Jeans sind keine Hosen

Aufrührer Zum Tod von Ulrich Plenzdorf (1934-2007)

"Ich habe diese Auseinandersetzung über die Deutungshoheit östlicher Schicksale glatt verloren", sagt Ulrich Plenzdorf 2003 in einem Interview. Es geht ihm zu diesem Zeitpunkt wie den meisten Intellektuellen aus der DDR. Nur: Er galt jahrzehntelang als einer, der den Aufmüpfigen, den Hitzköpfen, den Veränderern eine Sprache gab. Der im Westen als Kronzeuge gehandelt wurde für den Drang, gegen überkommene Starrheit östlich der Elbe anzurennen. Er fand dafür Figuren, die die Lust am Entdecken verkündeten und sich bewegten, als seien Grenzen etwas Imaginäres, Durchlöcherbares. Das stieß in der DDR auf Misstrauen, auch wenn Plenzdorf es auf den Geist bezog. Denken, Entdecken, das Gelernte als Basis, nicht als Endpunkt begreifen, staunen, fliegen, suchen, Neues finden und anderes tun, das musste es geben, das war Leben, alles andere war Tod, jedenfalls für ihn.

Irgendwann denkt jeder junge Mensch genau so, er beginnt sein Erwachsenendasein, als wäre er der Erfinder seiner Generation: Ich komme - was vor mir war, ist dazu da, verbessert, verändert, weggeworfen zu werden. Plenzdorf entwickelt daraus seine künstlerische Sprache. Als gelernter Filmemacher (nach einem abgebrochenen Studium des Marxismus-Leninismus in Leipzig, der "Bewährung" in der Produktion als Bühnenarbeiter bei der DEFA und einem Studium an der Filmhochschule in Babelsberg) wollte der am 26. Oktober 1934 als Sohn eines kommunistischen Maschinenbauers in Berlin-Kreuzberg geborene Plenzdorf seine Stoffe natürlich in Drehbücher fassen. Das ging aber erstmal nicht. Subjektiv: Er fand noch keine Linie. Objektiv: Ihn interessierte gerade das Untypische, das Andere, Neue - das aber wollten die, die die Produktionsgenehmigung geben sollten, nicht.

Die neuen Leiden des jungen W., entwickelt als Film, erscheinen als Prosa, zunächst in Sinn und Form, ein Jahr später beim Verlag Hinstorff, dann als Theaterstück, erstaufgeführt in Halle 1972. Der Erfolg ist überwältigend. Die Jeansgeneration hat ihren Autor. "Ich meine, Jeans sind eine Einstellung und keine Hosen", wird zum geflügelten Wort. Schranken, die der perfekte sozialistische Mensch unangefochten einhält, gehen für seine Figuren auf, Macken sind bei ihm zulässig, jeder ist ein Individuum, Ich in der Rede ist nicht nur erlaubt, sondern nötig, denn Wir zerfleddert die Gedanken. Das hatte mit offizieller Ideologie nicht viel zu tun, traf aber das Lebensgefühl der zweiten und dritten DDR-Generation perfekt.

In die Fundamente des sozialistischen Staates war der Wahrheitsanspruch seiner Gründungsideologie eingegossen. Weiter zu denken galt als Sakrileg. Obwohl das der einzige Weg für die nachwachsenden Generationen war, sich diesem Staat zu nähern, mit den eigenen Gedanken auch den Anspruch auf Trends und Entwicklungen anzumelden, ihn in Besitz zu nehmen, weil er mit ihnen und ihren Vorstellungen zu tun hatte. Plenzdorfs Figuren gehen diesen Weg. Der endet im Ausbruch, wo sonst. Und im Tod. Bei Edgar W., bei Paula (Die Legende von Paul und Paula), beim Jungen aus der Insel der Schwäne oder dem kleinen Hilfsschüler aus Kein runter kein fern.

Die Legende von Paul und Paula, anders als Die Leiden des jungen W. als Theaterstück konzipiert, wird 1973 schließlich ein Film: Erfolgreich, weit über die DDR-Grenzen hinaus, bis heute gespielt, beschert er Plenzdorf endgültig den Ruhm, den jeder Autor (auch) sucht. Seine Botschaft, es gibt ihn nicht, den vollkommenen Menschen, der sich in jeder Situation in der Gewalt hat, es gibt schließlich Träume, Versuchungen, Lebenssituationen, in denen der Verstand versagt, weil das Gefühl triumphiert. Das klingt so selbstverständlich, so ganz und gar nicht systemgefährdend. Warum auch sollte die Parteinahme für Außenseiter und ein nicht ganz botmäßiges Verhältnis zu einer bestimmten Figur im Gefüge der Macht und in einem Staat wie der DDR anstößig sein? Das stand schließlich alles schon bei Marx, dass man die Theorie an der Wirklichkeit überprüfen muss, Bodenhaftung braucht. Aber so ganz geheuer war der Film eben doch nicht, ein paar Szenen wurden geschnitten. Und Bodenhaftung verordnet Plenzdorf sich selbst auch. Bloß nicht "vor sich selbst berühmt" sein, "dann hast du ein Problem".

Plenzdorf ist bekannt, als die Wende kommt, er hatte seine Stücke an westlichen Bühnen präsentiert, seine Bücher fanden Eingang in die Schullektüre, für ihn galt nicht wie für Dieter Mann, der zehn Jahre vorher seinen Edgar Wibeau am Deutschen Theater gespielt hatte, die Frage "Wer ist denn das?". Gegen die hatten auch die besten Autoren, Schauspieler, Grafiker der DDR... zu kämpfen. Plenzdorf schreibt die Serie seines Freundes Jurek Becker Liebling Kreuzberg fort, entwickelt aus Manfred Krugs Buch Abgehauen (Mit ihm hatte er schon bei seinem ersten Film Mir nach, Canaillen zusammen gearbeitet) ein Filmskript, verfasst das Drehbuch zu Der Laden nach dem Roman von Erwin Strittmatter. Und überwirft sich. Seine (Ost) Sicht ist nicht mehr die der (West) Macher.

"Es hat uns nicht gegeben. Wir waren gar nicht da. Wir waren nicht am Leben. Wir lagen im Koma./ Wir hatten nichts zu fressen. Wir hatten keinen Wein. Sie können uns vergessen. Wir lebten nur zum Schein"...heißt es bitter ironisch in seinem letzten, 2004 im kleinen Rostocker Konrad Reich-Verlag erschienenen Buch Ich sehn mich so nach Unterdrückung. Ganz sicher keine nostalgische Erinnerung an die untergegangene DDR, sondern an eine kraftvolle, aufrührende, störend und verstörende Symbiose zwischen Autor und Aufrührer. Ich konnte stören, es versackte nicht im Niemandsland von Geschwätz. "Und das wars? Das wars!" sind die letzten Zeilen. Ulrich Plenzdorf, Urberliner und immer in Berlin geblieben, starb am 9. August in einer Klinik bei Berlin mit 72 Jahren.


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