Readymade

Linksbündig Die RAF als späte Avantgarde?

Wer heuer in der Kultur etwas auf sich hält, der beschäftigt einen Ex-Terroristen. Als Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, bekannt gab, er wolle dem einstigen RAF-Mitglied Christian Klar eine Praktikumsstelle an seinem Hause offerieren, da wird er vielleicht vom Schiffbauerdamm ans Grips-Theater geschaut haben. Dort hat Peter Ludwig schon seit Jahren einen aus der Baader-Meinhof-Gruppe unter Vertrag: Die Führungsfigur aus der Generation I, Manfred Grashof. Im Berliner Abgeordnetenhaus sorgte vor kurzem eine Ausstellung für Furore. Auf den Fluren des Hohen Hauses hat die zu lebenslanger Haftstrafe verurteilte Terroristin Eva Haule mit 21 Porträtaufnahmen Position bezogen. Und der Berliner Aufbau-Verlag trommelt für das neue Fotobuch von RAF´lerin Astrid Proll.

Während die einstigen Stadtguerilleros also in Theatern und Galerien resozialisatorisch unterzukommen versuchten, war das Berliner Ensemble noch immer Ex-Terroristen-frei. Der Hang zur Kunst ist durchaus verständlich. Zwischen ihr und der Roten Armee Fraktion gab es immer eine Schnittmenge. Musste Schlingensief seine Ex-Nazis einst regelrecht zur Kunst tragen, so hatte die RAF die Avantgarde im Blut. Der Kunsthistoriker Boris Groys meinte jedenfalls schon vor Jahren: "Der Terrorist ist ein moderner Künstler unter der Bedingung, dass das moderne Kunstsystem fehlt". Recht hat er! Stadt- und Spaßguerilla waren stets näher miteinander verwandt, als es der Kommune 1 später recht sein konnte.

Hatte die Berliner Szenekommune ihr legendäres Flugblatt Burn ware-house, burn, in dem mit den Mitteln der Satire zur Brandstiftung in Berliner Kaufhäusern aufgerufen wurde, noch als Weiterentwicklung von Happening und Aktionskunst verstanden, so wusste der Münchner Vorstadt-Strizzie Andreas Baader derartige neoavantgardistische Spielereien nur noch mit dem Realitätsdurchbruch zu toppen. 1968 schritt der einstige Absolvent einer privaten Kunstschule beherzt zur Tat. In Frankfurt legte er Brandsätze in einem Kaufhaus. Aus Sit-Ins und Go-Ins wurden in den kommenden Jahren blutbekleckerte Shoot-Ins. André Breton gab dabei die Richtung vor. In seinem Manifest des Surrealismus meinte er, die einfachste surrealistische Handlung bestünde darin, mit Revolvern in den Fäusten blindlings in eine Menge zu schießen. In der kunstfreudigen RAF fand der Altmeister seine törichtesten Adepten.

Der Rest ist bekannt: Während aus ideologisch verbohrten Bürgerbengeln nach und nach politisch getriebene Mörder wurden, gab eine zum Teil treuherzige Avantgarde ästhetische Schützenhilfe. Um die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit endgültig zum Einsturz zu bringen, grübelte Hermann Nitsch von den "Wiener Aktionisten" darüber nach, ob ein Mord nicht unter Umständen Teil eines Kunstwerks sein könne. Selbst als sich die RAF längst aufgelöst hatte, sah sich manch ein Kulturschaffender von der ästhetischen Wirkung terroristischer Akte beeindruckt. Nicht, dass die Kunst dem Terror anheim gefallen wäre. Auch zwischen RAF und Al Qaida gibt es einen gewaltigen Unterschied. Doch zwischen Fiktion und Non-Fiktion fiel es manchem immer schwerer zu unterscheiden. Man erinnert sich des unglücklichen Ausspruchs des Komponisten Karlheinz Stockhausen von dem "größtmöglichen Kunstwerk", als am 11. September 2001 in New York die Twin Towers zusammenstürzten.

Eine Generation nachdem das Morden begann, wollten sich einige Protagonisten des Deutschen Herbstes in die Berliner Kulturlandschaft entblättern. Christian Klar, Eva Haule und andere einstige Terroristen der RAF wollen ganz offenbar am liebsten in jenes Denksystem zurück, dass sie einst zugunsten der Gewalt hinter sich gelassen hatten. Als den Frankfurter Brandstiftern etwa Ende der sechziger Jahre der Prozess gemacht wurde, trat der Mitangeklagte Thorwald Proll als Bertolt Brecht verkleidet vor seinen Richter. Horst Söhnlein, ebenfalls auf der Anklagebank, war in der Münchner Szene zuvor vor allem durch die Leitung eines "Action Theaters" in Erscheinung getreten.

Die Aufhebung von Raum und Handlung beherrschte die Fraktion der Rotarmisten bereits, als sie den Vietnamkrieg in die deutschen Städte trugen. Das Stuttgarter Justizministeriums hat eine Verlegung Christian Klars nach Berlin abgelehnt. Die erneute Verschmelzung von Kunst und Wirklichkeit, Leben und Performance wird es nun erst einmal nicht geben. Macht nichts: Wenn der Terror Vorstellung hat, dann wäre ein kaum geläuterter Ex-Terrorist auf und hinter der Bühne heute sowieso nicht mehr als ein historisches Readymade.


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