Comics Vor 60 Jahren erschien das erste Spider-Man-Heft. Auch Batman feierte kürzlich erst seinen Geburtstag. Wie so viele Superhelden, wurden sie von jüdischen Comic-Künstlern, wie Stan Lee, erfunden. Wie kam es dazu?
Hat sich auch fast alle anderen berühmten Marvel-Helden ausgedacht: Stan Lee, hier Ende Mai 1987
Foto: Tom Levy/Polaris/Laif
Im März 1963, also vor 60 Jahren, erschien in den USA das erste Einzelheft von Spider-Man. Neu an der vorher in einem Sammelband vorgestellten und sofort sehr erfolgreichen Comicfigur war unter anderem, dass der Superheld im Alltag ein Jugendlicher war, noch dazu mit üblichen Jugendproblemen. Vorher waren junge Männer nur Gehilfen von Superhelden gewesen.
Einer der beiden Haupterfinder der Figur war der Comic-Autor Stan Lee, der sich auch fast alle anderen berühmten Helden des Verlags Marvel ausdachte, also etwa Hulk, Thoroder die Fantastischen Vier. Lee stammte aus einer jüdischen Familie. Das wäre keiner Erwähnung wert, träfe es nicht auch auf Jack Kirby zu, der die zeichnerische Gestaltung fast all dieser Figuren übernahm, sowie auf Joe Simon,
owie auf Joe Simon, der mit Kirby zusammen die ebenfalls sehr erfolgreiche Figur Captain America schuf, auf Joe Shuster und Jerry Siegel, die Schöpfer des ersten Superhelden Superman, auf die Erfinder von Batman, Bob Kane und Bill Finger, und auf Will Eisner, der den grafischen Roman erfand. Komplettiert wird die Reihe durch den Franzosen René Goscinny, Schöpfer und langjähriger Autor von Europas kommerziell wohl erfolgreichstem Comic-Helden Asterix sowie von Lucky Luke und anderen.Selbst dem Wiener Comic-Autor Harald Havas, einem der größten Comic-Experten im deutschsprachigen Raum, ist dieser Zusammenhang erst vor relativ kurzem aufgefallen: „Neun von zehn Comic-Helden, die jemand auf der Straße spontan nennen kann – abgesehen von Enten –, wurden offensichtlich von Juden oder Künstlern mit jüdischer Abstammung erfunden.“Juden arbeiteten vermehrt in den neuen MassenmedienBei den genannten amerikanischen Protagonisten gibt es dafür historische, zum Teil unschöne Hintergründe. Nicht nur Autoren und Zeichner hatten jüdische Eltern, sondern auch relativ viele andere Angestellte von Comicverlagen. „Schon im europäischen Mittelalter wurden Juden sehr viele Berufe verboten“, erklärt Havas. „Dadurch entstanden Traditionen: Juden waren oft Lehrer, auch Hauslehrer. Sie waren meist literarisch gebildet, denn Wissen war ein hohes Gut im Judentum. Das Judentum bezeichnet sich auch als das Volk des Buches, und damit meinten sie nicht ausschließlich die jüdische Bibel. Diese Mischung hatte sie schon in Europa immer wieder in verlegerische und andere publizistische Tätigkeiten gebracht.“Dass sich dies auf die neue Medienbranche in New York auswirkte, hat auch Margret Kampmeyer festgestellt, bis 2019 Kuratorin für das Jüdische Museum Berlin. 2010 gestaltete sie die Ausstellung Helden, Freaks und Superrabbis mit, die auf der Vorarbeit eines Pariser Museums beruhte und sich dem Zusammenhang von Judentum und Comicgeschichte widmete. „Uns war bewusst gewesen, dass Juden in der Unterhaltungsindustrie eine große Rolle gespielt hatten“, erzählt Kampmeyer. „Wie bedeutend aber der Anteil von Juden im Comic war, hat uns überrascht. Jüdische Zeichner, Texter und Herausgeber haben die ersten Jahrzehnte des Comics geprägt, und zwar sowohl künstlerisch als auch bei Produktion und Distribution.“Aufgrund direkter wie indirekter Diskriminierung in althergebrachten Berufen waren Menschen aus jüdischen Familien verstärkt in den neuen massenmedialen Branchen zu finden: Kino, Fernsehen, Comics und andere Hefte mit leichter Kost. So ähnlich hält es auch der US-amerikanische Kulturhistoriker Paul Buhle im Katalog zur erwähnten Berliner Ausstellung fest. Laut Buhle wollten in den 1930ern und 1940ern viele junge Juden eigentlich für Werbefirmen zeichnen, waren aber wegen „verkappter Vorurteile oder Quoten davon ausgeschlossen“. So seien sie in die schlecht bezahlte Comicbranche gegangen.Immer wieder finden sich Bezüge zur osteuropäisch-jüdischen KulturWelchen Ausdruck fand dann die überwiegend osteuropäisch-jüdische Prägung dieser Leute in den Comics? Zumindest bei Superman sind gewisse Bezüge da, wie auch Kampmeyer weiß: „Er kommt von einem anderen Planeten. Im Grunde ist auch er ein Immigrant. Und er wurde von seinen Eltern ausgesetzt und auf die Erde geschickt, weil sie wussten, dass ihr Planet zerstört werden würde. Das ist die Moses-Geschichte.“ Das Baby, das auf dem Planeten Krypton von seinen Eltern in ein Mini-Raumschiff gesetzt und zur Erde geschickt wurde, hieß Kal-El. Der Name ähnelt dem hebräischen Begriff für „Stimme Gottes“.Ein weiterer berühmter und kommerziell sehr erfolgreicher Comic-Held mit jüdischen Spuren ist der Hulk, jener grüne Riese, in den sich ein Wissenschaftler bei Wutanfällen verwandelt. Er hatte übrigens schon 2022 seinen 60. Geburtstag. „Das ist eine etwas tumbe Figur, die sehr stark dem Golem nachempfunden ist“, hält Kampmeyer fest. Als Vorform eines Volksbeschützers mit übermenschlichen Kräften gibt es in der jüdischen Mythologie den Golem von Prag. Die Gemeinsamkeit mit dem Hulk ist nicht nur das monströse Aussehen, findet die Kunsthistorikerin: „Beide Figuren stehen außerhalb der menschlichen Gesellschaft, wollen aber Gutes tun, Unrecht bekämpfen.“Die Superhelden waren im Kampf gegen Unrecht von Beginn an politisch geprägt. Captain America verpasst auf seiner ersten Titelseite vom März 1941 Hitler einen Hieb, Superman hatte vorher schon gegen den Diktator gekämpft. Für nichtjüdische Amerikaner waren die Nazis frühestens ab Kriegseintritt der USA eine Bedrohung, „jüdische Comic-Künstler erinnerte Hitlers Judenverfolgung an Erfahrungen, derentwegen ihre Familien aus Europa nach Amerika ausgewandert waren“, so Kampmeyer.Will Eisner hatte literarische Ambitionen für das Genre Der jüdische Beitrag zur Comicgeschichte ist aber nicht nur wegen dieser politischen Hintergründe ein besonderer. „Gerade jüdische Autoren sind sehr oft an wesentlichen Wendepunkten der Comicgeschichte anzutreffen“, weiß Harald Havas. Mit Theoremen, die das erklären, hält er sich zurück. Vielleicht ist der von ihm festgestellte Umstand ein Ausdruck des erwähnten starken Bezugs des Judentums zu literarischen Aktivitäten. Jedenfalls ist dem Comic-Experten aufgefallen: „Wenn ich die Geschichte der wichtigsten Comics der Welt – vor allem der westlichen Welt – erzählen würde, würde ich fast den gleichen Vortrag halten, wie wenn ich vom jüdischen Einfluss auf Comics berichte. Das ist faszinierend.“ Havas bezieht da auch den Maler Lyonel Feininger ein: „Er hat Anfang des 20. Jahrhunderts als Erster künstlerische Symbolik in die Comics eingebracht.“ Ein klarer, berühmter Fall ist der 1917 in New York geborene Will Eisner, der Havas zufolge zweimal an einem Wendepunkt der Comicgeschichte stand.Will Eisner, der 2005 starb, ist einer der Überväter der Comic-Szene. Nach ihm sind die wichtigsten Branchenauszeichnungen in den USA benannt. Er war der erste Autor, der auf einen Comic den Begriff „Graphic Novel“ drucken ließ. Die damit verbundenen literarischen Ambitionen holten das Genre aus dem ihm oft zugeschriebenen Bereich der Schundliteratur. Das war der eine Wendepunkt, 1978. Der andere wichtige historische Schritt des Comics, für den Eisner steht, stammt schon aus den 1940er-Jahren. Da schuf er die Serie The Spirit. Sie erschien als erste Comicbeilage einer Zeitung und beinhaltete immer wieder Innovationen in der Bildsprache.Wenige Jahre davor, 1938, war die Erfindung von Superman ein wichtiger Schritt in der Comicgeschichte gewesen, denn nun folgten unzählige weitere Superhelden. Mit am bekanntesten sind die des Verlags Marvel. Auch Marvel steht laut Havas für einen Wendepunkt, da seine berühmten, seit vielen Jahren auch Kinosäle füllenden Helden „eine ganz andere Qualität hineingebracht haben“. In Sachen Qualität ist auch Art Spiegelman zu nennen. Er produzierte ab den späten 1970ern in seinem Magazin RAW künstlerische Comics. Nach einer Weile beschäftigte er sich vertieft mit den Erzählungen seines Vaters, der Auschwitz überlebt hatte, und veröffentlichte auf dieser Grundlage 1986 einen der ersten und bis heute berühmtesten grafischen Romane überhaupt: Maus. Das mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Werk war der endgültige Beweis dafür, dass Comics nicht nur Kinderspaß sind.Doch nicht nur in den USA macht der Comicforscher Havas den wichtigen jüdischen Beitrag für das Genre aus. Das europäische Ausnahmephänomen im Comicbereich ist Asterix. Der Miterfinder und langjährige Texter René Goscinny hatte ebenfalls polnisch-jüdische Eltern. Auch Asterix war wegen seiner inhaltlichen Qualität ein Comic-Meilenstein. Und auch hier lässt sich ein Bezug zur leidvollen jüdischen Geschichte herstellen, denn das gallische Dorf steht für eine von der zumindest kulturellen Vernichtung bedrohte Minderheit, die sich durch intellektuelle Überlegenheit und superheldenmäßige Kräfte gegenüber der hochgerüsteten Übermacht behaupten kann.
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