Als an der 24sten Straße im Herbst 1980 die Galerie Metro Pictures eröffnete, da waren rund um den Big Apple die avantgardistischen Trends schon durch: Minimal Art, Konzeptkunst, Pop - was sollte also die Galeristen in Chelsea und Soho noch in Aufregung versetzen? Doch die Mannschaft, mit der man sich bei Metro Pictures erstmals der Öffentlichkeit präsentierte, sorgte bald für befremdliches Kopfschütteln. Dabei lag die Verwunderung nicht an dem Einsatz zeitgenössischer Medien wie Video und Fotografie, sondern an der eigentümlichen Dreistigkeit, mit der hier Künstler wie Cindy Sherman oder Sherrie Levine das Fremde als das Eigene präsentierten. Levines Serie After Walker Evans etwa beschränkte sich darauf, die berühmtesten Fotografien Evans` schlichtweg noch einmal ab zu fotografieren.
Ein anderer Künstler, der damals bei Metro Pictures das erste Mal Aufmerksamkeit erregte, war der 32jährige Richard Prince - wie Levine ein Langfinger am Bildsortiment der Moderne. Wo sich Sherrie Levine aber an den Klassikern der etablierten Dokumentarfotografen zu schaffen machte, da stürzte sich Prince auf konventionelle Zeitungs- und Werbebilder. Heute, rund 20 Jahre später, zählt Richard Prince zum postmodernen Establishment des US-amerikanischen Kunstbetriebs. Und seine von Jacques Derrida und Roland Barthes` beeinflussten Claqueure haben längst richtiggestellt, dass das geistige Eigentum damals nicht geklaut, sondern für die eigene Sache nur mal ausgeborgt worden war.
Genug Zeit also ist vergangen, um Richard Prince auch in Deutschland mit einer eigenen Ausstellung zu würdigen. Im Wolfsburger Kunstmuseum hat man sich mit der Werkschau Principal. Gemälde und Fotografien 1977 - 2001 jetzt dieser Aufgabe angenommen.
Zu den bekanntesten Exponaten dürften in dieser Schau wohl die Cowboys zählen. Eine Serie, die Prince bereits in den Achtzigern begonnen hat, die aber bis in die Gegenwart hinein expandiert. Die Idee dahinter ist sehr einfach: Die im Grundgehalt gleichbleibenden, nach außen aber ständig wechselnden Motive von Werbekampagnen des Zigarettenherstellers Marlboro werden von den Plakaten noch einmal abgeknipst, um anschließend im musealen Kontext eine neue Bleibe zu finden. Und so schwingen denn auch in Wolfsburg Dutzende Mannsbilder entspannt das Lasso oder machen sich auf, in den roten Sonnenuntergang zu reiten.
Man könnte die Kritik also an dieser Stelle abbrechen. Das Lamento vom: "Alles schon gesehen" scheint ausreichend. Die Kunst schreit nach ihrer Wiederholung. Doch wer Richard Prince auf den Gestus Marcel Duchamps verkürzt, der 1914 erstmals sogenannte ready-mades ausstellte, der greift zu kurz. Zwar stellen auch die Cowboys erneut die Frage nach Aura und Einzigartigkeit des Kunstwerks, doch hat Prince mit seinen Wild-West-Heroen noch weitaus Größeres im Sinn.
Richard Prince gefällt sich darin, zu dekonstruieren. Nirgends würde man in Wolfsburg etwa ein Markenlabel sehen. Oft reicht es dem Künstler schon, die großen Plakatflächen in kleine Ausschnitte zu segmentieren, um den Wiedererkennungswert zu sichern. Corporate Identity funktioniert eben über kleine Mytheme. Ein indiskreter Blick in den Schritt eines Kuhhirten kann da bereits Sehnsucht wecken. Werbung scheint hier wie ein bunt gestrickter Pullover zu sein, der von Richard Prince immer wieder aufgeribbelt wird.
Ähnlich verfährt er bei seinen 1993 entstandenen Girlfriends. Hier ist es nicht die Konsumwelt, die ihm als Vorlage dient, sondern die triebhaft aufgeladenen Fotostrecken amerikanischer Motorradzeitungen. Lasziv fläzen sich da langhaarige Biker-Miezen über die Lenkstangen schwerer Maschinen und barbusige California-Girls schmiegen sich an die Ledersitze, als wären die Feuerstühle motorisierte Aphrodisiaka. Da mag der Eros solcher Bilder verrostet sein wie die alten Karren - die amerikanische Alltagskultur nimmt`s dankend auf.
Sexismus, wo man hinguckt. Princes Dubletten entlarven die Bildwelt des täglichen Einerleis als das, was sie sind: Millionenfache Träger überkommener Geschlechterrollen. Medien- und Marketingstrategen reproduzieren alltäglich unsere kulturell verankerten Altmännerphantasien. Und der plakative Mix aus Bitches and Bastards wird auch weiterhin die Sonne aufgehen lassen über diesem herbstlich kolorierten Marlboro Country. Dabei sind Zielgruppen und Produkte für Prince egal. Was zählt, ist das Gemenge sich immer wiederholender Zeichengefüge, die durch die Fotokamera atomisiert und zu neuen Einheiten zusammengebaut werden. Für Richard Prince scheint es einen Grundfundus an Emblemen von Ideologie und Verlangen zu geben. Diesen aufzuspüren und zu isolieren ist mit ein Anliegen seiner Fotografien. Mit Roland Barthes gesprochen untersuchen sie das "Mythologische Gewebe der Gesellschaft von Massenkonsumenten".
Darin eingeknüpft ist zum Beispiel der Blick des Begehrens. So hat Prince 1980 das Archiv unserer Alltagscodes solange durchwühlt, bis er drei Aufnahmen von Frauenbüsten im Dreiviertelprofil fand. Diese hat er noch einmal reproduziert und die entstandenen Ektacolor Fotoabzüge so angeordnet, dass es aussieht, als schauten die Frauen alle auf ein und den selben Punkt. Dieser nach außen abgeschlossene Appetenzblick ist unbestimmt. Vage schielen die Frauen über die Ränder der Fotografie hinaus, als läge dort irgendwo ein weißer Fleck in der Semantik. Der Blick allein aber ist schon die Botschaft. Nicht im Objekt der Begierde liegt hier noch Sinn, sondern in der immer gleichen Inszenierung des Begehrens.
Ähnliche Wiederholungen lassen sich auch bei einer weiteren Leidenschaft Richard Princes finden: Dem Sammeln von Illustriertenwitzen. Diese collagiert er auf große Leinwände, wo Wort- und Bildwitze zu neuen Einheiten verschmelzen. Von weitem erinnert das an Robert Rauschenberg. Richard Prince bringt so Pointen zusammen, die eigentlich nicht zusammengehören. Doch in ihrem Anachronismus und ihrer naiven Bigotterie sind sie sich alle gleich. Wieder geht es um zweideutige Anzüglichkeiten, um die Vorurteile zwischen den Geschlechtern. Sex sales besonders dort, wo er auf die unzerstörbaren Mythen des Alltags zurückgreifen kann.
Zumeist entstanden im sozialen Klima der fünfziger Jahre, speist sich der Humor aus einer Melange von Prüderie und Pubertät. Kennen sie etwa den schon, in dem ein Mann eine Kontaktanzeige mit den Worten "Frau gesucht" aufgibt und anschließend Hunderte von Zuschriften des Tenors "Kannst meine haben!", bekommt? Darüber lachte einst nicht nur Hugh Hefner; dies Material wurde durchgereicht bis zur Hör Zu!. Säuberlich zerlegt Prince solche Zoten in ihre sprachlichen oder grafischen Einzelteile. Von manchen Bildwitzen bleibt am Ende gerade soviel, dass man daraus die Geschichte wieder rekonstruieren könnte. Denn jedes Graphem ist schon Träger eines Klischees. Man muss es nur antippen und es erzählt sich wie von selbst. Ein geöffnetes Fenster etwa beschreibt die immer aufs neue variierte Geschichte waghalsiger Liebesfluchten. Selbst der größte Stumpfsinn also ist immer schon vorcodiert.
Auch wenn Prince diese Zitate größtenteils aus dem Fundus der späten Siebziger schöpft, so hat sich der Symbolhaushalt bis heute nicht verändert. Jüngere Künstler mögen nicht mehr Plakatwände und Hustler-Magazine dekodieren. En vogue sind vielmehr Screenshots von Videos und Computerspielen. Die vulgären Mythen der Trivialkultur jedenfalls sind nicht einfach tot zu kriegen. Princes Werk steht exemplarisch für eine Generation von Künstlern, die erstmals durch Massenmedien sozialisiert wurde. Beeinflusst von den Medientheorien Marshall McLuhans und dem französischen Post-Strukturalismus begannen sie, sich mit diesem Wandel auseinander zu setzen. Dabei interessierte Richard Prince, ebenso wie Vikky Alexander oder Cindy Sherman nicht nur die Auswirkungen der Medien auf die Gesellschaft, sondern auf die Kunst selbst.
Schon 1982 wies der amerikanische Kritiker Douglas Crimp darauf hin, dass diese neuen déjà-vu-Fotografien letztlich auch eine Reaktion auf den eigenen Betrieb wären. Als man nämlich in New York bei Metro Pictures die ersten Vernissagen beging, fiel das in den gleichen Zeitraum, in dem große amerikanische Museen die Fotografie als Kunstform entdeckten. Während man also allerorten die kreative Handschrift großer Fotografen zu feiern begann, wollte man bei Metro den Spieß umdrehen. Unser Bildhaushalt ist und bleibt ein ready-made, so die schlichte Botschaft. Die Grundsubstanzen der Alltagsbilder sind in der Welt. Wenn man sie von dort nicht vertreiben kann, dann hilft nur das Zerhäckseln.
Richard Prince Principal. Noch bis zum 28. Juli im Kunstmuseum Wolfsburg. Zur Ausstellung ist bei Hatje-Cantz ein Katalog erschienen. Er kostet 49 Euro
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