Es ist schon länger her, da war der Krieg ein Augenschmaus. Auf Schlachtengemälden wie denen Albrecht Altdorfers oder Peter Paul Rubens wurde er zur ästhetischen Weltenlandschaft aufgeblasen. Begibt man sich etwa in Münchens Alter Pinakothek vor Altdorfers berühmter Alexanderschlacht, dann wird der Strudel des Gefechts für den Betrachter beinahe physisch erlebbar. Aus der Totalen schaut man in den Taumel des Krieges, als wäre man nicht mehr Museumsbesucher, sondern der Imperator selber. Ungerührt blickt man auf die Soldateska hinab, die erst im Massenpanzer überhaupt wahrnehmbar wird. Der Einzelne ist hier nicht mehr als ein paar Farbkleckse - Zierrat in der Darstellung historischer Weltminuten und Requisit in einer Geschichte großer Männer.
Bevor die Kunst den Realismus erfand, war Kriegsvermittlung noch ein Kinderspiel. Schließlich ging es nicht um Wahrheit, sondern schlicht um das Wesen historischer Notwendigkeiten. Da konnte auch schon einmal auf breiter Front gestorben werden - vom Standpunkt des Feldherrnhügels lassen die Punkte im Getümmel kalt. "Der hohe Blick des Feldherrn erblickt die Dinge unberührt von der Ausstrahlung des Schmerzes und der Leidenschaft", schrieb Ernst Jünger noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Entfernung scheint die Voraussetzung der Herrschaft zu sein. Auf den Kriegsbildern, die zumeist von Monarchen und Militärs in Auftrag gegeben wurden, konnte die Perspektive nicht großräumig genug und das Geschehen nicht weitläufiger sein. Die Masse als moralische Größe wandelte sich so in einen hübsch anzuschauenden Gegenstand.
Vermutlich hätte die Administration Bush heute weniger Probleme, der Öffentlichkeit einen Krieg schmackhaft zu machen, hätte sich daran seither nicht einiges geändert. Mit dem bürgerlichen Zeitalter geriet die Schlachtenmalerei in ein Dilemma. Der Krieg von oben war nicht mehr en vogue. Auf den Druckgraphiken Goyas oder Alfred Rethels wurde mit einem Mal in die Zentralperspektive gewechselt. Und das Ergebnis dieses Blickwechsels zeigt bis heute nachhaltig Wirkung. Das Kriegsbild wandelte sich zu einer Schau der zerbrochenen Leiber. Wer sich Goyas Serie Desastres de la guerre anschaut, der bekommt einen ersten Geschmack davon, wie das Gemetzel wirklich ausschauen könnte. Hier gibt es keine geschichtstheologische Symbolik mehr, sondern himmelschreienden Realismus.
Als wäre die Revolution des Blickes aber noch nicht genug, kündigte sich zur gleichen Zeit noch ein epochaler Medienwechsel an. Mit der Erfindung der Fotografie, musste die Kriegsvermittlung völlig neu überdacht werden. Nicht erst die Luftkriege des 20. Jahrhunderts ließen den Begriff "Heimatfront" als sensible Größe in den militärischen Planungen auftauchen, sondern die technische Möglichkeit, den Krieg authentisch zu reproduzieren. Wo sich Kriegszone und privater Raum medial ineinander schieben lassen, steht die Schlachtenvermittlung vor neuen Herausforderungen. Mit der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt die Stunde der Propagandisten.
Die ästhetischen Größen, mit denen sich noch heute die politischen Öffentlichkeitsarbeiter herumschlagen müssen, sind somit hinlänglich eingeführt. Das Spiel um die Wahrheit kann beginnen. Schaut man näher in die Geschichte der Kriegsfotografie, so fällt auf, dass die kleinen Tricksereien bis heute eigentlich die gleichen geblieben sind. Der erste wirkliche Kriegsfotograf, Roger Fenton, ließ sich für seine Aufnahmen vom Krimkrieg von der britischen Regierung bezahlen. Da diese ein handfestes Interesse daran hatte, die festgefahrenen Gefechte mit der russischen Armee in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, zeigten seine Bilder den Krieg als Picknick. Unter Rücksichtnahme des viktorianischen Chics, ließ er Grauen und Tote einfach jenseits der Ränder der Belichtungszone liegen.
Fenton nimmt somit eine simple Methode vorweg, die im modernen Medienkrieg erst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt werden sollte. Er zeigt den Krieg als Auslassung oder nimmt ihn, wie Jean Baudrillard es für den Falklandkrieg und den ersten Golfkrieg formulierte, als "nicht stattgefunden" auf. Für die sich gerade erst herausbildende Mediengesellschaft ein einmaliger Coup. Schließlich war das Vertrauen in die Wahrheit technischer Bilder noch ungetrübt. Die Glaubwürdigkeitskrise der Fotografie sollte erst viel später einsetzen. Noch galt, dass das scharfe Oberflächenbild der Fotografie nur allzu gut den Bedürfnissen der vom Positivismus gezeichneten Gesellschaft entsprach. Somit war mit Fenton erstmalig der Krieg als eine Landpartie beglaubigt worden.
In den amerikanischen Sezessionskriegen allerdings geriet die Kriegsfotografie außer Kontrolle. Allein auf Seiten der Nordstaaten hatten sich 500 Journalisten zu den Gefechten "akkreditiert". Einer der Ersten, der unverblümt auf die Kämpfe "draufhielt" war Timothy O´Sullivan. Sein Bild Ernte des Todes, das gefallene Soldaten nach der Schlacht von Gettysburg zeigt, visualisiert den Krieg erstmals nüchtern und ohne Heldentum. Denn O´Sullivan zeigt, was Fenton noch vertuschen konnte: Eine Landschaft im Morgengrauen, über die sich schwer die Toten legen.
Für die Kriegsführenden Parteien muss sich in dieser Aufnahme geradezu eine Urangst verdichten. Denn was waren die bezaubernden Carte-de-Visite-Bildchen, die die Soldaten dutzendfach für die Familie nach Hause schickten, in Anbetracht dieses Skandals des Realen? Nur die ökonomischen Bedingungen konnten eine derartige Kriegsikonographie vorerst noch in ihre Grenzen weisen. Gisèle Freund, Fotohistorikerin und selbst lange Jahre als Dokumentarfotografin tätig, weiß in einer kleinen Anekdote zu berichten, dass O´Sullivans Auftraggeber derartige Bilder nur schwer an den Mann bringen konnte. Bei dem Gettysburg-Unternehmen verlor er nahezu sein gesamtes Vermögen.
Auch hier spielt die frühe Geschichte des Medienkriegs nur schon einmal durch, was gegenwärtig auf den amerikanischen Fernsehkanälen seine große Wiederholung findet. Krieg ist ein Bombengeschäft, solange man weiß, was man zeigen darf. In der symbolischen Politik bekommt nur der die Interpretationshoheit über die Wirklichkeit, der den Mut zur semiotischen Lücke hat. Kriegsgewinnler wie Ted Turner oder Rupert Murdoch haben ihre Lehren aus den ersten großen Pleiten des Informationsfeldzugs gezogen. Wenn dieser Tage auf CNN oder Fox News lieber auf die Erotik von seitlich angeschnittenen Tarnkappenbombern vor Sonnenuntergang gesetzt wird, dann hat das nicht nur etwas mit politischer Zensur zu tun.
Im Gegenteil: Dass der Politik das Kriegsbild aus den Händen glitt, merkte man dort erst, als es fast zu spät war. Erst die Aufnahmen, die Don McCullin oder Ronald Haeberle einmal aus Vietnam mitbringen sollten, machten deutlich, wie sträflich man den Infokrieg an der Heimatfront vernachlässigt hatte. Bis dahin aber waren die Fotografen bemüht, sich möglichst nah an die Wahrheit des Krieges heranzupirschen. Eine der berühmtesten Kriegsfotografien überhaupt, Robert Capas Aufnahme eines amerikanischen GI´s während des D-Days 1944, zeigt dies nachhaltig. Als läge Capa mit dem fast ertrinkenden Soldaten zusammen an der Front von Omaha Beach, guckt man den Geschehnissen direkt ins Auge. Dynamik und Emotionen eines Angriffs sind vermutlich nie realistischer dargestellt worden. Altdorfers Alexanderschlacht und Capas D-Day-Fotografie markieren die beiden Enden, zwischen denen sich die Perspektive auf den Krieg bewegen kann.
Erst aber als Ronald Haeberle 1968 das Massaker von My Lai fotografierte, erkannte man, dass der Realismus zum Problem wurde. Die Aufnahme, die den Mord an Hunderten Zivilisten zeigte, war derart abstoßend, dass selbst Richard Nixon nicht mehr hinschauen wollte. Sie bildete nicht nur den Anfang vom Ende des Unternehmens Vietnam, sondern läutete besonders in den USA einen radikalen Wandel in der Informationspolitik ein.
Das Trauma in Indochina, so diagnostizierte das Pentagon in den siebziger und achtziger Jahren, war letztlich auch einem fahrlässigen Bildverlust geschuldet. Erst jetzt begann man darüber nachzudenken, wie man die technischen Bilder für die eigene Sache nutzbar machen konnte. Der Kulturwissenschaftler Ulrich Hägele hat darauf hingewiesen, dass in den Kriegen der vergangenen Jahre das Grauen mehr und mehr zurücktritt, "zugunsten einer kontrollierten Fotografie, die ausblendet und dabei auf ein ikonographisches Gedächtnis beim Betrachter setzt, das für Stereotypen, Mythen und Illusionen besonders empfänglich ist". In einer Untersuchung des Bildmaterials vom "Antiterrorkrieg" in Afghanistan stellt Hägele fest, dass in der deutschen Tagespresse gerade einmal fünf Fotografien zu finden waren, die die Thematik der zerstörten Körper aufgriffen.
Statt auf den Schock über das Konkrete setzen die Bilder mehr und mehr auf bekannte Symbolwelten. Fotografien, die an die religiösen Thematiken der Madonna mit dem Kinde oder der Pietà anknüpfen, treten an die Stelle eigentlicher Kriegsbilder. Derartige "Ideogramme" aber, wie Pierre Bourdieu solche Bildzitate einmal genannt hat, sind letztlich nichts als Platzhalter. Nachdem besonders während des ersten Golfkriegs die Informationsbeschaffung für Journalisten extrem reglementiert worden ist, bleibt vielen Bildjournalisten nichts anderes übrig, als auf die klassischen Sujets der Sozialfotografie zurückzugreifen. In Flüchtlingslagern und den befriedeten Gebieten an den Rändern der Kriegsschauplätze machen sie seither Aufnahmen, die eher an die zivilen Motive Dorothea Langes oder Werner Bischhofs, denn an Robert Capa oder James Nachtwey erinnern.
Die eigentlichen Frontaufnahmen indes kommen vom Militär selber. Interessanter Weise knüpfen sie nach Vietnam wieder dort an, wo man zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters aufgehört hatte. "Der Krieg", so hat es Paul Virilio einmal formuliert, "ist zuallererst die Organisation eines Wahrnehmungsfeldes". Gezielte Desinformation und die Errichtung visueller Potemkinscher Dörfer ist dabei nur die eine Seite. Fast gefährlicher noch ist die sogenannte "weiße" Informationspolitik, bei der die Bilddaten sich letztlich tatsächlich aus der Wirklichkeit rekrutieren. "Am Anfang", so Virilio, "stehen die Beobachtungssatelliten und die Spionageflugzeuge". Die Perspektive der Noblesse ist in den Bilddiskurs zurückgekehrt. Ein einzigartiges Comeback der Totalen.
Die Logistik der Wahrnehmung macht Schluss mit der Demokratisierung des Blickes. Selbst die Dekodierung der neuen Kriegsbilder obliegt einzig ihren Produzenten. Wer etwa hätte schon die Luftaufnahmen deuten können, die Colin Powell dem Sicherheitsrat als Beweis vorlegte, hätte die CIA nicht die Legenden gleich mitgeliefert? Wenn heute ein Bild nicht gut ist, dann liegt es vermutlich daran, dass man nicht weit genug weg gewesen ist - Robert Capas berühmter Ausspruch ist in sein Gegenteil verkehrt. Bernd Hüppauf hat zu dieser Wiederentdeckung der Totalen angemerkt, dass der Raum der Luftbilder von "Erfahrungswirklichkeit und jeglichem moralischem Gehalt" entleert worden ist. Die Vierecke und Menschensäulen in der Tiefe dienen einzig der Beschwörung des Schmerzes. Und spätestens das kommt uns irgendwie bekannt vor.
Von hier zum vorläufigen Endpunkt ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Zeigten die Luftaufnahmen vom Golfkrieg 1991 und vom Krieg im Kosovo nämlich noch Einschläge und Rauchschwaden, so spezialisiert man sich nun mehr und mehr auf die Abbildung des Nichts. "Das Böse verbirgt sich unter der Erde", so hat es Ulrich Hägele für seine Bildanalysen des Afghanistankrieges formuliert. Was in den Höhlenanlagen Bin Ladens geschieht, ist von oben einfach nicht einzusehen. Auch auf Powells Beweisbildern aus dem Irak zieht sich das Übel vermehrt in die "Bunker-Archäologie" zurück. Das einzige was auf den neuen Kriegsbildern dann bleibt, ist die Wiedergewinnung der herrschaftlichen Perspektive. In weiten Bögen kreist sie über dem informativen Nullpunkt. Das neue amerikanische Hegemonialstreben ist vermutlich nie schöner fotografiert worden.
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