Es ist mutiert. H5N1, das in Asien grassierende Vogelgrippevirus, hat genetisch dazugelernt. Es kann nun leichter Zellen von Säugetieren und damit auch Menschen infizieren. So jedenfalls heißt es in aktuellen Veröffentlichungen des Institut Pasteur in Ho Chi Minh Stadt, Vietnam. Einige der Oberflächenproteine des Virus seien so verändert, dass auch die Virulenz deutlich gestiegen sei. Noch infektiöser, noch aggressiver, noch gefährlicher - ist H5N1 nun wirklich zum nächsten Pandemievirus geworden? Die 24 Proben, auf die sich die Untersuchung des vietnamesischen Instituts Pasteur beziehen, wurden im Frühjahr 2005 von Wassergeflügel und Menschen genommen. Hätte sich ein Superkillervirus ein halbes Jahr Zeit genommen, auf seine Weltreise zu warten? Vermutlich nicht.
Kein genetisches Nummernschild
Grippeviren mutieren ständig und auf unterschiedliche Weise: Dem Virus unterlaufen Fehler beim Kopieren des eigenen Genoms oder es tauscht mit anderen Grippeviren Stücke aus. H5N1, die Bezeichnung des derzeit so genau beobachteten Virus, ist aber kein genetisches Nummernschild, vergleichbar mit einem Autokennzeichen. Hinter einem Autokennzeichen verbirgt sich in der Regel ein ganz bestimmtes Auto. Es hat eine bestimmte Farbe, wurde von einem bestimmten Hersteller vertrieben und zeigt spezifische Leistungsmerkmale.
Grippeviren dagegen drehen durch Mutation immerzu an Schräubchen, die einzelne Merkmale verändern und auch ihre Leistung beeinflussen. Ein H5N1 gleicht nicht aufs Atom genau einem anderen H5N1, es handelt sich um einen Sammelbegriff. Er steht für eine Gruppe von Influenza A Viren, bei denen zwei Oberflächenproteine nahezu identisch sind. Das sind Hämaggluttinin (H) und Neuraminidase (N), sozusagen die Enterhaken des Virus. Mit diesen beiden Schlüsseln kann sich das Grippevirus in Zellen der Atemwege, die die passenden Schlösser haben, ein- und ausschleusen. Je erfolgreicher und besser angepasst eine neue Mutation dabei ist, um so häufiger vermehrt sie sich. Viren mit den Schlüsseln H5 oder H7 sind auf Geflügel spezialisiert. H1, H2 und H3 in Kombination mit N1 und N2 verursachen die alljährlichen Grippewellen bei Menschen.
Viren vom Typ H3N8 zum Beispiel infizierten bisher nur Pferde. Im Jahr 2004 kam es in Florida zu einem ersten Grippeausbruch bei Windhunden, das Virus erwies sich als ein H3N8. Im Frühjahr 2005 erkrankten etwa 20.000 Hunde in 20 Rennställen verteilt auf elf Staaten der USA. Im April wurde das Virus zum ersten Mal bei privat gehaltenen Haushunden nachgewiesen. Experten des CDC (Center for Disease Control and Prevention) in Atlanta räumen aber ein, dass es unklar ist, ob Haus- oder Windhunde zuerst betroffen waren.
Hundeschnupfen
Seit dem Frühjahr schnieft und hustet es in amerikanischen Hundekörbchen. Herrchen und Frauchen sind verunsichert, denn fast alle Hunde stecken sich an. Ähnlich wie bei einer gewöhnlichen Menschengrippe verlaufen 80 Prozent der Fälle komplikationslos, doch gelegentlich entwickeln die Hunde eine Lungenentzündung und zwischen fünf und acht Prozent sterben an der Krankheit.
Diesem Virus ist etwas Außergewöhnliches gelungen. Genau genommen ist bei H3N8 das passiert, was man beim Vogelgrippevirus fürchtet: Der Übergang von einer Art auf eine andere. H3N8 hat nicht nur die Artengrenze vom Pferd zum Hund überwunden, es hat außerdem den Schlüssel entwickelt, um sich auch von Hund zu Hund zu verbreiten. "Dieses H3N8 Virus ist seit 40 Jahren für Pferde bekannt und wir müssen bedenken, dass in all diesen Jahren nicht ein einziger Fall einer Infektion bei Menschen dokumentiert wurde", erklärt Ruben Donis, Chef der Abteilung für molekulare Genetik am CDC, gegenüber dem Wissenschaftsmagazin New Scientist.
Die Tierseuche Geflügelgrippe springt auch gelegentlich auf den Menschen über. 130 Fälle von H5N1 beim Menschen hatte die Weltgesundheitsorganisation bis zum vergangenen Sonntag dokumentiert, davon 67 Todesfälle. Obwohl es drei Verdachtsfälle gibt, ist nach wie vor nicht gesichert nachgewiesen, ob eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich ist.
Das ist, global gesehen, nicht alarmierend. Doch nicht ob das Pandemievirus kommt, sondern nur wann es soweit ist, sei die Frage - behaupten jedenfalls die Experten der WHO (Weltgesundheitsorganisation). Die Geflügelpest - wie der umgangssprachliche Name für die Tierseuche bisher lautete - ist in den letzten Wochen in elf Provinzen Chinas erneut ausgebrochen, in Vietnam sind derzeit 13 Städte und Provinzen betroffen. China hat in der vergangenen Woche zum ersten Mal drei Infektionsfälle beim Menschen eingeräumt.
Die Krankheit sei in südostasiatischen Beständen unausrottbar, vermutet der Historiker Mike Davis in seinem im Oktober erschienenen Buch Vogelgrippe, in dem er die bisherige Entwicklung des Themas sowie die politischen Hintergründe zusammenfasst. In Thailand und Vietnam sind Hühner Massenware, teils werden sie in kleinen Beständen gehalten, teils vollindustrialisiert in Großbetrieben mit politisch einflussreichen Betreibern. Vertuschung habe mehrfach zu verzögerten Reaktionen der Regierung geführt. Einerseits erklärt sich der wiederholte Ausbruch der Geflügelpest also aus der Art des Virus, andererseits hängt er mit den traditionellen Haltungsbedingungen zusammen. In China zum Beispiel leben 70 Prozent der Hühner in nächster Nähe zum Menschen. In ganz Südostasien sind Hühner als billige Proteinlieferanten in fast jedem Hinterhof zu finden.
Ähnlich sieht es am anderen Ende der Zugvogelreiseroute aus, in Afrika. In einem im Oktober erstellten Thesenpapier spricht die WHO die Befürchtung aus, dass Ausbrüche der Geflügelpest in Afrika zu spät bemerkt werden könnten. Die Haltungsbedingungen und das völlige Fehlen von Überwachungsprogrammen für Tierkrankheiten sind ein Problem. Sollten Fälle beim Menschen auftreten, entsteht ein weiteres: Die Gesundheitssysteme sind mangelhaft, Labors zum Nachweis der Krankheit gibt es kaum. Mike Davis stellt das Szenario noch weitaus dramatischer dar als die WHO: Die Slums der afrikanischen Großstädte haben mit die höchsten Bevölkerungsdichten der Welt. Wo sich Menschen so eng zusammendrängen, verbreiten sich hochansteckende Krankheiten schneller, zumal in Afrika viele durch AIDS und Malaria immungeschwächte Menschen leben. Doch 95 Prozent der Produktion von Impfstoffen und Medikamenten landet - laut Davis - in den reichen Ländern der Erde.
Wer wird therapiert?
Die gerechte Verteilung ist auch in den Industrieländern ein umstrittenes Thema. Wer kommt im Pandemiefall zuerst: Kinder und alte Menschen oder doch lieber die Erwachsenen, damit die wirtschaftlichen Ausfälle nicht so groß werden? Was ist wichtig? Wer ist wichtig? In Deutschland gibt es neben dem nationalen Pandemieplan (www.rki.de) auch eigene Pläne der Länder.
Die norddeutschen Bundesländer planen, einen gemeinsamen Basisvorrat des antiviralen Medikaments Tamiflu einzulagern - in Fässern, als Pulver statt in Kapselform. Portionieren und Austeilen sollen es im Katastrophenfall die Apotheken. Für 4,5 Prozent der Bevölkerung solle es reichen, erklärte Matthias Pulz vom niedersächsischen Landesgesundheitsamt vergangene Woche auf dem 10. Hannoverschen Impfsymposium.
An Herstellungsverfahren und neuen Grippeimpfstoffen wird intensiv geforscht, denn alle bereits existierenden Impfstoffe basieren auf befruchteten Hühnereiern. "Das ist nicht das, was wir uns für eine moderne Biotechnologie wünschen", kommentierte Jens-Peter Gregersen, Forscher bei Chiron Vaccines, anlässlich des Impfsymposiums die aktuelle Situation: "Wir hängen vom Huhn ab."
Dies ist aus mehreren Gründen problematisch: Manche Virusstämme kann man nicht in befruchteten Hühnereiern anziehen - H5N1 gehört dazu: Der Embryo stirbt ab. Außerdem wirkt das Ei wie ein Filter: Es kommt nicht genau die Virusmischung heraus, die man hineingegeben hat, und der Prozess kann lange dauern, vom Huhn über das Ei bis zum Impfstoff können bis zu sechs Monate vergehen. "Es sind keine Frühstückseierhühnchen, die dort sitzen", sagt Gregersen. Was aber passiert, wenn im Fall eines Geflügelpestausbruchs die Bestände der speziell für die Produktion dieser Eier gehaltenen Legehennen sterben?
Die Herstellung eines Impfstoffes mit Hilfe einer in großem Maßstab anwendbaren Zellkultur-Technologie ist also das Ziel. Damit kann sich die Herstellung einer neuen Grippeimpfstoffkombination auf etwa zwei Monate verkürzen. Die Mengen können nach Bedarf produziert werden. "Das Verteilungsproblem der Impfstoffe, wird dann hoffentlich aufhören", meint Gregersen, dessen Projekt sich derzeit in der dritten Testphase auf dem Weg zur Zulassung befindet.
Zum Weiterlesen:
Mike Davis: Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien, Assoziation A, Berlin, Oktober 2005
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