Die Party hat immer recht

Dokumentation Techno in Teheran: Susanne Regina Meures begleitet in „Raving Iran“ eine klandestine Szene bei der Suche nach Freiraum
Ausgabe 39/2016

Die Party ist auf dem Höhepunkt. Der Beat ist entschlossen, das Licht spärlich. Im diffusen Dunkel sind Schemen von Hüften und Beinen zu erkennen. Tanzende Geister der Nacht, synchronisiert mit der Musik. Die Kamera dreht zum Fenster und blickt hinaus auf die Straße, auf der plötzlich ein blinkendes, blaues Licht reflektiert wird. Dann, zwischen Freudenschreien und dem hämmernden Bass, ein Schrei: „Die Polizei!“ Innerhalb von Sekunden ist alles vorbei. Jeder weiß, was zu tun ist: so schnell wie möglich verschwinden.

Willkommen im Iran. Einem Staat, der seiner Bevölkerung unter der Ägide des eher moderaten Präsidenten Hassan Rohani nur wenige Freiheiten einräumt. Dass dazu ganz sicher keine Partys gehören, bei denen Frauen und Männer zu elektronischer Musik tanzen, zeigt der Dokumentarfilm Raving Iran der Regisseurin Susanne Regina Meures nicht erst mit der eingangs beschriebenen Schlüsselszene. Der Film handelt von den beiden House-DJs Arash und Anoosh aus Teheran, die als Blade & Beard illegale Raves in der Hauptstadt und der nahe gelegenen Wüste veranstalten. Dabei geraten sie nicht nur mit der repressiven Ordnung, sondern zunehmend auch mit sich selbst in Konflikt.

In der Wüste

Anoosh wurde einige Monate vor dem Dreh Opfer staatlicher Gewalt. Die Narbe auf seiner Stirn stammt von einem Polizisten, der ihn bei einer Partyrazzia mit einem Schlagstock verletzt hat. Anoosh und Arash sind bei aller Leidenschaft sichtlich erschöpft davon, sich ständig zu verstecken. Ihr Alltag ist eine Aneinanderreihung von Enttäuschungen: Die Party, die sie in der Wüste planen, droht zu scheitern. Ihre Freunde wollen nicht kommen, weil sie Angst haben, verhaftet zu werden. Die Männer, die sie engagieren wollen, um an strategischen Orten nach der Sittenpolizei Ausschau zu halten, verlangen zu viel Geld. Die Tickets verkaufen sich schlecht.

Schließlich kann es doch losgehen. Kurz bevor die jungen Leute in den gecharterten Omnibus steigen, bekommen sie von Anoosh letzte Instruktionen: „Packt eure Mäntel und Hidschabs ein. Verhaltet euch unauffällig, und falls die Polizei kommt, sagt, dass ihr auf einer Hochzeit seid.“ Dann verschwindet der Bus in der surrealen Wüstenlandschaft.

Die Party ist entgegen allen Befürchtungen ein Erfolg. Am Morgen danach liegen die letzten Raver schlafend auf dem Sand, zwischen Müllresten und dem provisorischen Soundsystem. Es ist eines der schönsten, zugleich symbolträchtigsten Bilder des Films. Denn wie die müden Körper da so verloren in der Wüste liegen, stehen sie für den schönen Kater nach einer euphorischen Nacht, aber auch für die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber der großen, unüberwindbaren Macht, die hinter den Dünen lauert.

Wie sehr diese Macht immer und überall spürbar ist, vermag Meures’ Bildsprache gut darzustellen. Die Kamera wirkt stets nervös, wenn nicht paranoid. Die oft aus Sicherheitsgründen mit Handys gedrehten Bilder schaffen eine unmittelbare Nähe zur iranischen Wirklichkeit, die das Individuum in der Enge zwischen Gesetz, Staat und dem eigenen Willen einpfercht.

Deutlich wird das, als Arash und Anoosh versuchen, beim „Ministerium für Kultur und islamische Führung“ eine Party anzumelden. Im Gesicht der Beamtin, die ihnen erklärt, dass sie keine Chance hätten – westliche Musik sei komplett verboten –, lässt sich für einen flüchtigen Moment Empathie erkennen. Während der Streifzüge durch Plattenläden, in denen die beiden ihr neues Album verkaufen wollen, stoßen sie ebenfalls auf Ablehnung. Aber auch auf Menschen, denen es sichtlich unangenehm ist, als Agenten eines repressiven Regimes aufzutreten. Die iranische Gesellschaft ist zwiegespalten. Diese Widersprüche zu zeigen, ohne sie trotz des manchmal allzu pathetischen Soundtracks aufzulösen, ist die größte Stärke des Films. Was würde passieren, wenn Clubmusik nicht verboten wäre? Könnte sie ein Mittel der Emanzipation und Selbstermächtigung sein?

In Zürich

Der Vergleich mit Chicago und englischen Großstädten in den späten 80er Jahren, den Geburtsorten der House-Kultur, hinkt allein wegen der religiösen Unterschiede. Er kommt einem aber in den Sinn, weil die Clubs dort nicht nur einen Ausweg aus der Melancholie einer von Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst geprägten Generation boten, sondern auch einen Treffpunkt des Ideenaustauschs, einen Ort sozialer Sprengkraft und der Befreiung aus den überdisziplinierten Körperpanzern.

Arash und Anoosh versuchen alles, dem Möglichkeitsraum Club in ihrer Heimat eine Plattform zu geben. Doch das Bedürfnis auszubrechen wächst. Als sie von der Zürcher Street Parade, dem größten Technofestival der Welt, eine Einladung bekommen, ist die Freude groß. Europa, das ist auch die Hoffnung auf ein neues Leben. Kurz vor dem Abflug treffen sich die DJs mit einem Anwalt, um sich über das Asylrecht zu informieren. Als sie in Zürich ankommen und zwischen tausenden Ravern stehen, scheinen sie zerrissener als je zuvor. Arash hat Heimweh, telefoniert ständig mit seiner Schwester. Anoosh zweifelt. Wären sie hier glücklicher? Sollen sie wirklich die Pässe zerreißen und soziales Asyl beantragen, wie ihnen empfohlen wurde?

Schwierige Fragen, die aktueller sind als je zuvor. Im Iran sind Anoosh und Arash gefeierte DJs, abgesichert durch ihre verständnisvollen, liberalen Familien. In der Schweiz jedoch kämen sie als Geflüchtete an, Menschen zweiter Klasse. Dem Traum, endlich frei zu sein, wären sie näher als je zuvor. Doch würde ihnen das heutige Europa die Chance geben, ein anerkannter Teil der Gesellschaft zu werden?

info

Raving Iran Susanne Regina Meures Schweiz 2016, 84 Minuten

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