Peter Just ist ein Revolutionär mit einer ganz normalen Arbeit: Er verkauft Bücher. Links-lesen heißt der Onlinebuchhandel, den er von einem Biobauernhof in der brandenburgischen Provinz aus betreibt. Aber eigentlich vertritt er eine Idee von etwas anderem: weniger vom Verkaufen als vom Verschenken. Von einem „etwas anderen Umgang mit Privateigentum“, wie es in einer Broschüre der Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit (PaG) heißt.
Die PaG ist ein Netzwerk, das Freiräume für alternative Wirtschaftsweisen schaffen will. Ihr Bauernhof, der Karlshof zwischen Rostock und Berlin, ist einer der Orte, an denen die Idee mit Leben gefüllt wird. Es gibt auch andere Höfe, auf denen Menschen ohne familiäre Bande zusammenleben; die biologisch anbauen und feste Abnehmer haben. Doch der Karlshof ist anders: Einige Leute betreiben hier eine zum Teil nichtkommerzielle Landwirtschaft.
Peter Just lebt nicht dauerhaft hier, er ist ein regelmäßiger Gast. Doch er ist es, der an diesem Tag in Feldarbeitskleidung über das Gelände führt. Just ist Mitte 30 und Bibliothekswissenschaftler. Warum geht jemand nach dem Diplom auf den Acker? „Mich hat wirklich diese nichtkommerzielle Landwirtschaft gereizt“, antwortet er.
Nichtkommerzielle Landwirtschaft – kurz NKL, wie sie hier sagen – hört sich in der Theorie so an: Ziel ist eine „freie und solidarische Kooperation“ ohne „kapitalistische Verwertung und Vermarktung“. Es soll bedürfnisorientiert produziert werden, „die Abgabe der erzeugten Güter erfolgt unentgeltlich und unabhängig von der Beteiligung am Entstehungsprozess“. Was zum Beispiel bedeutet: Sie bauen hier Kartoffeln an. Und dann verschenken sie sie. Dasselbe gilt für Getreide.
Bitte mitnehmen!
In Berlin-Kreuzberg etwa finden seit 2007 „Kartoffelcafés“ statt, bei denen nach einem einfachen Prinzip Karlshof-Kartoffeln verschenkt werden: Dutzende 12-Kilo-Säcke liegen zur Mitnahme bereit, direkte Gegenleistungen und Erklärungen werden nicht verlangt. Unkommerzielle Backgruppen, die Karlshof-Getreide verwenden, gibt es in Berlin, Potsdam und Leipzig.
Aber es geht nicht nur um Kartoffeln und Getreide. Das Ziel der Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit, die als eine Art Dachverein nicht nur hinter dem Karlshof, sondern auch hinter zwei Wohnprojekten steckt, ist ein funktionierendes Versorgungsnetzwerk, das immer mehr Produkte und Dienstleistungen anbietet. Stets an den Bedürfnissen aller Beteiligten orientiert. Und ohne „Geld oder andere Tauschäquivalente“, wie Just sagt.
Es ist eine Utopie. Es ist noch nicht klar, welche Produkte und Dienstleistungen dazu gehören könnten. Nicht nur ihre Seife müssen jedenfalls nach wie vor alle im Geschäft kaufen, sondern auch viele Lebensmittel. Subsistenzwirtschaft in vollendeter Form ist noch nicht erreicht. Doch der Anspruch ist tatsächlich revolutionär.
Es ist Sonntag, und ein ganzer Reisebus ist gefüllt. Die Projektwerkstatt hat für Interessierte einen Ausflug zum Hof organisiert. Gleich nach der Abfahrt in Berlin beginnt Aktivist Thomas Janoschka, die PaG vorzustellen – als ein Netzwerk von Leuten, die alternative Formen des Zusammenlebens entwickeln und sich dabei gegenseitig unterstützen, und das ohne historische Vorbilder. „Die Häuser denen, die drin wohnen! Die Betriebe denen, die drin arbeiten!“ In der Vergangenheit seien Projekte zwar schon oft nach diesen Devisen gemeinschaftlich aufgebaut worden. In vielen Fällen habe es aber später eine Reprivatisierung gegeben. Die mit der geringsten Frustrationstoleranz stiegen etwa bei Streitigkeiten aus, und die Projekte nutzten dann doch nur bestimmten Interessen.
„Aus diesen Erfahrungen entstand die Idee, Eigentum und Nutzung zu trennen“, heißt es im Info-Material. Ohnehin sei das „geschützte Privateigentum“ mit für „Unterdrückung, Entrechtung, Ausbeutung und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen“ verantwortlich. Denn es könne sich schrankenlos auf jegliche Ressourcen und Produktionsmittel erstrecken. Die PaG sieht sich als einen „vieler Versuche auf der Welt, Eigentum solidarisch und gemeinschaftlich zu verwalten“.
Die PaG verwaltet dazu eine gemeinnützige Stiftung, die wiederum Eigentümerin des Karlshofs ist und der zwei weitere Wohnprojekte im nordöstlichen Brandenburg gehören. Das Stiftungsmodell habe den Vorteil, dass das Eigentum „neutralisiert“ oder „entschärft“ werde. Und auch eine Finanzierung des ganzen Vorhabens über Spenden wird dadurch möglich.
Die Gelände und Immobilien der PaG werden einzelnen Projektgruppen, die dort ihre Ideen realisieren wollen, per Leihvertrag überlassen. Es gibt Kriterien für Erfolg und Scheitern in diesen Verträgen. Gegebenenfalls müsse eine Projektgruppe das Gelände also wieder an die Stiftung zurückgeben, so wie die erste Karlshof-Gruppe, die sich zerstritten habe, sagt Janoschka.
Ein paar Kilometer vor Templin biegt der Bus ab auf einen unbefestigten Weg. An dessen Ende liegt allein auf weiter Flur der Hof mit seinen 50 Hektar Land. Ein Gutshaus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts wird derzeit als Gemeinschaftsfläche renoviert. Zu DDR-Zeiten wurden weitere Ställe für Milchvieh gebaut, die teils verfallen sind, teils als Lager und Garage dienen. Im für die damaligen Arbeitskräfte erbauten zweigeschossigen Wohnhaus leben die heutigen zehn Karlshöfer mit ihren sechs Kindern.
Sie alle wollen langfristig hier leben, sagt Peter Just, der seit 2006 dazugehört. Andere, die sich für die nichtkommerzielle Landwirtschaft einsetzen und an ihr arbeiten – etwa 20 Aktive – lebten an verschiedenen Orten und kämen nur sporadisch vorbei. Der Karlshof ist darüber hinaus generell offen für Freiwillige, die mindestens ein paar Wochen mitmachen.
Und die werden auch gebraucht: Auf dem lange vernachlässigten Gelände gibt es mehr zu tun, als die Karlshof-Gruppe alleine bewältigen kann, nicht nur bei Aussaat und Ernte. Bau- und Renovierungsarbeiten etwa würden oft gegen Kost und Logis von fahrenden Handwerksleuten erledigt, sagt Just. Eine kleine Backstube ist frisch gebaut. In der so genannten Bergehalle hängt, hoch über einigen Maschinen, das geerntete Getreide in einer riesigen Plane mäusesicher herunter. Eine lange Theke wird für Feste genutzt. Am Sommerfest etwa hätten zuletzt 250 Menschen teilgenommen, sagt Just. Netzwerken auf dem Bauernhof – und das Netzwerk ist auch notwendig.
Eine Gratiswirtschaft kann inmitten marktwirtschaftlicher Verhältnisse schließlich nicht ohne finanziellen Unterbau funktionieren. Die nichtkommerzielle Landwirtschaft profitiert etwa von Spenden; eine Kampagne für Dauerspenden lief kürzlich an. 1.000 Euro Einkünfte pro Monat sind angestrebt, derzeit kämen 400 Euro rein, berichtet Just, der das Netzwerk selbst mit den Gewinnen aus seinem Onlinebuchhandel unterstützt. Und finanzielle Hilfe leisten auch Mitglieder der zwei Wohnprojekte der PaG, die einer Lohnarbeit nachgehen. Die nichtkommerzielle Landwirtschaft bleibt prekär. Darüber, dass sich aus einer Gratiswirtschaft keine Rentenansprüche ergeben, denke man vorerst lieber nicht nach, sagt Just.
Holz sammeln im Wald
Im Gemeinschaftsraum gibt es nun Suppe und Bratkartoffeln; der Besuch ist eingeladen. Ein Beamer wirft Fotos aus dem Karlshof-Alltag an die Wand. Als nur noch ein bisschen Suppe übrig ist, fahren einige Großstädter mit in den Wald, um mit einem Trecker Holz zu holen. Die anderen Gäste diskutieren mit einigen Karlshof-Bewohnern über das Prinzip der Bedürfnis-orientierung. Letztere sehen darin eher eine gesamtgesellschaftliche Alternative als etwa in Regionalwährungen und Tauschringen: Von dem Gedanken, dass es für jede Leistung eine direkte Gegenleistung geben müsse, müsse man sich verabschieden, lautet der allgemeine Tenor.
Die Orientierung an den tatsächlich vorhandenen Bedürfnissen schaffe freilich ein paar praktische Probleme: Es sei etwa schwierig, den tatsächlichen Jahresbedarf an Kartoffeln schon vor der Aussaat zu ermitteln. Und noch etwas sei schwierig: im Netzwerk die Bedürfnisse der Mitglieder abzuwägen. Wenn etwa die Karlshof-Bewohner die Projektwerkstatt um finanzielle Hilfe für Baumaßnahmen bitten, müsse man sich einfach auf das Verantwortungsbewusstsein aller verlassen, die zum Netzwerk gehören. Darauf, dass die solidarische Ökonomie praktisch funktioniert.
Und die Zukunft? Was wird aus der Utopie? Zunächst war auf dem Karlshof nur ein halber Hektar Land bestellt worden. Mittlerweile sind es mehrere Hektar. Die Idee wächst. Doch das Konzept ist nicht nur auf Wachstum, sondern auch auf Nachahmung ausgelegt. Die Ausdehnung des Netzwerks soll regional beschränkt bleiben, da sonst die Basisnähe schwinde und die Koordination erschwert werde. Eine Kooperation mit anderen Projekten, so sie denn auch anderswo entstehen, ist aber ausdrücklich erwünscht. Die Revolution braucht Leute, die mitmachen.
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