Gangstertum auf Gegenseitigkeit

Philippinen Unter den Toten eines Massakers in der Provinz Maguindanao waren Endes 2009 viele Journalisten. Die Täter werden wohl straffrei bleiben. Denn das Morden geht weiter

Als Moment des Grauens geht der 23. November 2009 in die jüngere Geschichte der Philippinen ein. An diesem Tag werden 57 Menschen – darunter 32 Journalisten – Opfer eines Massakers, das wegen seiner Brutalität die Nation erschüttert. In der Südprovinz Maguindanao ist ein Konvoi von Anhängern des Vizebürgermeisters von Buluan, Esmael Mangudadatu, nach Shariff Aguak unterwegs, um bei der staatlichen Wahlkommission fristgerecht Unterlagen für eine Kandidatur bei den Gouverneurswahlen im Mai 2010 einzureichen. Da Esmael Mangudadatu sehr genau weiß, dass die Provinzhauptstadt samt Umgebung seit einem Jahrzehnt vom Ampatuan-Clan als exklusive Domäne reklamiert wird, will er nicht persönlich aufzukreuzen, sondern hat seine Frau und Verwandte gebeten, begleitet von mehreren Journalisten und zwei Menschenrechtsanwälten, die Dokumente zu übergeben. Wenige Kilometer vor dem Ziel werden sie von etwa 100 Bewaffneten blockiert, aus den Wagen gezerrt, misshandelt und aus nächster Entfernung erschossen.

Bevor der Konvoi auf diese Todesfahrt geht, hat Esmael Mangudadatu wiederholt bei Armee und Polizei um Personenschutz gebeten. Er tut es vergeblich. Deren Kommandeure fühlen sich nur einer Person loyal verbunden: Datu Ampatuan senior, in Personalunion Gouverneur, Patriarch und Chef eines Clans, dessen Tentakeln weit über die Provinz hinausreichen.

Dass es am 23. November 2009 ein lange vorbereitetes Attentat gegeben hat, ist inzwischen durch Untersuchungen und Zeugenaussagen belegt. Die Mörder trafen sogar Vorkehrungen, um unverzüglich Spuren ihrer Tat verwischen zu können. Ein zuvor eigens an den Tatort beförderter Bagger hat vor dem Überfall Erdlöcher gegraben, um darin den gesamten Konvoi – die Jeeps wie deren Insassen – verschwinden zu lassen.

Der Ampatuan-Clan weiß sich 2002 mit allen politischen Ambitionen am Ziel seiner Wünsche, als Gloria Macapagal-Arroyo die Präsidentenwahl und Andal Ampatuan sr. die Gouverneurswahl in Maguindanao gewinnen. Unmittelbar danach benennen die Ampatuans mehrere Orte in der Provinz um und nach sich selbst. Unter anderem regiert Datu Andal Ampatuan jr. als Bürgermeister fortan die Gemeinde Datu Unsay und wird später einer der Drahtzieher des Massakers vom 23. November 2009 sein. Auch andere Familienmitglieder beherrschen Städte Maguindanaos wie feudale Landlords und dienen der Präsidentin als stärkste Bastion außerhalb Manilas, was so viel heißt wie: die Existenz des einen ist ohne die des anderen Lagers undenkbar. Gangstertum auf Gegenseitigkeit.

Kein Schutz für Zeugen

Im Präsidentenpalast Malacañang wird folglich das Blutbad vom 23. November als „lokaler Zwischenfall“ herunter gespielt. Frau Arroyo schickt zwar ihren Emissär Jesus Dureza nach Maguindanao, um den Ampatuan-Clan zur Kooperation bei der Aufklärung zu bewegen, doch berichten Zeugen dieses Treffens später, die Atmosphäre habe an eine familiäre Teeparty erinnert. Jesus Dureza bittet Andal Ampatuan jr. schließlich nach Manila, wo er sich der Nationalen Untersuchungsbehörde stellt. Die jedoch tut nicht mehr, als Zeugenaussage zu protokollieren, ansonsten aber jeden Zeugenschutz zu umgehen. Wer aussagen will, schwebt in Lebensgefahr oder wird per Schweigegeld gekauft. Zur bislang spektakulärsten Beseitigung eines Kronzeugen kommt es am Abend des 14. Juni, als ein maskierter Schütze in Parang (Provinz Maguindanao) den 30-jährigen Suwaib Upham erschießt, früher Mitglied einer Miliz im Dienste der Ampatuans, der kurz zuvor aus einem Versteck aufgetaucht war, um gegen seinen ehemaligen Dienstherrn auszusagen. Im Gegenzug verlangte er vom Justizministerium den aus seiner Sicht unumgänglichen Zeugenschutz. Der aber blieb ihm verwehrt, obwohl das gleiche Ministerium am 9. Februar offiziell Anklage gegen insgesamt 197 Personen, darunter 63 Polizisten, erhoben hatte, die in das Massaker verstrickt gewesen sein sollen. Womit auch letzte Zweifel ausgeräumt waren, dass staatliche Behörden eine Mitschuld am Anschlag in Maguindanao trugen. Für das in New York ansässige Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) Anlass genug, in seinem aktuellen Straffreiheitsindex die Philippinen nach dem Irak und Somalia auf Rang drei zu setzen.

Als nun am 26. Juli der neue Präsident Benigno S. Aquino III seine erste, mit Spannung erwartete Rede zur Lage der Nation hielt, beklagte er zwar, dass seine Vorgängerin ein unfassbares Haushaltsdefizit hinterließ, ignorierte aber das Verlangen nationaler Menschenrechtsverbände, wegen der unter Präsidentin Arroyo geschehenen außergerichtlichen Hinrichtungen unverzüglichen ein Gerichtsverfahren gegen sie einzuleiten. Enttäuschender noch: Wann Urheber und Täter des Gemetzels vom 23. November 2009 jemals gerichtlich belangt werden, steht in den Sternen.

Rainer Werning schreibt regelmäßig für den Freitag über die Regionen Süd- und Nordostasien und ist Autor mehrerer Korea-Bücher

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