Premier Zapatero salutiert der Staatsräson

Ausnahmezustand im Baskenland Der Friedensprozess ist vorerst gescheitert, aber eine "nordirische Lösung" noch immer denkbar

"Beim letzten Mal waren die Leute frustrierter." Wenn Ainhoa Agirre, Metallarbeiterin und Mitglied der linksnationalistischen Basisgewerkschaft LAB, vom "letzten Mal" spricht, meint sie den Friedensprozess von 1998/99. "Damals war die Euphorie größer und deshalb auch der Absturz schlimmer."

Im Baskenland hat man mittlerweile reichlich Erfahrungen mit gescheiterten Friedensbemühungen. Unmittelbar nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975, Anfang der achtziger Jahre nach der Selbstauflösung von ETA-políticomilitar, während der Gespräche zwischen Madrid und ETA 1988 in Algerien, 1998 nach dem Lizarra-Abkommen und zuletzt 2006 unter der Regierung Zapatero. Immer wieder schien es, als würde der bewaffnete Konflikt im Baskenland ein Ende finden, und immer scheiterten alles an der selben Frage: Die ETA forderte die Anerkennung des baskischen Selbstbestimmungsrechts, während die Zentralregierung die territoriale Einheit Spaniens für unantastbar erklärte.

Aus der Sicht von Ainhoa Agirre war das Scheitern diesmal unvermeidbar. "1999 waren Teile der Batasuna-Basis unzufrieden mit der Aufkündigung des ETA-Waffenstillstands. Diesmal hingegen hatte ETA gar keine andere Wahl. Die Regierung Zapatero war zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Die wollten kein Abkommen - die wollten eine Kapitulation."

Dabei schien der Friedensprozess diesmal viel besser vorbereitet. Fünf Jahre lang hatten Vertreter der ETA nahen Partei Batasuna und die baskische Sektion der spanischen Sozialdemokraten konspirativ über die Möglichkeiten eines Friedensabkommens nach nordirischem Vorbild geredet. 2003 stellte die ETA Mordanschläge ein, ein Jahr später gewann die PSOE die spanischen Parlamentswahlen, Batasuna legte eine Art Road Map vor und wollte auf zwei getrennten Ebenen verhandeln. Madrid und die ETA sollten ausschließlich über die "militärischen Aspekte" des Konflikts sprechen: über den Abzug spanischer Polizeikräfte aus der Region, über die Entwaffnung der ETA und den Umgang mit Anschlags- und Folteropfern. Die politischen Aspekte hingegen sollten von den im Baskenland vertretenen Parteien (s. Übersicht) in einem gesonderten Forum debattiert und entschieden werden. Erstmals verwies Batasuna dabei ausdrücklich auf die Plurikulturalität der baskischen Gesellschaft und verzichtete auf den umstrittenen Begriff des "Selbstbestimmungsrechts des baskischen Volkes".

Gewählt mit 27 Stimmen

Zunächst schien es, als würden alle Parteien - mit Ausnahme des konservativen Partido Popular (PP) - den Vorschlag gutheißen. Im März 2006 verkündete ETA einen unbefristeten Waffenstillstand, die Zapatero-Regierung ließ sich die Aufnahme direkter Gespräche vom Parlament autorisieren. Doch dann verdüsterte sich der Horizont. Die PP warf Premier Zapatero den "Ausverkauf Spaniens" vor und brachte Millionen auf die Straße. Unter diesem Druck setzte die PSOE neue Kriminalisierungswellen im Baskenland in Gang und kündigte bereits getroffene Absprachen mit der baskischen Linken wieder auf. Es erwies sich als besonders verhängnisvoll, dass die Regierung Zapatero - trotz einer komfortablen Mehrheit im Parlament - das umstrittene, ausdrücklich zur Kriminalisierung Batasunas eingeführte Parteiengesetz nicht anzutasten wagte.

Als dann im Herbst 2006 auch noch die baskisch-christdemokratische PNV aus Furcht vor einem politischen Bedeutungsverlust alle Batasuna-Vorschläge blockierte, fühlte sich die ETA betrogen und verübte kurz vor Jahreswechsel jenen verhängnisvollen Anschlag, bei dem zwei ecuadorianische Einwanderer auf dem Flughafen Madrid-Barajas ums Leben kamen.

Obwohl die PSOE den Friedensprozess daraufhin für beendet erklärte, kam es unter europäischer Vermittlung zunächst zu weiteren Treffen. Bei den Gesprächen unterbreitete die ETA einen konkreten Vorschlag zur Selbstauflösung, wenn Madrid den politischen Charakter des Konflikts anerkenne und der internationalen Verifikation von Vereinbarungen zustimme. Die PSOE-Regierung erwiderte, man lasse sich nicht erpressen, und beantragte im Vorfeld der Kommunalwahlen erneut das Verbot Hunderter baskischer Wahllisten. In mehr als der Hälfte der Kommunen - darunter fast alle größeren Städte - blieb die baskische Linke damit ohne institutionelle Vertretung.

Für Ainhoa Agirre ein politischer Skandal, wie er in Europa seinesgleichen sucht. Agirre stammt aus der kleinen Gemeinde Lizartza, 40 Kilometer südlich der Küstenstadt San Sebastián. In der vergangenen Wahlperiode hatte man es dort mit einem Bürgermeister der baskischen Christdemokraten von der PNV zu tun. Die Dorfbewohner bezeichneten ihn ironisch als Fallschirmspringer, da er weder in der Ortschaft wohnte noch von ihren Bewohnern gewählt worden war. "Aber verglichen mit der Situation jetzt", meint Agirre, "war das geradezu idyllisch."

Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr erhielt die verbotene linke baskische Liste, für die mit ungültigen Wahlzetteln votiert wurde, sieben Mal mehr Stimmen als die rechte spanische Gegenkandidatur. Der Konservativen Regina Otaola reichten ganze 27 Stimmen, um Bürgermeisterin der 600-Seelen-Gemeinde zu werden. Ainhoa Agirre: "Wir versuchen wegzuschauen, wenn sie ins Dorf kommt. Aber das ist leichter gesagt als getan."

Bürgermeisterin Otaola - von den Medien in Madrid als Jeanne d´Arc der Demokratiebewegung gefeiert - rückt nur mit massiver Polizeibegleitung in Lizartza ein. Zum Dorffest im September ließ sie sich gar eine besondere Provokation einfallen, sie sorgte dafür, dass die spanische Fahne am Gemeindeamt gehisst wurde - zum ersten Mal seit Francos Tod. "Sie ist mit einer vermummten Polizei-Sondereinheit gekommen ... Wie eine Besatzungsmacht. Anders kann man das wirklich nicht nennen." Auf meine Frage, warum die Bewohner die Fahne nach Abzug der Polizei nicht einfach abgehängt hätten, blickt mich Agirre entgeistert an. "Darauf stehen fünf Jahre Gefängnis."

Mit Ultrarechten an einem Strang

Im Küstenort San Sebastián ist, von ein paar Altstadtgassen abgesehen, vom politischen Konflikt kaum etwas zu sehen. Einkaufspassagen und touristische Flaniermeilen beherrschen das Bild. Selbst auf dem Universitätsgelände, wo man ab und an auf Plakate verbotener baskischer Jugendorganisationen stößt, wirkt die Atmosphäre eher entpolitisiert. Ein durchaus charakteristischer Eindruck für das Baskenland - nicht Großstädte und akademische Milieus, sondern mittlere Ortschaften und Dörfer sind hier Hochburgen der Linken.

Carlos Martínez, Dozent für Philosophie an der Universität des Baskenlandes und Sprecher der Bürgerinitiative Basta Ya, zeigt sich im Gegensatz zu Ainhoa Agirre überaus erleichtert, dass der Friedensprozess gescheitert ist. Mit einem gewissen Stolz verweist Martínez auf den aktiven Widerstand von Basta Ya gegen die Verhandlungen. Die als Organisation von ETA-Opfern gegründete Initiative mobilisierte im Vorjahr gemeinsam mit der spanischen Rechten gegen die PSOE-Regierung. Die Tatsache, dass Premier Zapatero der baskischen Seite im Friedensprozess keinerlei Konzessionen machte, wird von vielen Beobachtern maßgeblich auf diesen Druck zurückgeführt.

Den Universitätsdozenten Martínez ficht die Tatsache, dass Basta Ya dabei mit Ultrarechten an einem Strang zog und bei Demonstrationen häufig frankistische Parolen zu hören waren, nicht weiter an: "Wir mussten das machen. Die Demokratie stand auf dem Spiel. Es geht den Unabhängigkeitsbewegungen ja nicht einfach um die Teilung Spaniens, sondern um die Errichtung einer Diktatur." Die Initiative Basta Ya, die der baskischen Linken vorwirft, faschistisch und kommunistisch zu sein, hält die Verteidigung der Verfassung für ihre zentrale Mission. "Wir sind nicht grundsätzlich dagegen, dass man die Verfassung verändert", erklärt Martínez, "aber jede Veränderung muss den Verfassungsprinzipien entsprechen."

Hinter der unscheinbaren Formulierung versteckt sich der eigentliche Kern des baskischen Konflikts. Die Verfassung, die 1977/78 als Pakt zwischen der sozialdemokratischen PSOE und den alten Eliten Francos zustande kam, legt fest, dass die Autonomieregionen ihren politischen Status nur mit Zustimmung Madrids verändern können. Da im spanischen Parlament aber niemals die für eine Loslösung notwendige Mehrheit zustande kommen wird, untersagt die Verfassung den Regionen faktisch eine selbstständige demokratische Entscheidung. Im Baskenland galt die Bürgerinitiative Basta Ya - im Ausland oft als Bürgerrechtsorganisation bezeichnet - deshalb immer eher als politischer Verband des spanischen Nationalismus.

Von daher scheint es folgerichtig, dass Basta Ya jüngst ankündigte, sich in eine Partei umwandeln zu wollen. Unter Führung des Philosophen Fernando Savater, der ehemaligen EU-Parlamentariers der PSOE, Rosa Díaz, und von Carlos Martínez selbst bereitet man die Gründung der Partei Unión, Progreso y Democracia (UPD) vor. Auf die Frage, wo die neue Formation im Parteienspektrum zu verorten sei, antwortet Martínez ausweichend. Links und rechts seien überholte Begriffe. Im Gegensatz zur PP werde man sich für eine stärkere Trennung von Staat und Kirche einsetzen. Der größte Widerstand werde sich jedoch gegen jeden Versuch der PSOE richten, neue Autonomieregelungen auf Kosten der spanischen Einheit auszuhandeln.

Referendum im Oktober 2008

Für den anstehenden Wahlkampf gibt es ausreichend Stoff, um diese Haltung zu bekräftigen: Der baskische Ministerpräsident Juan José Ibarretxe hat gerade eine Volksbefragung zum 25. Oktober 2008 angekündigt. In der Consulta werde man Madrid auffordern, die Bevölkerung des Baskenlands als demokratischen Souverän anzuerkennen und Verhandlungen mit der ETA aufzunehmen. Gleichzeitig werde man von der Untergrundorganisation einen definitiven Gewaltverzicht verlangen.

Noch ist unklar, ob die baskische Christdemokratie damit tatsächlich eine radikale Wende einleiten will oder es sich nur um eines jener zahlreichen propagandistischen Manöver handelt, wie sie für die PNV-Politik so typisch sind. Die ersten spanischen Reaktionen verheißen nichts Gutes. Fernando Savater von Basta Ya/UPD forderte die Regierung Zapatero auf, Ibarretxe seines Amtes zu entheben. Und auch PSOE und PP geizten nicht mit Gewaltandrohungen.

Gäbe es das angekündigte Referendum könnte das die Parameter des Konflikts komplett auf den Kopf stellen. Eine offene Konfrontation zwischen Autonomieregierung und Madrid würde der Unabhängigkeitsbewegung internationale Öffentlichkeit und wohl auch Legitimität verschaffen. Zugleich müsste die ETA - und würde es wohl auch - ihre Anschläge einstellen, wenn eine ihrer zentralen Forderungen erfüllt wäre.

Bei Batasuna ist man skeptisch, ob es soweit kommt. Die Autonomieregierung hat bislang noch alle Anordnungen aus Madrid treu befolgt. Das Parteienverbot beispielsweise wird von der Autonomiepolizei umgesetzt, die Ministerpräsident Ibarretxe untersteht. Pernando Barrena, nach der Inhaftierung von Arnaldo Otegi wichtigster Batasuna-Sprecher, wies denn auch unmittelbar nach Bekanntwerden des Ibarretxe-Plans zunächst auf die Probleme hin. Navarra, das zumindest historisch enge Verbindungen zu den baskischen Provinzen Gipuzkoa, Araba und Bizkaia besitzt, werde auf diese Weise ausgeschlossen. Zudem habe Ibarretxe nichts zum Ausnahmezustand gesagt, in dem es für einen beträchtlichen Teil der baskischen Bevölkerung unmöglich ist, Stellung zu beziehen.

Und doch ist diesmal zumindest ein Element neu: Erstmals hat die baskische Autonomieregierung ein Datum genannt. Der Friedensprozess von 2006 ist gescheitert, doch die von Batasuna und ETA verteidigten Positionen dürften den spanischen Wahlkampf 2008 nachhaltig prägen.


Batasuna mehr denn je kriminalisiert

Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass im spanischen Baskenland faktischer Ausnahmezustand herrscht, dann hat ihn die Guardia Civil gerade erbracht. Auf Initiative der Regierung in Madrid verhaftete die spanische Polizei 23 führende Mitglieder der baskischen Linkspartei Batasuna. Begründung: Batasuna sei zum politischen Apparat der ETA zu rechnen.

Tatsächlich wird das Parteiengesetz - es kam 2002 zustande, um die Unabhängigkeitspartei zu kriminalisieren - im Baskenland selbst von einer deutlichen parlamentarischen Mehrheit abgelehnt. Schließlich beruht das Parteiverbot letztlich darauf, dass sich Batasuna nicht von der Gewalt der ETA distanziert. Würde die Partei diesen Schritt tun, stünde ihrer Legalisierung - so die Regierung des sozialistischen Premiers Zapatero - nichts im Wege.

Batasuna verweigert sich mit einem durchaus plausiblen Argument. Im so genannten Anti-Terrorkampf habe auch der spanische Staat schwere Menschenrechtsverletzungen zu verantworten. Es müsse daher um ein Ende der Gewalt auf beiden Seiten gehen. Darüber hinaus haben Vermittler im Friedensprozess wie der nordirische Pfarrer Alec Reid darauf verwiesen - eine Distanzierung Batasunas würde problematische Folgen haben. Nur Batasuna könne gewährleisten, dass die ETA in eine Verständigung eingebunden werde und ihre Waffen niederlege. Genau dafür hatte sich die inhaftierte Batasuna-Führung zuletzt massiv eingesetzt. Insofern spricht einiges dafür, dass die PSOE-Regierung mit den Verhaftungen aufzeigen will, wie weit sie zu gehen bereit ist. Man werde kein Referendum über den politischen Status des Baskenlandes dulden, ließ Madrid vor einer Woche verlauten - auch dann nicht, wenn es dafür im baskischen Autonomieparlament eine klare Mehrheit geben sollte.

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