Das Ende einer Traumfabrik

Nordkorea Einst als Kronjuwel der Wirtschaftskooperation zwischen Nord- und Südkore Süden gepriesen, erweist sich die Ökonomische Sonderzone von Gaeseong als kaum krisenfest

Vor neun Jahren war die Welt auf der koreanischen Halbinsel noch in Ordnung. Am 15. Juni 2000 geriet die Stimmung so euphorisch wie nie seit den Staatsgründungen beider Korea im Jahr 1948. In Pjöngjang unterzeichneten die Staatschefs, Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il, feierlich die Gemeinsame Nord-Süd-Erklärung. Die legte wirtschaftlich den Grundstein für eine bis dahin kaum für möglich gehaltene Kooperation.

Zu verdanken war das besonders der von Seoul gegenüber dem Norden verrfolgten „Sonnenscheinpolitik“. Es kam zum Aufbau des Gaeseong-Industriekomplexes (GIC) unweit des 38. Breitengrads und der Entmilitarisierten Zone, die beide Länder seit dem Ende des Koreakriegs 1953 teilt. Als dessen Schlachten toben, war Nordkoreas südlichste Stadt Gaeseong völlig zerstört worden.

Das große Träumen

Im April 2004 einigten sich nach der Vorlage des Pjöngjang-Gipfels das südkoreanische Unternehmen Hyundai Asan und das Asia-Pacific Peace Committee Nordkoreas auf ein Agreement: Die Nordkoreaner stellten auf Pachtbasis ein 66,1 Quadratkilometer großes Areal sowie anfänglich 20.000 Arbeitskräfte zur Verfügung, während Südkorea für Kapital und Technologie sorgte. Die in der entstehenden Sonderzone gezahlten Monatslöhne lagen zwischen umgerechnet 57 und 75 Dollar.

Waren 2004 erst zwei Firmen im GIC tätig, so betrug deren Zahl Mitte Mai 2009 bereits 106. Laut Südkoreas Vereinigungsminister Hyun In-Taek beliefen sich die bis dahin getätigten Investitionen auf etwa 700 Milliarden Won (knapp 495 Millionen Dollar). Kaum verwunderlich, dass im Sog dieser Hausse auch der innerkoreanische Handel nichts schuldig blieb. 1998 lag sein Volumen bei 222 Millionen Dollar, 2005 überschritt er den Wert von einer Milliarde Dollar. Südkorea avancierte nach China zum zweitgrößten Handelspartner Nordkoreas.

Am 15. März 2006 wurden im Osten und Westen des Landes zwei Bahn- und Straßenverbindungen eröffnet. Seitdem passierten Zehntausende von Südkoreanern die Grenze und zahlten umgerechnet knapp 200 Dollar, um einen Tagestrip nach Gaeseong zu genießen. Bis vor wenigen Monaten galt der GIC unter südkoreanischen Politikern und noch als „Traumfabrik des Friedens und gemeinsamen Wohlstands“. Auf beiden Seiten der Entmilitarisierten Zone träumte man davon, dass mit einem von der südkoreanischen Hafenstadt Busan bis nach Sinûiju im Nordwesten Nordkoreas reanimierten Eisenbahnnetz ein Nordostasiatischer Gemeinsamer Markt denkbar sei, der auch China und Russland einbinde.

Das große Pokern

Schlagartig wandelte sich das Bild, als Ende Februar 2008 der rechte Hardliner Lee Myung-Bak den Präsidenten Roh Moo-Hyun ablöste. „Bulldozer“ Lee setzte auf eine härtere Gangart gegenüber Pjöngjang. Der Umgangston wurde rauer, Pjöngjang beklagte sich darüber, dass von südkoreanischer Seite mehrfach Luftballons mit Anti-Kim-Botschaften über die Grenze trieben und verhängte Mitte März 2009 eine viertägige Blockade des GIC, die dazu führte, dass mindestens 400 südkoreanischen Managern kurzerhand der Zugang zu ihren Betrieben versperrt blieb. Offiziell war das die Revanche für gemeinsame südkoreanisch-amerikanische Truppenmanöver. Als dann im April ein südkoreanischer GIC-Manager wegen „feindseliger Umtriebe“ von nordkoreanischen Sicherheitskräften verhaftet wurde und sich der zweite Atomtest anbahnte, herrschte Katerstimmung in der „Traumfabrik“.

Mitte Mai erklärte Nordkorea die bestehenden GIC-Verträge mit Südkorea für ungültig und monierte die „privilegierte Behandlung” bei Löhnen und Grundstückspacht. Südkorea, so die staatliche Nachrichtenagentur KCNA, habe gemäß der innerkoreanischen Gipfelerklärung aus dem Jahr 2000 Vorteile genossen, die heute obsolet seien. Die Lee-Administration habe offen gegen Geist und Buchstaben dieser Deklaration verstoßen, eine „extreme Konfrontationspolitik'' eingeschlagen und angekündigt, bis 2014 den Verteidigungsetat um insgesamt 178 Billionen Won (100 Milliarden Euro) aufzustocken.

Pjöngjang pokert wieder einmal, soll doch die Sonderzone Gaeseong fortan nach rein geschäftlichen Prinzipien geführt werden. Verlangt werden Monatslöhne von nunmehr 300 Dollar sowie jährlich 500 Millionen anstelle von bislang 16 Millionen Dollar an Pachtgebühren und Steuern. Seoul hält das erwartungsgemäß für maßlos übertrieben, so dass drei bilaterale Treffen seither ergebnislos blieben.

Würde der GIC geschlossen, brächte das für beide Staaten ökonomische Verluste und politischen Dauerfrost, wenngleich der finanzielle Schaden für Seoul höher ausfiele. Kalkuliert wird mit einigen 100 Millionen Dollar, während Pjöngjang etwa 33 Millionen Dollar pro Jahr an Einnahmen einbüßen dürfte und 38.000 nordkoreanische Arbeiter, die bisher im Landesvergleich gut dotierte Jobs hatten, unterbringen müsste. Pjöngjangs Trumpfas ist die GIC-Infrastruktur, die notfalls für einige Zeit brachliegen könnte, bis die Kasse annähernd stimmt.

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