigentlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als eine ganze Stadt zu gestalten. Der Bauhäusler Ehrlich fand sich an Wendepunkten der Geschichte wieder. Liest man die jüngst erschienene Biografie Gefangen in der Titotalitätsmaschine, dann ist das aber keine Heldengeschichte.
Ehrlich, 1907 geboren, kam aus einer Arbeiterfamilie, war als Lehrling in einer Gewerkschaft. Seine Zukunft als Masch
e Zukunft als Maschinenbauer schien klar und vorgezeichnet, bis er 1923 zum ersten Mal dem Bauhaus begegnete. An der 1919 gegründeten Kunstschule glaubte man daran, dass Gestaltung in Zukunft nur mit Technik erfolgen könne. Das Bauhaus hatte sich von seinen moderneskeptischen Wurzeln entfernt, und die Schule legte sich ein affirmatives Verhältnis zur Rationalisierung aller Lebensbereiche zu: Einheit von Kunst und Technik.Nicht der einzige OpportunistDer junge Ehrlich konnte dort auch ohne Abitur und ohne bildungsbürgerlichen Hintergrund ein Studium aufnehmen. Er gestaltete kinetische Schaufenster, war an großen Installationen beteiligt, entwarf ein Wohnhaus, dessen Geschosse sich nach der Sonne drehen – eher eine kühne Plastik als ein realisierbarer Bau.Für das Bauhaus-Diplom brauchte Ehrlich zwei Anläufe, wenn er es denn überhaupt bekommen hat. Hinterher behauptete er jedenfalls, es sei abhandengekommen. Das passt zu dem Bild, das Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer von dem Gestalter zeichnen, denn er ist einer, der sich durchwurstelt, dessen Selbstdarstellung manchmal an Hochstapelei grenzt.Das Bauhaus wurde von den Nazis geschlossen, viele gingen ins Exil, andere dienten sich dem Regime an. Aber stimmt der Verdacht oder die These, die die Autoren äußern, dass Totalitätsanspruch der Moderne und Totalitarismus dialektisch aneinanderkleben? Der Gestalter Ehrlich jedenfalls fertigte als Student eine Skulptur an, das Ta-Ti-To-Tal-Theater (1927). Davon ist nur ein Foto überliefert, aber man kann schon erkennen, dass er sich über die von Erwin Piscator erdachte Idee des Totaltheaters in dadaistischer Art lustig machte.Nach kurzer Selbstständigkeit als – würde heute man sagen – „Designer“ geriet Ehrlich später in eine andere Totalitätsmaschine. Weil er, mittlerweile nach Leipzig gezogen, das Layout für eine kommunistische Zeitschrift gestaltete, wurde er ins Zuchthaus gesteckt, 1937 kam er ins KZ Buchenwald. Mit den Worten Hannah Arendts: ein Instrument des totalen Herrschaftsapparats. Erst dort wurde Ehrlich zum Architekten. Er musste die Wohnungen der Lagerkommandanten gestalten. Die Häuser sind im nostalgischen Heimatschutzstil erbaut, der sich unter den deutschen Faschisten größter Beliebtheit erfreute. Ehrlich entwarf Stühle und schlichte Möbel, die sich trotz ihrer Geradlinigkeit in die Interieurs einfügten. Außerdem projektierte er einen Tierpark mit Bärengehege, der an das Lager Buchenwald grenzen sollte: Sentimentalität und Grausamkeit sind im Faschismus unmittelbare Nachbarn.Ehrlich zeichnete kurz nach der Haft eine weitere, eine totalitäre Totalitätsmaschine, als wollte er die Moderne-Entwürfe von Bauhaus und Buchenwald gegenüberstellen. Aber es ist noch persönlicher, schließlich sind diese beiden Orte die Bezugspunkte von Ehrlichs Biografie. Im KZ bei Weimar entstand sein bekanntestes Werk, der Schriftzug „Jedem das Seine“, in das Eingangstor geschmiedet. Die serifenlose, klare Typografie lesen manche als ästhetische Sabotage, aber die Gegenüberstellung von gutem Bauhaus und schlechter NS-Gestaltung zerfällt immer weiter. Denn von Borries und Fischer nehmen einfache Gegensatzpaare auseinander, bis die Vorstellung von der progressiven, menschenfreundlichen Bauhaus-Moderne nicht mehr weiterhilft. Die beiden erzählen dafür beinahe einen Schelmenroman über einen Opportunisten. Nach seiner Haftentlassung arbeitete Ehrlich weiter für die SS, in der DDR versuchte er, sich als Widerstandskämpfer zu stilisieren.Von Borries und Fischer haben in der Vergangenheit ein Buch über Fertighäuser aus Metall geschrieben, die aus der Weimarer Republik in das Land exportiert wurden, das später Israel werden sollte, ein anderes handelt von Wildwest-Fantasien in der DDR. Sie sind also Experten für eine Design- und Architekturgeschichte, in der zusammenkommt, was nicht so recht zusammenpassen will. Auch im Plot um Ehrlich verdichtet sich vieles, besonders in den Gründungsjahren der DDR. Er hat ein Problem: Am Bauhaus drehte sich seine Praxis eher um Raumgestaltung und Design, Berufserfahrung als Architekt hatte er nur im KZ und später im Auftrag der Nazis. Ehrlich behauptet nun, er habe am Bauhaus in den Ateliers von Hans Poelzig, Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe gearbeitet, was nur teilweise stimmt. Bis das Diktum des Bauhaus-Direktors Hannes Meyer – Volksbedarf statt Luxusbedarf – in der DDR Anklang fand, dauerte es noch. Erst nach Stalins Tod war der aus Moskau diktierte Zuckerbäckerstil überholt.In jenen Jahren war Ehrlich nicht der einzige Opportunist, auch andere Bauhäusler dachten blitzschnell wieder vom Klassizismus zur geradlinigen Eleganz um. Dabei hatte Ehrlich längst die Idee, vom Stadtviertel bis zum Möbelstück alles auf einem Raster aufzubauen, was von anderen in der brachialen Rationalisierung der Plattenbausiedlungen umgesetzt wurde. Er hatte Pläne für Dresdens Wiederaufbau als Gartenstadt auf grünen Hügeln. Wenig wurde davon realisiert. In den 1970ern war er Maler und betrauerte verpasste Chancen. Er starb 1984 und wurde im Ehrenhain antifaschistischer Widerstandskämpfer bestattet.Placeholder infobox-1