Das hässliche Entlein war ein Schwan. Am 16. Februar bestätigte das Friedrich Löffler Institut auf der Insel Riems den ersten Befund mit dem Virus H5N1 vom Typ Asia für ein in Mecklenburg-Vorpommern aufgefundenes totes Tier. Damit hat das seit einigen Jahren in Südostasien grassierende Virus Deutschland nun offiziell erreicht. Auch aus anderen Staaten der Europäischen Union häufen sich die Meldungen über tot aufgefundene Wildvögel, die dem Virus zum Opfer gefallen sind.
Schwäne mit einem Gewicht von bis zu 15 Kilogramm und weißem Gefieder sind auffällige Vögel in der bräunlichen Winterlandschaft - das Tauwetter bringt zu Tage, was sich teils schon in den Wochen zuvor unterm Eis gesammelt hat, teils frisch verendet ist. Plötzlich findet man sie überall auf Rügen: Tote Schwäne und andere Vogelkadaver in großer Auswahl für Fernsehteams und angereiste Politiker.
"Tote Schwäne gibt es hier jedes Jahr", wurden die Einheimischen noch zu Beginn des Ausbruchs zitiert. Wintermortalität nennen das Biologen, die sich mit Populationsdynamik beschäftigen: Geschwächt durch Kälte und Futtermangel, sind die Tiere anfällig für Krankheitserreger, die sie entweder bereits in sich tragen oder mit denen sie gerade infiziert worden sind. Bei Schwänen überleben 60 bis 70 Prozent der Jungvögel den ersten Winter nicht. Ausgewachsene Schwäne haben keine natürlichen Feinde, von denen sie erlegt und gefressen werden könnten, erst wenn sie tot sind, machen sich Krähen und Möwen über die Kadaver her.
Keim aus dem Labor?
Ein sterbender Schwan ist also nichts Besonderes, doch was rund um Rügen passiert, ist mehr. Während Beobachter in Niedersachsen und im Rheinland keine erhöhte Sterblichkeit von Schwänen festgestellt haben, übersteigt das Schwanensterben auf Rügen die üblichen Maßstäbe, und dass mittlerweile auch auf dem Festland die ersten Vogelgrippe-Fälle aufgetreten sind, ist alarmierend.
Da sich das Geschehen in unmittelbarer Nähe zum nationalen Referenzlabor für Aviäre Influenza abspielt, liegt die Frage nahe, ob das Virus vom Typ Asia aus den dortigen Labors stammt. "Dagegen wehren wir uns vehement", sagt Pressesprecherin Elke Reinking und erläutert die Bedingungen im Hochsicherheitslabor: Im Gebäude herrsche Unterdruck, alle Proben von Tieren, die in dem Gebäude untersucht werden, würden vor Ort zu Tiermehl verarbeitet und das Tiermehl verbrannt. Mitarbeiter, die sich an die Vorschriften zu Kleiderwechsel und Duschen beim Verlassen ihres Arbeitsplatzes nicht hielten, würden fristlos entlassen.
Wäre es so, könnte sich Riems ins Bilderbuch der Vorzeigeforschung einschreiben lassen. Die wissenschaftliche Arbeit zum Thema Geflügelgrippe läuft in Deutschland jedoch keinesfalls optimal ab, das zeigte sich schon vor Beginn des Ausbruchs auf Rügen. Riems, die Festung der Virenforschung, ist abhängig vom Probenmaterial, das kommt: Kotproben und verendete oder geschossene Vögel, alle verdächtigen Proben werden hier angeliefert. Die Bundesländer sind dafür zuständig, die 8.000 Proben zu liefern, die das von der EU-Kommission angeordnete Wildvogelmonitoring für diesen Winter vorschreibt. Teilweise wird die Sammlung und die Überwachung an die Jägerschaft delegiert. Obwohl die Jagdsaison auf Enten und Gänse seit Mitte Januar vorüber ist, sind die Jäger in Mecklenburg-Vorpommern aufgerufen worden, die Vogelsammelplätze in ihren Revieren intensiv zu kontrollieren und das Veterinäramt zu informieren, falls sie tote Vögel finden. Auch das Land Niedersachsen setzt bei der Probensammlung auf die Jäger.
Die Probensammlung ist aber nicht auf Totfunde beschränkt, und nicht bei allen Arten, die die Behörden untersuchen wollen, handelt es sich um Jagdwild. Von den häufigen und jagbaren Tieren wie der Stockente ist es kein Problem, ausreichend Exemplare zu sammeln. Doch bei anderen Spezies wird es schwieriger: Jäger, die geschützte Arten wie Singschwan und Zwerggans schießen, riskieren eine Anzeige. Selbst wenn solche Tiere verwechselt und erlegt werden, kommen sie nur in seltenen Fällen bei den Untersuchungsämtern an. Auch andere Arten entziehen sich der planmäßigen Untersuchung: Die Knäkenten zum Beispiel waren zufällig alle in Afrika, als man sie in Norddeutschland beproben wollte.
Notstand Wildtierforschung
In den Niederlanden dagegen werden die Proben systematisch bei der Beringung der Vögel genommen. Gänsefänger, die traditionell mit Lockvögeln und Klappnetzen arbeiten, melden die Anzahl der gefangenen Tiere. Nachdem sie mit Ringen markiert und vermessen sind, wird ihnen mit einem Tupfer etwas Kot entnommen. Anschließend werden die Tiere wieder ausgesetzt und können unbeschadet davon fliegen. Wie in den Vorjahren weisen etwa zwei Prozent der Proben von Gänsen eine breite Palette an Grippeviren auf, die aber vollkommen harmlos sind.
Für derartig groß angelegte Fangaktionen in Deutschland Genehmigungen oder gar Mittel zu bekommen, ist nahezu unmöglich. Kotproben werden entweder von den ehrenamtlichen Beringern geliefert oder man sammelt die Häufchen von einer Wiese, auf der eben noch ein Gänsetrupp gesessen hat. In Nordrhein Westfalen mussten Amtstierärzte das potenziell pathogene Material unter Aufsicht von Ornithologen bergen: Die Veterinäre als offizielle Köttelsammler, die Ornithologen, um ihnen die richtigen Kothäufchen aufspüren zu helfen. Andere Bundesländer setzen auf Freiwillige und Jäger.
Obwohl dieser unermüdliche ehrenamtliche Einsatz der Vogelberinger, Jäger und anderer Helfer alles Lob verdient, darf dennoch festgestellt werden, dass die biologische Forschung in Deutschland eine Zweiklassengesellschaft ist: Geld für wilde Tiere gibt es nämlich kaum. Die renommierte Vogelwarte Hiddensee beispielsweise wurde auf eine reine Beringungsstation zurückgestutzt, die Vogelwarte offiziell an die Universität Greifswald verlagert. Veterinärmediziner werden für den Einsatz im Kuhstall und in der Kleintierpraxis ausgebildet, Wildtierforschung ist allenfalls ein Nebenfach. Auch Biologiestudenten orientieren sich an mikrobiologischen und genetischen Fächern, denn mit Artenkenntnis und Populationsdynamik haben sie auf dem Arbeitsmarkt keine Chance.
Dass niemand genau sagen kann, wie die kranken Wildschwäne nach Rügen gekommen sind, ist der sprechende Beweis für diesen Notstand. Es fehlen hauptberufliche Ornithologen, und es mangelt an der interdisziplinären Forschungsarbeit, die Labor- und Freilandarbeitsmethoden verknüpft und die bei einem so brisanten Thema wie der Vogelgrippe notwendig wäre. Das komplexe Leben, das die Tiere in freier Wildbahn führen, wird im Labor reduziert auf eine übersichtliche Probenzahl. Wertvolle Hinweise zur Herkunft der Viren auf Rügen werden übersehen. Ein tot aufgefundener Singschwan trug einen blauen Halsring mit der Kennung 2C26. Doch die Meldung an die Vogelberinger kam nicht etwa aus Riems oder von Rügen, vielmehr ermittelte die Nachrichtenagentur Reuters die Herkunft des Vogels. Er wurde im August vergangenen Jahres als Jungtier in Lettland markiert.
Ökonomische Interessen
Während die Wissenschaftler darüber rätseln, wie das Virus nach Rügen kam, verzeichnen die Hotlines der Länderministerien und des Bundesministeriums für Ernährung, Verbraucherschutz und Landwirtschaft in der letzten Woche bis zu 200 Anrufe pro Stunde. Hobbyhalter erkundigen sich nach Stallpflicht und Tipps zum richtigen Umgang mit ihren Tieren. Verunsicherte Bürger wollen wissen, ob sie noch nach Rügen reisen können und ob auch Hund und Katze gefährdet seien. Die Worte "das auch für den Menschen gefährliche Virus" sind so oft in den Medien verwendet worden, dass die Angst vor dem Supervirus immens ist.
Doch ist nicht in erster Linie der Mensch in Gefahr, sondern wilde Vögel und die Geflügelwirtschaft. Die unter Umständen erhebliche Gefährdung seltener Wildvogelarten und ihres Bestandes ist volkswirtschaftlich nicht interessant. Andere Zahlen dagegen werden häufig zitiert: In den Niederlanden wurden beim Geflügelpestausbruch 2003 30,6 Millionen Tiere getötet und damit ein Schaden von mindestens 750 Millionen Euro verursacht, anderen Angaben zu Folge summiert sich der volkswirtschaftliche Verlust auf über eine Milliarde Euro.
Daran orientieren sich die Maßnahmen gegen die Vogelgrippe. Ausruf des Katastrophenfalles, Einsatz der Bundeswehr, vorsorgliches Keulen gesunder Hausgeflügelbestände, all das ist nötig, um die Geflügelwirtschaft zu schützen: "Wenn der Weihnachtsbaum Feuer fängt, ist es wichtig, ihn mit einem Eimer Wasser zu löschen, bevor auch das Haus oder das ganze Dorf brennt". Ein beschönigender Vergleich, den Niedersachsens Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen dem Deutschlandradio geliefert hat und der viel aussagt über das Verhältnis des Menschen zu den Tieren.
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