1972: Das stets riesige Filmplakat am Kino International (oben links) ist bis heute ein Hingucker in der Karl-Marx-Allee
Foto: Max Ittenback/BPK
Dicker Teppich liegt auf den Stufen. Fast lautlos geht es eine erste Treppe hoch und einmal um die Ecke, vorbei an schummrigen, in die grau-gelben Klinkerwände eingelassenen Leuchten. Oben fällt der Blick auf einen Kronleuchter. Dahinter taucht mit jedem Schritt mehr Fensteraussicht auf, schließlich erscheinen die Dächer der Stadt; sie wirkt recht grau. Aber hier drinnen, in der Panoramabar des Kinos International in Berlin, ist die Welt eine andere. In schlichten Polsterstühlen sitzen Gäste an niedrigen Tischen, warten wohl auf den nächsten Film oder sinnieren über den letzten.
„Gute Kinos können die Stadt heilen.“ Diese These stellte der Wiener Architekt Dietmar Feistel vor wenigen Wochen auf dem Kongress Zukunft Deutscher Film vor.
Film vor. Sie klang ein wenig hochgestochen, auch weil es auf dem Kongress im Folgenden vor allem um Prestigebauten der Zukunft ging und man sich also eher der Spitzenmedizin von morgen widmete. Was aber ist mit der Grundversorgung heute? Hier könnte man die Berliner Karl-Marx-Allee demnächst als Labor begreifen. Am 13. Mai wird die letzte Vorstellung im Kino International enden und auf der geschichtsträchtigen Magistrale wird es zum ersten Mal seit 1961 kein Lichtspielhaus mehr geben.Die Stadt wird hier also verwundet. In den kommenden zwei Jahren – so lange soll die Sanierung des 1963 eröffneten Kinos dauern – könnte sich erweisen, ob seine Abwesenheit wirklich bleibende Schäden hinterlassen würde oder ob das Streamen von Filmen im privaten Rahmen das Kino wirklich ersetzen kann.Thore Horch ist in diesem Szenario so etwas wie der Apotheker. Der 32 Jahre junge Theaterleiter sitzt an der Westseite der Panoramabar seines Kinos. Das Wort „Heilung“ klingt für Horch im Bezug auf Kino und Stadt zunächst etwas groß. „Da müsste man ja erst mal fragen: Woran kranken Städte, oder auch nur dieses Gebiet hier? Ein einzelner Kulturort kann wohl kein Allheilmittel sein, aber zumindest ein Pflaster für manche Bereiche oder ein Spaziergang, der Genesungsimpulse setzt. Zumindest das kann ein niedrigschwelliges Angebot wie das Kino erfüllen, gerade auch für die direkte Nachbarschaft.“Das International liegt am östlichen Rand des Bezirks Mitte im „KMA II“ genannten Bauabschnitt der einstigen Stalinallee. Im Nachbarbezirk Friedrichshain entstanden in den frühen 1950er Jahren die charakteristischen, vom Sozialistischen Klassizismus inspirierten Wohnblöcke, hier aber sind an der Allee ab 1959 moderne Wohnhäuser, sogenannte Scheiben, entstanden. Viele Alteingesessene wohnen noch in der Nachbarschaft, andererseits besitzen im Bezirk Mitte fast 40 Prozent nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Thore Horch erinnert sich: „Schon vor zehn Jahren, bei Grand Budapest Hotel kam in den Nachmittagsvorstellungen eher das ältere Publikum und hat sich die deutsche Synchronfassung angeguckt. Abends kamen die Jungen und sahen das Original. Wenn man sich das Publikum der beiden Fassungen anschaut, käme man nicht auf den Gedanken, dass die sich für denselben Film interessieren.“ Christian Bräuer, einer von Horchs Chefs, ergänzt: „Es sind nicht mehr viele Häuser dieser Größe und es ist ein Glücksfall für uns, für die Stadt und den Filmmarkt, dass es sie noch gibt.“Die DDR-NachkriegsmoderneDer 1971 im bayerischen Weißenburg geborene Bräuer ist einer von zwei Geschäftsführern der Yorck-Kino GmbH, die Mitte der 1990er das International kaufte und als Kinostandort sicherte. Eine Hotelgruppe hatte zuvor das Gebäude von der Treuhand übernommen und wollte es zum Kongresszentrum umbauen. Es ist auch dem Willen der damals politisch Verantwortlichen zu verdanken, dass mit dem Kino International eine der wenigen Bauten der DDR-Nachkriegsmoderne heute noch wie ursprünglich geplant genutzt wird. Bräuer verweist auf die größeren Zusammenhänge. Er fordert eine gesicherte institutionelle Basisförderung des Kulturstandorts Kino. „Wo geht man denn noch hin und trifft Leute mit anderen Meinungen? Wenn wir eins gerade am stärksten verlieren, durch die sozialen Medien, durch Algorithmen, die jede Zuspitzung belohnen, dann ist es ja die Möglichkeit des Diskurses. Im Kino passiert ja das Gegenteil. Man sitzt zusammen im Saal und spricht danach darüber, was man gemeinsam erlebt hat. Das ist es doch, was wir brauchen, wenn wir uns nicht komplett den großen Digitalkonzernen hingeben wollen.“Wenige Hundert Meter entfernt, am Strausberger Platz, wo der ältere Abschnitt der Karl-Marx-Allee beginnt, kann Thomas Flierl aus seiner Wohnung auf das International gucken. Die Perspektive des 66-jährigen Historikers und ehemaligen Berliner Kultursenators ist vor allem eine ästhetische. Als Herausgeber hat Flierl Ende vergangenen Jahres ein 600 Seiten starkes Buch über die KMA II veröffentlicht, Magistrale der Moderne von der Stadtplanerin Irma Leinauer, das sich auch dem Kino International ausführlich widmet. Dessen leitender Architekt Josef Kaiser, als ehemaliger Opernsänger eine ungewöhnlich schillernde Figur, bringt Flierl ins Schwärmen. „Sein Kino ist das zu Recht denkmalgeschützte Manifest eines neuen Stadtverständnisses.“ Weit vor dem Mauerbau konzipiert, sieht Flierl hier „eine Weltöffnung und einen Aufbruch. Man hat damals in der Stadt öffentlich Orte konzipiert, wo Kultur großzügigst inszeniert und vermittelt wurde.“ Er ergänzt: „Umso bedauerlicher ist, dass das Kosmos so ruiniert wurde.“Das bereits 1961 eröffnete und ebenfalls unter Josef Kaiser konzipierte ehemalige Kino Kosmos liegt am anderen Ende der Karl-Marx-Allee. Mit 1.000 Plätzen war es das größte Kino der DDR. Dass es seit 19 Jahren geschlossen ist, scheint für das anliegende Gewerbe keine allzu nachteiligen Auswirkungen zu haben. In den Erdgeschossen der Allee gibt es kaum Leerstand, sondern Designmöbel, Restaurants, einen Drogeriemarkt und Niederlassungen von Versicherungen. Je weiter es nach Osten geht, desto hipper werden die Cafés.Der Blick auf das denkmalgeschützte Gebäude des Kosmos wird von einem verwaisten Zelt-Pavillon und nackten Stahlgerüsten verstellt, an denen früher große Banner für aktuelle Filme warben. Heute ist das Kosmos das Symptom jener städtischen Krankheit, die mit dem Fokus auf kurzfristige Interessen langfristige Schäden hinterlässt. Zum ersten Berliner Multiplex erweitert, hielt das Haus 1997 kurz einen landesweiten Rekord. 9.000 Zuschauer verzeichnete es an einem Tag. Der Bezirk erteilte der UCI-Kette die Baugenehmigung für ein weiteres Multiplexkino, nur 900 Meter vom Kosmos entfernt.Schon damals war klar, dass die prognostizierten Publikumszahlen durch kommende Großkinos in angrenzenden Bezirken Makulatur waren. Gebaut wurde trotzdem. 2002 ging die UFA, als Betreiber des Kosmos, in Insolvenz. 2005, kurz vor der Schließung des Kinos, gab Günter Kunert hier ein Interview. Der 1928 geborene Architekt war einer der engsten Mitarbeiter von Josef Kaiser und ab Ende der 50er Jahre mit der Projektgruppenleitung des Kosmos betraut. Mit mildem Lächeln erzählte er, wie man als Architekt damals „im Interesse der Gesellschaft Dinge vernünftig machen wollte“, es aber mit Bezirkspolitikern zu tun bekam, die einem ins Farbkonzept pfuschten. „Schwarz gibt es bei uns nicht“, habe einer bestimmt. „Schwarz ist die Farbe von Adenauer.“Grundsätzlich hatte Kunert gegen die Entwicklung des Kosmos ab Mitte der 1990er Jahre allerdings nichts. „Man kann immer umbauen und aus den Objekten etwas machen. Wenn ein Grundwillen da ist, die Dinge weitestgehend zu erhalten, gibt es überall Spielräume. Aber den Hauptraum sollte man doch als Kino erhalten.“Der neue, private Betreiber des Hauses kündigte zunächst auch eine vielfältige Nutzung an. Ein Saal wurde für ein Musical genutzt, es gab regelmäßige Disco-Veranstaltungen. Mittlerweile wirkt das Gebäude verwaist, nur gelegentlich finden hier noch Events statt, ausgerechnet Netflix präsentierte vor wenigen Wochen neue Highlights aus seinem Streaming-Programm. Wenn es nach Thomas Flierl geht, muss es dabei nicht bleiben. „Eigentlich bräuchte man eine Kampagne für das Kosmos. Die Berlinale könnte hier doch noch einen starken Ost-Anker setzen! Vielleicht wird das ja noch mal ein Thema.“ Der derzeitige Eigentümer des Kosmos hat auf eine Anfrage des Freitag nicht reagiert. Das UCI-Kino, die einstige unmittelbare Konkurrenz zum Kosmos, wurde 2018 wieder abgerissen. An der Stelle steht heute ein Jobcenter.Zuletzt geht es wieder an das andere Ende der Karl-Marx-Alle. An der Schillingstraße trifft sich der Nachbarschaftsrat KMA II e.V. Es geht um leer stehende Wohnungen und die Unterstützung der Tanzschule TanzZwiEt. Die habe es geschafft, „sogar die Jungs von der Straße zu holen“, musste vor einigen Jahren aber aus ihren Räumen am Strausberger Platz ausziehen. Typisch Gentrifizierung. Das Kino International gilt hier „als letzte Bastion, wo es Kultur gibt und man auch noch einen Kaffee trinken kann“. Zehn Tage vor der Schließung lädt der Verein zum Kaffee in die Panoramabar ein, um sich – vorläufig – gemeinsam vom International zu verabschieden.Vom privaten Kinobetreiber fühlt der Verein sich ernst genommen und unterstützt. Bei der öffentlichen Verwaltung und Politik erlebt man eher das Gegenteil. Instrumente demokratischer Beteiligung wie die EinwohnerInnenanfragen erweisen sich als Schimäre. „Einerseits wird die Bürgerbeteiligung gefördert. Aber dann stellt man fest: Im Grunde genommen ist man furchtbar lästig. Das frustriert nicht nur uns, sondern auch die Leute auf der Straße. Kannste reden, mit wem du willst.“Drinnen im International fällt der Vorhang. Das Licht wird wieder hell. Langsam ins Hier und Jetzt hinübergleitend, verlässt man den Saal über den Seitenausgang. Hier riecht es noch – nach Osten. „Das sagen alle“, erzählt Theaterleiter Thore Horch mit einem Lächeln. „Dabei benutzen wir schon lange kein Reinigungsmittel aus DDR-Zeiten mehr.“ Für Gerüche ist der Denkmalschutz nicht zuständig.Placeholder infobox-1
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