Allein unter Frauen

DER BOCK ALS GÄRTNER Die Neue Nationalgalerie Berlin feiert Helmut Newtons 80. Geburtstag mit einer ausgiebigen Werkschau

Es ist schon ein ungewöhnlicher Empfang, der sich einem da im Foyer der Neuen Nationalgalerie in Berlin bietet. Wo beim Eingang zu Mies van der Rohes lichtdurchfluteter Gemäldegalerie normalerweise angestrengtes Schweigen vorherrscht und allenfalls noch ein Museumswärter in schlecht sitzender Uniform die Andacht mit grantelnden Verhaltensnormen bricht, verstellen einem momentan zahlreiche übergroße Frauen den Weg. "Big Nudes" nennen sich die zweidimensionalen Damen in schwarz-weiß, die nicht nur Sichtblende für die dahinterliegende Ausstellung sein sollen, sondern zugleich auch Sichtfang, der dafür sorgt, dass im Foyer des Hauses die Kassen klingeln.

Sex sales - eine Weisheit, die sich nicht nur in der Neuen Nationalgalerie herumgesprochen hat, sondern die besonders auch der Mann kennt, der die "Großen Nackten" hier fotografisch in Szene gesetzt hat: Helmut Newton. Nicht verwunderlich also, dass seine vom Deutschen Centrum für Photographie präsentierte Werkschau zum Berliner Publikumsmagneten geworden ist. Wer da noch die Picassoausstellung im Kellergeschoss vorzieht, ist entweder hoffnungslos prüde oder sucht seine Ruhe. Ein Enfant terible jedenfalls, wie vielleicht noch in den sechziger und siebziger Jahren, ist der gebürtige Berliner Fotograf schon lange nicht mehr. Eher schon der kleine Wochenendkick für die intakte Kleinfamilie, und so sieht man im Museumsshop zahlreiche Paare, die mit dem Newton-Kalender 2001 unter dem Arm glücklich wieder nach Hause schlendern. Wenn es denn der Kunst dient - warum nicht?

Provokation wäre sicherlich auch zu viel verlangt von einem Mann, der unlängst seinen 80. Geburtstag gefeiert und der mit seinem fotografischen Werk die Kunstkritik bereits ausgiebigst versorgt hat. Im Alter, so scheint es, wird das Leben ein ruhiger Fluss. Helmut Newton jedenfalls, dem die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer noch vor Jahren eine faschistische Ästhetik nachweisen wollte und der wohl noch heute Persona non grata in jedem Frauencafé wäre, ist längst im Pantheon der Fotografie angelangt.

Sexismus, das war vor Jahren noch eines der geringeren Übel, die man Newtons Fotografien nachgesagt hatte. Doch von all dem vernimmt man in Berlin kaum noch ein Wort. Statt dessen ist Helmut Newton schon lange zu einem Starfotografen in jeglichem Sinne geworden. Politiker, Schauspieler, Künstler - kaum jemand, der nichts darum gäbe, von dem Meister der schwülen Phantasien in die rechte Pose gesetzt zu werden. Der Fotograf, der einst die Gesinnungsgräben weit aufriss, hat sie - als Auftragsfotograf zumindest - auch wieder zugeschüttet. Porträtiert hat er die Symbolfiguren aller politischen und ästhetischen Lager: Helmut Kohl etwa vor deutscher Eiche und Gerhard Schröder vor einer nichtssagenden Ziegelsteinmauer; Andy Warhol im Bett und Anthony Hopkins mit bösem Blick. Helmut Newton ist bis in seine späten Porträtaufnahmen hinein ein Genius der Inszenierung, einer, der den Göttern der Moderne jenen Mythos verpasst, der ihnen steht. Leni Riefenstahl etwa, die er Anfang der achtziger Jahre einmal auf einer sommerlichen Blumenwiese porträtiert hat, bekommt bei Newton eine Aura, die sie sich in den Dreißigern sicher noch verbeten hätte. Für das nötige Kleingeld aber kann man bei Newton aus übelster Propaganda auch flugs mal Blümchenfaschismus zaubern.

Geprobt hat Helmut Newton diese Kunst des fotografischen Schauspiels von Beginn an. Schon seine ersten veröffentlichten Mode- und Aktfotografien aus den frühen sechziger Jahren sind reichhaltig ausstaffierte Inszenierungen. Newtons Welt, das ist ein Kosmos aus Phantasien und Wünschen, aus Brechungen und Verdoppelungen, Spiegeln und Vorspiegelungen. Es war der Philosoph Vilém Flusser, der die Fotografie einmal als Spiel und den Fotografen als "Homo ludens" bezeichnete, als einen Spieler, der in seinem Drang, die Welt in Symbole zu verwandeln, letztlich nur mit den Möglichkeiten spiele, die die Kamera ihm an die Hand gebe. Wenn dem so ist, dann gehört Helmut Newton sicherlich zu den Spielmachern auf diesem Betätigungsgebiet. Denn Newtons Spiel, das war von seinen frühen Aufnahmen für die französische und die deutsche Vogue an ein doppeltes, ein inhaltliches wie auch ein stilistisches.

So betrachtet, verwundert es nicht, wenn die Darstellung von Erotik und Sexualität bei Helmut Newton fast immer zu einer sadomasochistichen Inszenierung verkommt. Denn Sadomasochismus ist Theater, ist das permanente Durchspielen einer vorgegebenen Choreographie, bei der zumeist früh erlittene Erniedrigungen sexualisiert werden. Auf diesem Gebiet sind Newtons Phantasiewelten nahezu unerschöpflich, die Insignien von Macht und Ohnmacht grenzenlos. Es ist das Motiv der Femme fatale, das sich seit über vierzig Jahren durch sein Werk hindurchzieht, das männerfressende Monster, das fotografisch fixiert wird. Als Regisseur dieser bis ins Surreale entgleitenden Vorstellungswelten spielt Helmut Newton mit allen Stoffen und Zeichen, die auf diesem Gebiet bekannt sind: von der antiken Pandora bis zu E.T.A. Hoffmans Maschinenfrau, von der bürgerlichen Salondame bis zur Fragmentierung des weiblichen Körpers.

Die vordergründige Dominanz aber, die dabei von seinen Frauenakten ausgeht, ist zumeist nur Vorspiegelung falscher Tatsachen. Wer in Newton den geeigneten Gehilfen für die weibliche Emanzipation erblickt - wie im Anfangstext der Berliner Ausstellung suggeriert - der hat den Bock wahrlich zum Gärtner gemacht. Vielmehr ist Newtons Fotografie eine Segelanleitung durch das Gebiet von Sirenen, ein Abwehrkampf gegen die Übermacht weiblicher Verlockungen. Ob die Immunität des coolen Blickes, der beinahe alle männlichen Protagonisten seiner Inszenierungen auszeichnet, die bildliche Zerstückelung und Demontage des weiblichen Körpers oder die 1980 entstandenen Röntgenaufnahmen eines Unbekannten Models - stets fragen Newtons Fotografien auch nach dem Ursprung von Reiz und sexueller Anfechtung, nach Widerstands- und Abwehrfähigkeit. In jedem Sexmaniac, so scheint es, wohnt halt auch ein Professor Unrat.

SM aber ist nur eine Seite, ist nur der optische Stoff, der das Fundament für Newtons fotografische Spielereien liefert. Auch wenn der Schüler der Berliner Modefotografin Yva nie eine Gelegenheit ausgelassen hat, um zu beteuern, dass er mit seinen Bildern keine Kunst schaffen wolle, so hat er über vier Dekaden hinweg doch eine einprägsame und höchst eigene Ausdrucksweise entwickelt; eine Handschrift, die man nicht nur in der Fotografie, sondern auch in der Videoclipästhetik und im Film des öfteren zu kopieren versucht hat. Ob David Lynch oder Robert Altman - im neuen Hollywood ist Newtons Blick auf die Dinge längst zur viel zitierten Coolness des Sehens geworden.

Dieser Blick ist es, der aus den schlüpfrigen Themen künstlerisch anerkannte Bildwelten geformt hat. "Die Pornographie", so hat Roland Barthes einmal trefflich formuliert, "stellt gewöhnlich das Geschlecht dar; sie macht ein unbewegtes Objekt daraus, beweihräuchert wie ein Gott, der seine Nische nicht verläßt. Die erotische Photographie hingegen macht das Geschlecht nicht zum zentralen Gegenstand, sie führt den Betrachter aus ihrem Rahmen hinaus; und das macht, daß ich ein bestimmtes Photo animiere und es mich animiert". Kurz gefasst: ein entblößter Körper ist noch keine Kunst, ein Nackedei macht noch keine Muse. Vielmehr ist es das Spiel mit den Perspektiven, das Entgleiten in Welten und Gegenwelten, das die Originalität von Newtons Anschauungen ausmacht.

Wer sich auf Newtons Bilder einlässt, der befindet sich schon bald im Zentrum einer Verwirrung. Überall befinden sich Spiegel und Leinwände, Monitore oder Gemälde. Kaum dass man den Mittelpunkt einer Fotografie ausgemacht zu haben meint, öffnet sich eine Tür, hinter der sich eine weitere Perspektive auftut. Oft finden sich auf seinen Fotos Doppelgängerinnen, die die Blicke zurückwerfen und reflektieren, umleiten oder brechen. Auf seinen besten Fotografien zerstört Helmut Newton den Heroismus des Sehens, dass einem geradezu schwindlig werden kann. Am Ende weiß der Betrachter oft nicht mehr, wer nun Voyeur und wer Exhibitionist, wer Narziss und wer Echo ist. Manchmal ertappt man sich sogar bei dem idiotischen Versuch, die großflächigen Spiegel auf den Fotografien auf sein eigenes Gesicht hin zu untersuchen.

Die Hotelgäste und Salondamen jedenfalls, die devoten Butler und das bourgeoise Personal, das man dutzendfach auf den 350 Bildern in der Neuen Nationalgalerie finden kann, sie werden durch die tausend Augen des Helmut Newton fast zu einer "Geschlossenen Gesellschaft", zu einer Verschwörung, die noch einmal nachsitzen muss, um Sartres Existentialismus durchzudeklinieren: die Hölle, das ist die "Big Nude", die "Große Nackte", die einem die Rolle vorgibt, die man in Newtons Inszenierung zu spielen hat.

Helmut Newton: Work. Neue Nationalgalerie Berlin. Potsdamer Straße 50. Noch bis zum 07.01.2001.

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