Blick zurück ohne Zorn

20. Mai 2002 Vier Jahre nach Ende der Suharto-Diktatur in Indonesien wird Osttimor unabhängig

Seit dem Sturz des dienstältesten Diktators in Südostasien befindet sich das größte und bevölkerungsreichste Land Südostasiens in einer Phase des sozialen Umbruchs. Alte politische Kräfte - vor allem das mächtige Militär - ziehen noch immer im Hintergrund die Fäden, und die Protagonisten einer demokratischen Gesellschaft sind mit gewaltigen Hindernissen konfrontiert. Einzig in Osttimor herrscht Aufbruchstimmung.
Am 20. Mai werden in dessen Hauptstadt Dili die Flaggen des weltweit jüngsten Staates gehisst. Osttimors erster Staatschef heißt für die nächsten fünf Jahre Xanana Gusmao. "Wenn ihr mich wählt", hatte der frühere Guerillachef seinen Landsleuten versichert, "verspreche ich euch, jede Last auf meinen Schultern zu tragen, die ihr mir aufbürdet". Partout keine leichte Bürde.
Die portugiesische Ex-Kolonie Osttimor wurde von Indonesien 1975/76 völkerrechtswidrig als 27. Provinz annektiert und - vorzugsweise von der Armee - bis Sommer 1999 grausam zugerichtet - mit Billigung der "westlichen Wertegemeinschaft". UN-Resolutionen, sich aus Osttimor zurückzuziehen, wurden von der indonesischen Regierung stets mit müdem Lächeln quittiert. Und von Organisationen wie amnesty international (ai) und Human Rights Watch angemahnte Aktionen, die grausame Besatzungspolitik zu stoppen, verhallten ungehört. Bis Mitte 1999 waren über 200.000 der etwa 800.000 Einwohner zählenden Bevölkerung Osttimors infolge der indonesischen Okkupation ums Leben gekommen. Als der Suharto-Nachfolger Bacharuddin Jusuf Habibie entschied, Osttimor in einem Referendum über Autonomie, Unabhängigkeit oder einen Verbleib bei Indonesien selbst abstimmen zu lassen, führte dies im August 1999 zu einem überwältigenden Votum für einen eigenen Staat. Makaber war indes, dass mit der Überwachung dieses Referendums ausgerechnet das indonesische Militär betraut wurde, obgleich internationale Beobachter der UN-Mission in East Timor (UNAMET) bereits in Dili Quartier bezogen hatten. Pro-indonesische Milizen gingen gegen alle vor, die verdächtigt wurden, gegen die fortgesetzte Herrschaft Jakartas zu votieren. Von der BBC mitgeschnittene Funkgespräche belegten die unheilvolle Allianz zwischen Militärs und Milizen. Dili wurde entvölkert, Tausende von Zivilisten abgeschlachtet und über 300.000 Menschen gewaltsam in die Berge oder nach Westtimor vertrieben.
Erst seit Mitte März 2002 müssen sich in Jakarta Milizionäre und Soldaten wegen der Massaker vom Sommer 1999 vor Gericht verantworten. Vor den Kadi zitiert sind allerdings im wesentlichen "kleine Fische". General Wiranto, Ex-Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Ex-Verteidigungsminister, sowie der einstige Generalmajor und zeitweilige Chef des Osttimor-Kommandos Kiki Syahnakri (inzwischen stellvertretender Generalstabschef) sind nicht einmal angeklagt. Durch diese Prozesse wurde vermieden, dass - ähnlich wie in den Fällen Ruanda und Ex-Jugoslawien - auch für Osttimor ein Kriegsverbrechertribunal eingesetzt wurde. Kulant ist Jakarta eingeräumt worden, ein dunkles Kapitel seiner Geschichte selbst aufzuarbeiten. Südostasien gilt Washington erklärtermaßen als "neues Refugium für Terroristen". Um das zu vereiteln, bedarf es hoch motivierter Sicherheitskräfte, nicht nur in Singapur oder auf den Philippinen, vor allem in Indonesien.
Für die künftige Regierung in Dili ist derzeit mehr von Belang, wie sich die Staatseinnahmen entwickeln, wenn jetzt das UN-Mandat endet. Die zuvor von Indonesien und Australien gemeinsam erschlossenen Öl- und Gasquellen im so genannten Timor Gap, der Wasserscheide, die Osttimor von Australiens Northern Territory trennt, waren für beide Seiten lukrativ. Doch mit der Unabhängigkeit Osttimors verlieren die zuvor bilateral ausgehandelten Verträge zwischen Jakarta und Canberra ihre Gültigkeit. Bereits Anfang Juli 2001 unterzeichneten für die australische Regierung Außenminister Alexander Downer und der Minister für Bodenschätze, Nick Minchin, gemeinsam mit dem designierten Wirtschaftsminister Osttimors, Mari Alkatiri, und dem amerikanischen UN-Gesandten Peter Galbraith einen Vertrag zur Aufteilung der Offshore-Öl- und Gasvorkommen im Timor Gap. Bis heute aber schwelt ein Rechtsstreit über die endgültige Zuordnung der Greater Sunrise Fields. Ein Konflikt, der dadurch kompliziert wird, dass Canberra einen Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag nicht akzeptieren will. So ist nicht nur die zwischen Canberra und Dili ursprünglich für den 20. Mai vorgesehene Vertragsunterzeichnung über die künftige Aufteilung der Öl- und Erdgaserlöse gefährdet, sondern auch eine weitere Erschließung. Das agrarisch ausgerichtete Osttimor mit seiner vorwiegend subsistenzbäuerlichen Bevölkerung ist von cash crops wie Kaffee, Kakao, Cashewnüssen und Sandalhölzern kaum überlebensfähig. Für den Aufbau einer Bekleidungs-, Zement- und Tourismusindustrie sind jene Finanzmittel nötig, die sich Dili von eben dem neuen Timor Gap-Vertrag verspricht - im besten Fall Jahreseinnahmen von umgerechnet etwas über 80 Millionen US-Dollar. Das Geld wird in dem weltweit jüngsten Staat und gleichzeitig ärmsten Land Südostasiens dringend benötigt.

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