Operation "Notwehr"

Nordkorea/USA Kim Jong Il pokert hoch und will Washington zum direkten Dialog drängen

Wächst die Gefahr eines amerikanischen "Zwei-Fronten-Krieges" gegen Irak und die Demokratische Volksrepublik Korea? Misst Washington mit zweierlei Maß, was die Reaktion auf die vermeintlichen und tatsächlichen Atomanlagen in beiden Ländern angeht? Zentrale Fragen, seit Pjöngjang aus dem Atomwaffensperrvertrag ausgestiegen ist und die Überwachungsanlagen der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) im Kernkraftkomplex Yongbyon demontieren ließ. Sibyllinisch die Äußerung von Donald Rumsfeld, man sei durchaus imstande, zwei Kriege gleichzeitig zu führen.

Für westliche Analysten und Politiker bleibt Nordkorea, was es nach seiner Gründung am 9. September 1948 ist - bestenfalls terra incognita. Seit dem Koreakrieg (1950-53), dem ersten "heißen" Konflikt im Kalten Krieg, gilt die Volksrepublik in Washington als der "Schurke" Ostasiens. Seit einem Jahr ist sie - neben Irak und Iran - Teil der von Präsident Bush so genannten "Achse des Bösen". Rodong Shinmun, das Zentralorgan der regierenden Partei der Arbeit Koreas (PdAK), konterte kürzlich: Die USA seien eine "Nation von Kannibalen" und "von moralischer Lepra" befallen.

Die gegenseitige Abneigung ist Ausdruck der Koreapolitik seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Von 1910 bis 1945 war Korea japanischer Kolonialbesitz. Danach geriet das Land in den Strudel imperialer Großmachtpolitik; noch heute sind etwa 37.500 GIs im Süden der Halbinsel stationiert. Nach der erzwungenen Teilung (1948) führte der dreijährige Koreakrieg die Welt an den Abgrund eines neuerlichen Weltkrieges. Vor allem Nordkorea wurde in die Steinzeit gebombt. Damals klagten amerikanische Piloten, es gäbe dort partout keine Ziele mehr. Dieses Ausmaß an Zerstörung wirkt bis heute traumatisch nach. Carter J. Eckert, Direktor des Harvard Center for Korean Studies, spricht von einer "permanenten Belagerungsmentalität" im Norden. Praktisch die gesamte Bevölkerung lebte und arbeitete zwischen 1950 und 1953 in unterirdischen Bunkern, um den ständigen Angriffen der US-Bomber zu entgehen, von denen jeder - aus Sicht der Nordkoreaner - ein Atombombe tragen konnte.

Noch heute ist Südkorea weltweit der einzige Staat, in dem ein Vier-Sterne-General aus den USA - in Personalunion Kommandeur der dort stationierten US- und UN-Truppen sowie der südkoreanischen Streitkräfte (mit Ausnahme der präsidialen Leibgarde) - als Oberbefehlshaber in einem fremden Land residiert. Schließlich regelt seit 1953 lediglich ein Waffenstillstandsabkommen den fragilen Frieden auf der Halbinsel. Südkoreas damaliger Präsident Rhee Syngman wollte übrigens den Krieg fortsetzen und weigerte sich, diesen Vertrag zu unterzeichnen.

Kim Jong Ils Junktim - Inspektionen gegen Nahrungsmittel

Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten und verheerende Naturkatastrophen haben Nordkorea in den neunziger Jahren arg zugesetzt und seinem Autarkiekonzept in Gestalt der Dschutsche-Ideologie (Schaffen aus eigener Kraft) enge Grenzen gesetzt. Hungersnöte begleiteten die Wirtschaftskrise, akuter Energiemangel führte zur chronischen Unterauslastung von Betriebskapazitäten. Von der Energieknappheit sind in diesem Winter selbst diplomatische Missionen und Hilfsorganisationen in Pjöngjang betroffen. So hat sich die Führung des Landes auf ein Junktim besonnen, das in der Vergangenheit stets erfolgreich war - nämlich Nahrungsmittelhilfen des UN-Welternährungsprogramms (WFP) im Austausch für Inspektionen nordkoreanischer Kernkraftkomplexe anzubieten. Nun allerdings pokert Pjöngjang sehr hoch, indem es die Irak-Krise nutzt, um die USA erneut zu Direktgesprächen zu drängen und endlich als gleichberechtigter Verhandlungspartner ernst genommen zu werden.

Bereits Mitte 1994 hatte es den Anschein, als stünde die koreanische Halbinsel an der Schwelle eines militärischen Konflikts. In Südkoreas Städten heulten die Sirenen, es gab Luftschutzübungen, in der Metropole Seoul kam es zu Hamsterkäufen - vor allem bei Instant-Nudel-Gerichten. US-Medien beschworen die Gefahr des "nuklearen Gangsters" Pjöngjang herauf, während die Endlosbilder von CNN das innenpolitische Klima aufheizten. Nordkorea - so die Botschaft - produziere eigene Kernwaffen und gefährde die Sicherheit in ganz Ostasien.

Entschärft wurde der Konflikt durch die am 21. Oktober 1994 in Genf bilateral ausgehandelten Rahmenvereinbarungen (Agreed Framework). Demnach sollte Pjöngjang für die Preisgabe seines Nuklearprogramms zwei 1.000-Megawatt-Leichtwasserreaktoren bis 2003 erhalten. Bis zu deren Inbetriebnahme verpflichteten sich die USA, an Pjöngjang jährlich 500.000 Tonnen Schweröl und Kohle im Gesamtwert von umgerechnet knapp 4,6 Milliarden Dollar zu liefern. Mit den Hilfssendungen wurde ein Jahr später (1995) das eigens zu diesem Zweck gegründete Nuklearkonsortium Korean Peninsula Energy Development Organisation (KEDO) betraut, dessen Federführung bei den USA, Japan und Südkorea liegt. Der Zeitplan geriet jedoch aus den Fugen und bis dato ist nur ein Bruchteil der Bauarbeiten abgeschlossen, was Pjöngjang angesichts eingestellter Öllieferungen veranlasste, im Gegenzug die Reaktoren in Yongbyon wieder hochzufahren.

    Verfeindete Brüder

    August 1948

    Die Proklamation der "Republik Korea" im Süden beendet offiziell die US-Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg in Asien, obgleich 35.000 US-Soldaten auf der Halbinsel verbleiben.


    September 1948

    Proklamation der "Demokratischen Volksrepublik Korea" unter Kim Il Sung.


    Juni 1950 bis Juli 1953

    Korea-Krieg zwischen beiden Staaten, wobei chinesische Freiwillige auf der Seite des Nordens kämpfen, während die USA an der Spitze von UN-Kontingenten stehen, die in die Kampfhandlungen eingreifen. Am 27. Juli 1953 wird das Waffenstillstandsabkommen von Panmunjom unterzeichnet - von China, Nordkorea und der UNO, nicht von den USA und Südkorea.


    Mai 1961

    Errichtung einer Militärdiktatur im Süden unter General Park Chung-hee.


    Dezember 1972

    Die Volksrepublik im Norden verabschiedet eine neue sozialistische Verfassung.


    März 1980

    Gegen die nach der Mord an Park Chung-hee errichtete Militärdiktatur des Generals Chun Doo-hwan gibt es Massenproteste - in der südkoreanischen Stadt Kwangju mit fast 1.000 Toten.


    Mai 1985

    Nordkorea unterzeichnet den Atomwaffensperrvertrag.


    September 1990

    Erstmals seit Ende des Korea-Krieges erkennt der Norden eine Regierung im Süden als rechtmäßig an.


    September 1991

    Beide koreanische Staaten werden gleichzeitig in die UNO aufgenommen.


    Juli 1994

    Tod von Kim Il Sung, sein Sohn Kim Jong Il übernimmt nach und nach die Funktionen des Partei- und Staatschefs.


    Oktober 1994

    Genfer Vereinbarung zwischen den USA und Nordkorea über eine atomwaffenfreie Zone auf der koreanischen Halbinsel.


    Dezember 1997

    Wahl des ehemaligen Dissidenten Kim Dae-jung zum neuen Präsidenten Südkoreas.


    Juni 2000

    "Versöhnungsgipfel" zwischen den Präsidenten Kim Jong Il und Kim Dae-jung in Pjöngjang zum Höhepunkt der sogenannten "Sonnenschein-Politik" zwischen Nord und Süd. Protokolle über Familienzusammenführung und Wirtschaftskooperation.


    März 2001

    Eine politische Intervention des neuen US-Präsidenten George W. Bush führt zum Abbruch des Nord-Süd-Dialogs auf der koreanischen Halbinsel.


Bushs Korea-Politik - Revision und Revanche

Imperialem Wunschdenken zum Trotz und entgegen hoch dotierter Prophezeiungen von Denkfabriken wie der Londoner Economist Intelligence Unit implodierte die Volksrepublik nicht wie die Regimes in der Sowjetunion und im übrigen Osteuropa. Im Gegenteil: Die politische Führung in Pjöngjang zeichnet sich durch bemerkenswerte Kontinuität aus. Der "Geliebte Führer" Kim Jong Il stützt sich auf eine Regierung, in der die militärische und zivile Machtbalance zwischen alten Partisanen, im Ausland geschulten Eliten und autochthonen - im Lande selbst, vorrangig an der Kim Il Sung-Universität ausgebildeten - Kadern austariert ist. Vom "starken und gedeihenden Staat" (kangsòng taeguk) ist die Rede, in dem Kim seine politische Legitimität unter Berufung auf die Fortführung der Lehren seines Vaters Kim Il Sung und mithin die eigene Machtbasis zu stärken vermochte. Im Dezember 1991 war Kim Jong Il zum Oberkommandierenden der Volksarmee ernannt worden und im April 1993 zum Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungskomitees avanciert. Generalsekretär der PdAK wurde er formell dagegen erst im Oktober 1997.

Unter diesen Bedingungen skizzierte William Perry, ehemaliger (republikanischer) Verteidigungsminister der USA und einer der Architekten des Agreed Framework, im Auftrag von Präsident Bill Clinton Washingtons künftige Nordkoreapolitik. Die Bedeutung des am 12. Oktober 1999 veröffentlichten Perry-Reports lag unter anderem darin, dass er die Prämisse eines kurz- bis mittelfristigen Zusammenbruchs Nordkoreas revidierte, Südkoreas "Sonnenscheinpolitik" ausdrücklich befürwortete und das seit dem Koreakrieg wichtigste US-amerikanische Entspannungssignal aussandte. Ein Jahr später besuchte gar US-Außenministerin Madeleine Albright die Volksrepublik. Pjöngjang zeigte sich seinerseits bereit, die Produktion, Stationierung und Ausfuhr aller Raketen mit einer Reichweite von über 500 Kilometern einzustellen. In beiden strategischen Fragen - in der Atompolitik und bei den ballistischen Raketen - war man einem Konsens näher gekommen.

Was also Ende der neunziger Jahre zu einer veritablen Entspannung auf der koreanischen Halbinsel führte, schob die neue Administration unter George W. Bush polternd beiseite. Selten ist ein Staatsgast im Weißen Haus dermaßen düpiert worden wie der Ende 2000 gerade wegen seiner "Sonnenscheinpolitik" mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete südkoreanische Präsident Kim Dae-jung. Anlässlich seines Staatsvisite in den USA (Anfang März 2001) nannte Bush Nordkorea ohne Umschweife einen "Bedrohungsfaktor" in Ostasien, mit dem weitere Gespräche ausgesetzt würden. Als er dann auch noch den innerkoreanischen Dialog in Zweifel zog und Kim Dae-jungs Annäherung an den Norden als naiv hinstellte, ließ das die südkoreanische Delegation wie eine Ansammlung politischer Dilettanten aussehen.

Kein Wunder, dass die USA in Südkorea mittlerweile schlechte Karten haben und die Kritik an der Truppenpräsenz wächst. Südkoreas gerade gewählter Präsident Roh Moo Hyun hat gegenüber dem transpazifischen "Schutzpatron" größere Souveränität angemahnt, außerdem will er Pjöngjangs Atompoker als internes Problem ohne Einmischung von außen gelöst wissen. Eine Position, die von der bedeutendsten Regionalmacht geteilt wird - der von Washington als "strategischer Gegner" eingestuften Volksrepublik China. Und bei alledem steht noch immer der Beweis aus, ob Nordkorea technologisch überhaupt in der Lage ist, waffenfähiges Plutonium herzustellen.

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