Recycling mit Stil: der Tauschbörsen-Boom

Virtuelle Flohmärkte Die Online-Dimension der Second Hand- Kultur

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Tauschmarkt offline
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Foto: Miguel Villagran/Getty Images

Das ist aber ein toller Pulli! Ist der neu?“ - „Nein, erkreiselt.“ Irgendwie komme ich mir bei solchen Gesprächen immer wieder vor wie in dieser grunddämlichen Uralt-Perwoll-Werbung. Seit ich seit einigen Monaten Mitglied der Tauschbörse „Kleiderkreisel“ bin und meine Liebe zu Flohmärkten entdeckt habe, steht „Shopping“ bei meinen Hobbies ganz hinten an. Ein Erfahrungsbericht.

Meine erste besuchte Webseite am Tag ist grundsätzlich mein E-Mail-Fach. An zweiter Stelle kommt sofort meine zweitliebste Online- Domain: Kleiderkreisel. Ich bin da klischeemäßig weiblich und liebe Mode, Schuhe und Accessoires, öfters auf der Suche nach Schnäppchen und neuen Outfitideen. Wenn man wollte, könnte man den großen Modeketten der Innenstadt ein halbes Vermögen in den Rachen schieben, das irgendwo in Bangladesh und Indien in Form neuer Maschinen und Billigstarbeitskräfte wieder ausgespuckt und verheizt wird. Man könnte, wenn man auch den Nerv dazu hätte, sich ständig durch überfüllte Kaufhäuser zu wühlen und sich als Hetz- oder Lauerjäger die besten Schnäppchen gegenüber der Jagdkonkurrenz sichern. Es ist nicht lange her, da gehörte dieses Prozedere für mich noch zu den regelmäßigen Lebensritualen, bervorzugt mit weiblichen Adjutanten meines Vertrauens.

Es gibt mehrere Momente, die alles ändern können. Beispielsweise den Moment, in dem man merkt, dass man sich in Menschenmengen nur noch unwohl fühlt und aggressiv wird. Den Moment, in dem man sich einmal tiefgründiger über globale Produktionsbedingungen der Schlussverkaufs- Beute informiert. Oder eben den, in dem man erfährt, dass Alternativen näher liegen, als man dachte, Flohmärkte plötzlich im Freundeskreis wieder cooler erscheinen und einem aus heiterem Himmel von einer freundlichen Kommilitonin virtuelle Tauschbörsen empfohlen werden. „Da gibt’s wirklich schöne Sachen.“ Na dann.

Auf der Hauptseite der Tauschbörse angekommen, wunderte ich mich über die rege Frequentiereung dieses Geschäftsmodells. Etwa eine Million Mitglieder, unzählige Artikel, die zum Verkauf oder Tausch stehen (natürlich Second Hand), ein riesiges Forum, wo Angemeldete sich über Gott, Teufel, die Welt und natürlich Kleidung und Stilfragen austauschen können. Kurz: Ich war begeistert und sofort mit Feuer und Flamme dabei. Es ist sehr einfach, sich in die Community einzubringen und sich in die technischen Kunstgriffe einzuarbeiten, um Artikel einzustellen, zu suchen, zu bewerten und einen guten Deal herauszuschlagen. Besser noch: Da jeder Kauf oder Tausch auf persönlichen Kontakt angewiesen ist, werden dabei noch Kontakte geknüpft und Freundlichkeiten ausgetauscht. Natürlich gibt es auch Konflikte, die in Einzelfällen eskalieren und in Streit ausarten können, aber das ist nicht unbedingt die Regel und ein side effect, wo immer Menschen zusammentreffen und miteinander handeln.

Es können sich sogar ganze Gemeinschaften und neue Tauschformen herausbilden: Wander- und Wichtelpakete, Whats App- Gruppen, ein umfangreiches und geordnetes Forum. Der tägliche „Forumstrollthread“ sorgt dabei für das lustige Sahnehäubchen auf einer coolen Geschäftsidee. Stilvolles Recycling noch wertvoller Ware inclusive. Ein paar Nachteile gibt es dennoch. Private Tausch- und Verkaufsgeschäfte können unter Umständen schief gehen, wenn man an die falschen Leute, nämlich Betrüger, gerät. Außerdem muss man manchmal etwas länger und spezifischer suchen, wenn man etwas Bestimmtes haben möchte. Für Träger und Trägerinnen besonderer Größen außerhalb der Norm gehört dieses Suchprozedere aber so oder so zum nervigen Alltag und der private Tauschhandel macht oft sogar mehr Spaß, als sich im Geschäft dem distanziert-skeptischen Blick zierlicher Verkäuferinnen auszusetzen, vielleicht nicht einmal irgendetwas in der eigenen Größe oder Schuhgröße zu finden. Der dritte Nachteil von Online-Tauschbörsen ist die Tatsache, dass man mehr Zeit und Geld in die Logistik stecken muss, als man es sonst tun würde. Wenn man diesen Aufwand nicht erbringen möchte, sollte man lieber beim nicht virtuellen Flohmarkt bleiben.

Fazit: Kleiderkreisel, Kleiderkorb, Tauschothek und verwandte Communities sind nichts für Ungeduldige, die zwingend absolute Neuware sofort in einer Plastiktüte mitnehmen wollen und das Ambiente voller Innenstädte und Kaufhäuser lieben. Wer aber Second Hand – Shops und Flohmärkte schon immer kultig fand und wem es dazu nichts ausmacht, den Post- oder Hermesboten irgendwann am Gesicht zu erkennen, für den sind Tauschplattformen eine gute Shopping-Alternative.

Katherina I.

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Geschrieben von

rebelcat86

- Master of Desaster ...äh Arts in Komparatistik - Kind der "Generation Praktikum" - Ironie on!

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