Letzter Vorhang für Estrada

SCHAUSTELLE PHILIPPINEN Kabalen und Korruption blieben auch in der Ära des Schauspieler-Präsidenten Konstanten des nationalen Machtspiels

Erap, der Kosenamen des einst so populären Schauspielers, das rückwärts gelesen für Pare steht und Kumpel bedeutet, ist über Nacht zum Schimpfwort geworden. »Joseph Estrada, ein ungeeigneter Führer in diesen komplexen Zeiten«, erregte sich am vergangenen Sonntag der Politikwissenschaftler Randy David mit seiner Kolumne im Philippine Daily Inquirer, »wird früher oder später abtreten müssen. Das System, für das er steht, wird ebenfalls ein Ende finden. Im Interesse unserer Kinder und Enkel hoffe ich, dass wir dies bald erreichen«. Und Manilas mächtiger Erzbischof Jaime Kardinal Sin rief - zusammen mit Ex-Präsidentin Corazon Aquino - den Staatschef ebenfalls zum Rücktritt auf. »Wir wollen keinen Führer«, so der Kardinal vor über 50.000 Gläubigen, »der Autorität, aber keine Ehre hat. Wir wollen keinen Führer, der sich immer gut in der Öffentlichkeit in Szene setzt, doch das Gesicht Gottes vermissen lässt«. Als sei ein solches Verdikt in dem vorwiegend katholischen Land nicht schon schlimm genug, kam es für Estrada noch härter: Unaufhörlich wenden sich enge Weggefährten von ihm ab, bröckelt die Phalanx seiner Parteimaschinerie der Labanng Masang Mamayang Pilipino (Kampf der philippinischen Massen / LAMMP).

Luis »Chavit« Singson - Gouverneur der Provinz Ilocos Sur - hatte Estrada Mitte Oktober beschuldigt, seit Sommer 1998 etwa 550 Millionen Pesos (etwa 27 Millionen DM) an Schmiergeldern aus illegalen Glücksspielen und abgezweigten Tabaksteuern in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Singson will Estrada einen Teil dieser Gelder höchstpersönlich überreicht haben. Schließlich gehörte er zum Nachtschatten-Kabinett, dessen handverlesene Schar gemeinsam mit dem Präsidenten die Nächte im Präsidentenpalast Malacanang oder auf dessen Yachten durchzockte.

Kabalen und Korruption sind eigentlich eine Konstante in der Geschichte der philippinischen Republik. Sämtliche Amtsvorgänger Eraps waren darin verstrickt oder sahen sich gezwungen, deren Auswüchse einzudämmen. Verblüffend im Falle Estradas waren allerdings die Unverblümtheit und Rasanz, mit der er seine Klientel und die Familie bediente. Zweierlei kam ihm dabei zugute: Sein überwältigender, auf Populismus gestützter Wahlsieg für eine sechsjährige Amtszeit sowie aktive finanzielle und politische Schützenhilfe aus dem Dunstkreis der Paladine des einstigen Diktators Marcos. Überhaupt folgte Estrada in vielen Amtshandlungen dem Skript seines früheren Mentors.

Zu einem nachhaltigen Affront gegenüber den zahlreichen Opfern dieses Regimes kam es, als Estrada dafür plädierte, dieses dunkle Kapitel mit der Beisetzung von Marcos' Leichnam auf dem Heldenfriedhof von Manila zu entsorgen. Das Hofieren des Marcos-Clans und seiner Günstlinge um Eduardo »Danding« Cojuangco und Lucio Tan, die maßgeblich Eraps Wahlkampf finanziert hatten, ging so weit, dass Cojuangco den Löwenanteil des (zeitweilig beschlagnahmten) Aktienkapitals an dem Lebensmittelkonzern San Miguel Corporation zurückerhielt, erneut an die Spitze dieses Unternehmens rückte und ihm auch noch mehrere Hundert Hektar Land auf Negros (Zentralphilippinen) für den Anbau von Exportprodukten zugeschanzt wurden.

Wenn immer Ferdinand Marcos seinerzeit politisch in Bedrängnis geriet, beschwor er Feindbilder - »kommunistische Subversion« und »moslemischen Sezessionismus« - und reagierte dementsprechend. Nichts anderes tat Estrada, als er Ende Mai 1999 die Friedensverhandlungen mit der von der KP geführten Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) platzen ließ. Als völliges Desaster erwies sich auch die Politik des »totalen Krieges« im Süden des Landes. Die heute bedeutsamste, für Unabhängigkeit einstehende Moro Islamische Befreiungsfront (MILF) zu »pulverisieren«, wie er das wiederholt betonte, hat im Süden des Archipels alte Wunden aufgerissen und regionale Entwicklungsperspektiven verdüstert. Die Konsequenzen: Über eine halbe Million interner Flüchtlinge, eine vielerorts zerstörte Infrastruktur, schwere Rückschläge für Handel und Tourismus.

Krieg statt Frieden, Militarisierung statt Entwicklung, weitere Pauperisierung der Armen und schamlose Bereicherung bis in die Spitzen der Regierung - das alles hat eine tiefe Legitimationskrise in Manila heraufbeschworen, die mittlerweile von einer ökonomischen Malaise überlagert wird. Guillermo Luz, Geschäftsführer des mächtigen Makati Business Club, schätzt, dass 30 Prozent des Jahreshaushalts für »irreguläre Machenschaften« versickern. Internationale Rating Agencies sehen von den Wirtschaftsaussichten her die Philippinen im Wettstreit mit Indonesien als »kranken Mann Südostasiens«. Die Investitionsbehörde (BOI) spricht von einem Rückgang ausländischer Kapitalflüsse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 80 Prozent. Estradas Wirtschaftsminister hat bereits demissioniert - selbst das Philippine Chamber of Commerce and Industry (PCCI) empfiehlt Eraps Rücktritt.

Wie in der Endphase der Marcos-Diktatur hat sich erneut das sogenannte »Parlament der Straße« formiert - ein breites Spektrum aus Verbänden, Kirchenleuten, namhaften Intellektuellen und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Der gemeinsame Nenner dieser außerparlamentarischen Allianz: »Tama na, sobra na, palitan na« (Genug ist genug, die Zeit ist reif für einen Wechsel).

Vieles spricht dafür, dass dieser Wechsel auch außerparlamentarisch durchgesetzt wird und Vizepräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo die Nachfolge Estradas antritt. So sehr sich dieser auch bemühen mag, ein eingeleitetes Amtsenthebungsverfahren durch Schmiergelder an ihm noch geneigte Gefolgsleute im Parlament hinauszuzögern und politischen Gegnern Posten in seinem Krisenkabinett anzubieten, sie gar an Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrates teilnehmen zu lassen - es kommt zu spät für den selbsternannten »Mann der Armen«, dessen kurzlebige Amtszeit mit einem Armutszeugnis endet.

Die in den USA ausgebildete Ökonomin Macapagal-Arroyo wird es schwer haben, die Scherbenhaufen ihres Vorgängers zu beseitigen. Ob sie einen grundlegenden politischen Wandel einleitet, ist längst nicht ausgemacht. Ihr Vater, Diosdado Macapagal, war Präsident in der ersten Hälfte der sechziger Jahre. Mit seinem Namen verbunden ist eine Politik, die damals »Deregulierung« genannt wurde und erstmals dem IWF und der Weltbank ein weites Aktionsfeld einräumte. Wenn seine Tochter in diese Fußstapfen tritt und weniger schwankend als Estrada die Politiken von IWF und WTO durchsetzt, dürften wirtschaftspolitisch ähnliche Konflikte anstehen wie im Nachbarland Indonesien.

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