Immerhin keine Rote

Polen Und wie blickt Warschau auf die Bundestagswahl? Nicht viel anders als Russland, von gelegentlichen Ausfällen der Presse abgesehen

Es muss ein Zeichen zunehmender Normalität sein, dass die deutschen Wahlen in Polen nur eine beschränkte Beachtung erfahren. Die 70-jährige Wiederkehr des Hitler-Überfalls auf Polen am 1. September 1939, die Erinnerung an den Ribbentrop-Molotow-Pakt, ja zur Not die Frage der Energiesicherheit – das sind die Anlässe, aus denen zuletzt in Polen über Deutschland diskutiert wurde. Bisweilen sogar recht heftig. Aber die Wahlen?

Es scheint, als wäre es den Polen reichlich egal, ob weiterhin Angela Merkel im Amt bleibt oder von Frank-Walter Steinmeier abgelöst wird. Selbst das Wochenmagazin Wprost, sonst für ein böses antideutsches Cover immer gut, hält sich auffällig zurück. Am 1. September leistete man sich zwar ein Titelblatt, auf dem in ein historisches Foto mit Stalin und Ribbentrop Wladimir Putin und Angela Merkel hinein montiert wurden – samt der unvermeidlichen Schlagzeile: „Entschuldigt euch für den Zweiten Weltkrieg“; aber erstens war der dazugehörige Text in erster Linie antirussisch, und zweitens, wäre Steinmeier deutscher Kanzler, hätte es dann eben ihn getroffen – sozusagen habituell, ohne größere Bezugnahme ob er nun rechts oder links sei.

Erlöser und Bösewicht

Wie anders war das unter Gerhard Schröder. Der galt den Polen – in dieser Reihenfolge – einmal als großer Erlöser und dann als der personifizierter Bösewicht. Als es noch um den EU-Beitritt ging, da war Schröder und somit die bundesdeutsche Linke für viele Polen die Inkarnation des Guten – der Mann wollte Warschau schließlich in die EU holen.

Als Schröder später mit Putin zu dealen anfing, kippte die Stimmung – er wurde für so manchen konservativen Polen zum Teufel in Menschengestalt.
Angela Merkel blieb es nach ihrer Wahl überlassen, die Wogen zu glätten und das zerrüttete polnisch-deutsche Verhältnis zu entkrampfen. Weil sie das nicht ohne Geschick tat, gilt sie vielen Polen heute als eine Kanzlerin, die zwar eine Deutsche ist – das ist in manchen radikal-katholischen Kreisen schon ein Makel per se –, an der sonst jedoch nicht viel auszusetzen ist.

Rückgriff auf Psychohygiene

Für die Präsidentenpartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) feuerte der Zwilling des Präsidenten, Jaroslaw Kaczynski, unlängst zwar eine Breitseite gegen die CDU ab, indem er erklärte, dass die deutschen Christdemokraten die Westgrenzen Polens nicht akzeptieren würden, doch so richtig ernst hat er das vermutlich nicht einmal selbst genommen. Vor allem: Wäre Steinmeier Kanzler, Kaczynski hätte auch ihm die wildesten Revisionistengelüste unterstellt. Aus dem gleichen Prinzip wie das die Wochenzeitung Wprost hin und wieder zur Psychohygiene ihrer tendenziell rechtskonservativen Leser tut.

Ein wenig anders fällt da die Haltung der Bürgerplattform PO von Donald Tusk aus. Weil der Premier deutlich weniger nationale Scheuklappen als Kaczynski hat, dafür aber umso mehr ideologische, ist ihm Merkel offensichtlich sympathischer als Steinmeier – immerhin ist sie keine Rote.
Vice versa funktioniert das Prinzip auch. Das Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) tendiert eher zu Steinmeier, wobei die staatssozialistische Vergangenheit des heute sozialdemokratischen Partei zumindest bei älteren Funktionären auch zu einer gewissen Sympathie für die Linkspartei führt, bloß dass man auch hier weiß, dass die sicher nicht den Kanzler stellen wird.


In Summe bleibt der Befund ebenso klar wie unspektakulär: Wenn die deutsche Wahl vorbei ist und der Sieger feststeht, wird Warschau freundlich gratulieren und sich im Großen und Ganzen nicht mehr weiter drum kümmern. Gerade angesichts der sonst im polnisch-deutschen Verhältnis allgegenwärtigen Empfindlichkeiten, ist das eigentlich großartig: Man ist Nachbar und lässt einander im Frieden. Vorausgesetzt, es sollte nichts Schlimmeres passieren.


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