Geheime Kapitel SBXIII, die Eule der Illuminaten und politische Theologie: Wie Dan Browns Roman "Das Verlorene Symbol" das moderne Verschwörungsdenken weiterschreibt
Nachdem Harvard-Professor Robert Langdon unter einem Vorwand in die Hauptstadt der Vereinigten Staaten gelockt und im Capitol mit der erpresserischen Forderung des Kidnappers Mal’akh konfrontiert wurde, macht er in der Rotunde eine grausige Entdeckung: Mitten im gewaltigen Kuppelsaal des Kongress-Gebäudes steht die abgetrennte rechte Hand seines Freundes Peter Solomons. die mit seltsamer Fingerstellung zur Decke deutet. Auf jeder Fingerspitze befindet sich eine Tätowierung: Krone, Stern, Sonne, Laterne, Schlüssel. Zeichen mit mehrfacher Bedeutung, die der Symbolforscher Langdon sofort erkennt. Die traditionsreichen Symbole sprechen eine Einladung auf recht drastische Weise aus: Eine Einladung zur Einweihung in Geheimnisse, die nur dem Würdigen zugänglic
gänglich sind. Warum der aufgereckte Zeigefinger der noch blutigen Hand in die Höhe und also auf Constantin Brumidis Fresco Die Apotheose Washingtons (mit der Verwandlung des ersten US-Präsidenten in einen Gott) weist, wird später aufgeklärt.Zunächst gilt es, ein weiteres kryptisches Zeichen zu entziffern, das sich auf Solomons Handfläche befindet: |||X88S. Nach mehreren Anläufen erweist sich eine simple Drehung des abgetrennten Körperteils als hilfreich. Das kryptische Kürzel offeriert nun die Zeichenfolge SBB XIII und verweist auf einen noch unter der Krypta befindlichen Raum im Subbasement (SBB) des Capitols. In dieser nur schwer zugänglichen Kammer tief unter den Fluren, Sälen und Büros der sichtbaren politischen Welt wird Robert Langdon gemeinsam mit CIA-Direktorin Inoue Sato und Capitol-Security Chief Trent Anderson eine erste materiale Verkörprung jenes geheimen Wisssens entdecken, das sowohl der Finsterling Mal’akh als auch der Sicherheitsdienst der Vereinigten Staaten für sich beanspruchen.Dieser Einstieg in die unterirdischen Gänge tief unter Washington D.C. bildet den Anfang für alle weiteren Bewegungen innerhalb des Texts. Mehr noch: Er eröffnet und präsentiert ein Spannungsverhältnis, das den Roman im Ganzen antreibt: Die Differenz zwischen sichtbarer Oberfläche und verborgenem Untergrund. Diese Unterscheidung ist keine Erfindung von Verschwörungstheoretikern. Es gibt sie keimhaft schon in der Trennung von Wesen und Erscheinung, Grund und Folge, Ursache und Wirkung. Doch in den Versuchen zur Erklärung einer zunehmend unübersichtlichen Welt im Zeitalter der Aufklärung gewinnen die Unterstellungen einer tiefgehenden Diskrepanz zwischen Schein und Sein, trügerischer Sichtbarkeit und heimlichem Untergrund eine neue (und bis in die Gegenwart wirksame) Dimension. Sie reagieren auf den Zuwachs von Komplexität in ökonomischen, politischen, wissenschaftlichen Zusammenhängen, in dem sie zunehmend undurchschaubare Vorgänge auf koordinierte Aktivitäten heimlich verabredeter Akteure zurückführen. Mit dieser Simplifizierung amorpher bzw. undurchschaubarer Zusammenhänge erlauben sie deren Erklärung und Verarbeitung. Ihren Konvergenzpunkt bildet ein personalistischer Dezessionismus: Verschwörungstheorien unterstellen die Existenz von personalen Subjekten, die intentional eine bestehende Ordnung zur Durchsetzung eigener Interessen umzugestalten suchen oder für die (falsche) Einrichtung der Verhältnisse verantwortlich sind. Zumindest implizit vorhanden sind Bewahrer dieser Ordnung bzw. Retter vor dem Chaos, das beim Sieg der Verschwörer droht.Mit dieser Personalisierung und Simplifizierung wird Komplexität zunächst einmal reduziert. Mit ihr verbinden sich jedoch stets auch Annahmen, die zu einer Komplexitätssteigerung führen. Die konspirationistische „Mentalität der heimlichen Hand“ identifiziert alle Phänomene der sozialen Welt als Indizien zur Bestätigung der eigenen Imagination. So erzeugt sie ein Bild, in dem alle Elemente und Konstellationen zu Belegen für die vorausgesetzte Verschwörung werden. Die imaginierten Szenarien werden zu vielgestaltigen Weltbildern mit gegliederten Strukturen erweitert und dichtgesponnenen Verweisungszusammenhängen. In der Welt von Konspirationstheoretikern gibt es nicht nur eine Gruppe von maskiert beziehunsweise mit falscher Identität auftretenden Verschwörern, sondern zugleich auch die partiell eingeweihten Handlanger und Exekutoren der geheimen Pläne. Gleichzeitig ist stets auch eine „Gegenmacht“ präsent, die als einzelne oder in Gruppen agierende Verteidiger der „Ordnung“ ein bestimmtes Wissen um die geheimen Machenschaften besitzen und deren Ziel in der Entlarvung des allumfassenden Komplotts besteht.Resultat der so vollzogenen Ausgestaltung einer personalistischen Weltdeutung ist ein paranoides Weltbild mit universalem Erklärungsanspruch und umfassendem Misstrauen: In der Maximierung der Diskrepanz zwischen täuschendem Anschein und „eigentlicher“ Bedeutung avanciert jedes Phänomen der sozialen Welt zum Bestandteil und Indiz eines verborgenen Zusammenhangs, dessen Erzeuger die schlechten Geschicke nach genauem Plan lenken oder den Umsturz der herrschenden Zustände vorbereiten. Rettung kommt allein durch die Enthüllung des bewusst produzierten „Scheins“, durch Beseitigung der „Maske“. Die Komplementärbegriffe „Maske“ und „Demaskierung“, „Geheimnis“ und „Enthüllung“, „Schein“ und „Entschleierung“ bilden deshalb den Grundstock aller verschwörungstheoretischen Rhetorik – von der 1784 veröffentlichten Ersten Warnung Ueber Freymaurer, besonders in Bayern des Joseph Marius Babo über Ernst August von Göchhausens angeblichen Enthüllung des Systems der Weltbürgerrepublik aus dem Jahre 1786 und dem Pamphlet Les conspirateurs demasqué des Comte de Ferrand von 1790 bis zu Johann August Starcks konspirationistischer Ideengeschichte Der Triumph der Philosophie im Achtzehnten Jahrhunderte von 1803, die den „Philosophen“ ein „allgemeines Umwälzungsprojekt“ zuschrieb, das sie hinter der nun endlich gelüfteten „Larve der Duldung und der Menschenliebe“ verbargen.Das Prinzip dieser Beobachtung spricht auch der Dichter und Minister Johann Wolfgang Goethe am 22. Juni 1781 gegenüber dem Physiognomiker Johann Caspar Lavater aus: „Ich habe Spuren, um nicht zu sagen Nachrichten, von einer großen Masse Lügen, die im Finstern schleicht, von der du noch keine Ahndung zu haben scheinst. Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Cloaken miniret, wie eine große Stadt zu seyn pflegt, an deren Zusammenhang, und ihrer Bewohnenden Verhältniße wohl niemand denkt und sinnt; nur wird es dem, der davon einige Kundschaft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt, dort einmal ein Rauch aus einer Schlucht aufsteigt, und hier wunderbare Stimmen gehört werden. Glaube mir, das Unterirdische geht so natürlich zu als das Überirdische, und wer bei Tage und unter freyem Himmel nicht Geister bannt, ruft sie um Mitternacht in keinem Gewölbe.“Die Eule des Illuminatenordens und die Ein-Dollar-NoteNatürlich taucht in Dan Browns Roman auch die bekannteste Banknote der Welt auf. Im Kapitel 75, auf Seite 278 der englischen Aussage von The Lost Symbol findet sich das Bild der Pyramide mit dem abgehobenen Schlußstein und dem allsehenden Auge abgebildet. Und wie unter Konspirationstheoretikern aller Coloeur üblich, werden auch die umgebenden Worte entsprechend gedeutet: Die aus Vergils Epos Aeneis entlehnten Worte ANNUIT CŒPTIS (lat.: er hat das Begonnene gesegnet) und die gleichfalls Vergil entnommenen Phrase vom NOVUS ORDO SECLORUM (neue Ordnung der Zeitalter) ergeben bei Kombination mit dem Davidstern den Begriff M-A-S-O-N (Freimaurer). Wie originell.Dabei geben nicht nur die ungewöhnliche dreidimensionale Darstellung der 13stufigen Pyramide und die naturalistische Darstellung von Gestrüpp und Unkraut vor ihrer (mit der Jahreszahl MDCCLXXVI beschrifteten) Basis zu denken. Denn auf der Vorderseite des Geldscheins fällt bei genauer Betrachtung ein Detail auf, das gleichfalls erklärungsbedürftig: Links über der schildähnlichen Einfassung der Ziffer 1 unmittelbar neben der zweiten Blattspitze befindet sich das eine winzige und doch deutlich sichtbare Bild einer Eule: Begleittier der griechischen Göttin Pallas Athene. Und Symbol des 1776 im bayrischen Ingolstadt gegründeten Bundes der Perfektibilisten, der zwei Jahre später den Namen Illuminatenorden erhalten sollte:Wie die winzige Eule auf den bekanntesten und am meisten gebrauchten Geldschein der Welt gelangte und was sie bedeutet, kann an dieser Stelle nicht ausgebreitet werden. Denn der Hinweis auf dieses Detail hat einen anderen Zweck: Er demonstriert, dass nahezu jeder Bestandteil unserer sozialen Welt zum Indiz für größere Zusammenhänge werden kann – bei entsprechender Aufmerksamkeit und der Bereitschaft, sich auf das Prinzip jenes universalen Misstrauens einzulassen, das Dan Browns Romane (wie andere Texte und Filme der Populärkultur auch) befeuert. Alles ist Zeichen, lautet das Credo einer solchen tendenziell selektionslosen Aufmerksamkeit, die dann in verschwörungstheoretische Paranoia umschlägt, wenn sie sich mit unkorrigierbaren Überzeugungen von vermeintlichen Bündnissen des Bösen gegen die eigene Position verbindet.Politische TheologieEine fragwürdige politische Theologie entfaltet bereits Dan Browns 2003 erschienener Roman The Da Vinci Code, der in deutscher Übersetzung den Titel Sakrileg trägt. Das Werk verspricht in einer Vorbemerkung unter dem Titel „Fakten und Tatsachen“ den authentischen Status zentraler Elemente und Aufklärung über die laut Klappentext „größte Verschwörung der letzten 2000 Jahre“. Jahrhunderte lang habe die institutionalisierte Kirche die Überlieferungen darüber unterschlagen, dass der Menschensohn Jesus und Maria Magdalena verheiratet gewesen seien und ein Kind hatten. Aus machtpolitischen Gründen habe der Klerus zugleich versucht, die Nachkommen dieser Ehe auszurotten – und damit auch alle Bedeutungen des Weiblichen aus der christlichen Kultur zu tilgen. Doch wird nicht nur die „größte Verschleierungsaktion in der Geschichte der Menschheit“ (so der Romantext) aufgedeckt. Im Wettlauf mit den Drahtziehern und Exekutoren des konservativen katholischen Ordens „Opus Dei“ setzen sich mit Langdon Co. schließlich die Angehörigen der Geheimgesellschaft „Prieuré de Sion“ durch, die ihre Mission zur Wahrung des Wissens um die Identität des Menschen Jesus und seiner Nachkommen auch gegen Widerstände erfüllen können.Schaut der Leser aber etwas genauer hin, zeigen sich tiefer liegende Muster. Denn Dan Browns Thriller greift nicht nur auf spekulative Diskussionen um Gral und Gralslegende sowie auf apokryphe Erzählungen und die Kodizes von Nag Hammadi zurück, für die Elaine Pagels schon 1979 eine feministische Lektüre vorgeschlagen hatte. Auch die vermeintliche Entlarvung des katholischen Ordens „Opus Dei“ ist in ihrer Form nicht neu: Sie variiert das Muster der seit dem 16. Jahrhundert vielfältig überlieferten Polemik gegen den Jesuitenorden, dem man nach seiner Ordensaufhebung 1773 gleichfalls unterstellte, eine durch „Unbekannte Obere“ gelenkte Geheimorganisation zum Machterhalt der römischen Kurie zu sein.Als eigentlich neuartig und Kern einer politischen Theologie kann jedoch die paradoxale Rehabilierung Maria Magdalenas gelten. Einerseits behauptet der Romantext, die Frau an Jesus’ Seite als einen der urchristlichen Gemeinde noch selbstverständlichen Teil der heiligen Familie der Verdrängung durch die Kirche zu entreißen. Doch was geschieht tatsächlich? Die „Enthüllungen“ der angeblich verdrängten Geschichte des Christentums decken eine verborgene Dynastie Christi auf. Rekonstruiert wird nicht eine gleichberechtigte Ordnung der Geschlechter, sondern eine Genealogie, deren Verwandtschaftsordnungen weitergegeben und letztlich also stabilisiert werden. Ergebnis ist eine vermeintliche Alternativ-Geschichte, die in ihren Prinzipien genau so funktioniert wie die Realgeschichte: Herrschaft durch eine Erbfolge, an deren Anfang der Sohn Gottes, beziehungsweise Gott selbst steht; (verborgene) Macht durch eine Blutlinie, deren Geltung verdrängt werden sollte.Als nicht minder problematisch erweist sich die politische Theologie, die der Roman The Lost Symbol impliziert. Das Geheimnis der aufklärerischen Arkangesellschaften war vor allem ein Schutzraum: Es schützte gegen Ansprüche des absolutistischen Staates und der Kirche und sollte eine Kommunikation über die Grenzen von Ständen und Konfessionen hinweg möglich machen. Diese Hoffnungen beschrieb etwa Lessing in seinen „Freimäurer-Gesprächen“: Für ihn stiftete das Geheimnis eine „unsichtbare Kirche“ zur Wiederherstellung einer Einheit des Menschengeschlechts. Im 17. und 18. Jahrhundert sicherte das Arkanum zugleich die Verbindung divergierender Einzelmotivationen: Eine streng gestufte Hierarchie der Geheimhaltung erzeugte eine permanente Erwartungsspannung und garantierte den Zusammenhalt von Gruppen, in denen sich sozial, konfessionell und intellektuell heterogene Elemente versammelten. Das Arkanum setzte Illusionen und Utopien frei – wobei restaurativ-regressive Entwürfe (wie bei den preußischen Rosenkreuzern um Johann Christoph Wöllner) neben sich verändernden Plänen (wie bei den Illuminaten Adam Weishaupt und Adolph von Knigge) standen. Das Arkanum wirkte viertens als pädagogisches Attraktions- und Repressionsmittel, das sowohl zur Werbung und Anziehung als auch zur Unterwerfung und Lenkung der Adepten genutzt wurde – ein historisches Fallbeispiel ist Friedrich Wilhelm II., der als preußischer Kronprinz in die Hände der Gold- und Rosenkreuzer fiel. Unter dem Ordensnamen „Ormesus“ im Jahre 1781 in die Bruderschaft aufgenommen, wurden ihm fortgesetzt höhere Grade und tiefere Geheimnisse versprochen, wenn er die Ideen des Ordens fest bewahre und zur Grundlage seiner Politik mache. Von der Vielschichtigkeit dieses Geheimnisses ist bei Dan Brown wenig geblieben. In seinem Roman verkürzt sich das arkane Wissen auf das Versprechen unendlicher Macht und Verwandlung. Allegorische Inhalte werden in eine Chiffrensprache aufgelöst, die der Symbologe Robert Langdon entziffert. Und der Leser fragt am Ende mehr oder weniger enttäuscht, ob das nun alles gewesen ist.
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