Macht verleiht Flügel, vermittelt ein Gefühl, dem das einer aufkeimenden Liebe am nächsten kommt. Ausgestattet mit einiger Bedeutung strafft sich der Körper, der Atem wird frischer, der Geist neigt zu Höhenflügen, das Gesicht gewinnt Kontur. Das Ich verlässt die beengende Hülle und schlüpft in die des einzigen Wohltäters für all die anderen. »Sie wollen Türme...? Ich baue sie Ihnen.« Sagt Chefarchitekt Sundstrom in Stefan Heyms Architekten seinem Bezirkssekretär und genießt sich. Ein Hochgefühl, diese Macht, ganze Städte zu entwerfen, Adrenalin gesättigt. Verführerisch, eine Droge. Wer sie genossen hat, hält sie für lebenswichtig. Wer sie erstrebt, buhlt. Pargfrider ist so einer - Kapitalist - wie Heym sagt - historische Person und Titelfigur in Heyms im Frühjahr 1998 veröffentlichten Roman, eine scheinbar authentische historische Geschichte. Ein Tuchhändler, der sich zu Höherem berufen fühlt. Das bleibt ihm versagt, aber wenigstens die Nähe von Macht will er genießen, wenn nicht im Leben, dann im Tode. Und so baut auch er Monumente des Gedenkens - für die Repräsentanten der untergehenden österreichische K.u.K.-Monarchie. Eine tragikomische Figur, inmitten von riesigen Standbildern - gleich denen in Tiergarten oder Treptow - aber für jeweils eine Person. Und alles, um erhoben zu sein durch die Anwesenheit des Kaisers.
Menschen ändern sich nur langsam und in diesem Punkt kaum. Dort angekommen, wo die Luft nach Macht riecht, fängt fast jeder an, zu streben und zu buhlen und endlich auch zu genießen. »Macht korrumpiert, absolute Macht, korrumpiert absolut«, sagte Stefan Heym in seiner Rede am 4. Oktober 1989 auf dem Alexanderplatz. Und meinte sein Land.
In das er aus dem erzwungenen Exil gekommen war, weil er seine Ideale beherbergt glaubte. Nach dieser totalen Niederlage. Nach der großen Orientierungskrise. War nicht jedermann in Deutschland schuldig? Am Elend, am Tod, den Entwürdigungen ganzer Völker? Und für ihn ganz wichtig, dem Versuch der Ausrottung des jüdischen Volkes in Europa? Was war Leben unter diesen Vorzeichen? Überleben, zu nächst. Die meisten versuchten etwas zu finden, woran man sich klammert. Es hatte welche gegeben, die der Macht zwischen 33 und 45 widerstanden. Wer unter Lebensgefahr das Richtige tat, Heym gehörte zu ihnen, war er Garant für Zukunft? Gibt es so eine Garantie? Die Frage einer überlebenden Generation in der damals sowjetisch besetzten Zone: Wer, wenn nicht die, die sich entgegenstellten, verdiente Achtung? Wer bedroht war, würde nicht selber drohen. Die Läuterung durch gemeinsame faschistische Verfolgung von Kommunisten, Christen, Sozialdemokraten als Aufbruchsignal - konnte daran etwas falsch sein? Macht sollte fortan vor allem Verantwortung sein. Jeder radikale Umbruch gebiert die Illusion: Wir sind die Unbefleckten, wir wissen den Weg, wir haben Kraft und die Unterstützung derer, die dem Verbrechen widerstanden. 1989 war fühlbar, was 45 in den damals Jungen vorging. Deren Fall war um ein Vielfaches tiefer gewesen, ihre Illusionen über die neue Macht um ebensoviel größer. »Wir sind die junge Garde«, ein Lied, das in den Aufbruchjahren Konjunktur hatte. Und ernst gemeint war. Es pervertierte zum schlagerartigen Billigprodukt in dem Maße, in dem die Garde alterte und ihre Macht genoss. Spricht das gegen Neuansätze?
Ende der vierziger Jahren, noch im amerikanischen Exil, schreibt Stefan Heym ein Buch über den sozialistischen Versuch in der Tschechoslowakei und das Verhältnis von Freiheit und deren eventuell notwendiger Einschränkung. Augen der Vernunft kommt zum Ergebnis, es könnte Zeiten geben, in denen Schriftsteller sich zurücknehmen müssten, solange, bis ein neues System sich stabilisiert habe. Bemerkenswert für einen Mann, der in der DDR wenig von dem veröffentlichen konnte, was er schrieb. Denn wie zurückhaltend er seine Meinung auch vortrug, sie war fast immer zu kritisch für die, die sich für die einzig Legitimierten hielten, deren Macht das Jahrhundert überdauern könnte. Und doch stellten sie das Schutzbedürfnis einer verfolgten Jungfrau aus, bis ihnen Sicherheit zum obersten Prinzip wurde. Und zum Totengräber. Sie waren der eigenen Faszination erlegen, ohne sich real wahrzunehmen. »Menschen mit eingebautem doppelten Boden, mit zwei Arten von Gefühlen, zwei Arten von Werten: einer für ihre öffentlichen Bekenntnisse, einem anderen in ihrem privaten Verhalten«. Der stereotype Hinweis auf die Wissenschaftlichkeit der eigenen Weltanschauung wurde immer mehr zur Notleine, an der sie sich und schließlich den Marxismus in den Strudel rissen.
Macht überschätzt sich. In allen Systemen und Epochen - Kohl belegt es. Um so mehr, je weniger innere Strukturen sie preisgibt, je mehr sie verbirgt. Das war in einem System wie der DDR, wo es Programm wurde, leichter als in der Demokratie. Aber gefeit ist Demokratie nicht.
Der Putz ist abgefallen von dem Bau, den wir immer zu errichten gewünscht haben; und jetzt erkennen wir die Schwachstellen und die Risse, die ganzen strukturellen Mängel...« Heym schreibt diesen Satz nicht, wie viele andere, nach 1989, er denkt ihn 1963 und schreibt ihn in das 1966 fertig gestellte Manuskript der Architekten, das sein englischer Verlag damals ablehnt. Die »Charaktere seien zu sehr schwarz-weiss« gezeichnet. Heute gelesen: Sie haben mehr unterschiedliche Töne, als ihre Vorbilder im DDR-Machtapparat und - vor allem - sie tragen ihre bedrückenden Konflikte aus. Einen DDR-Verlag hat das Manuskript nie gesehen, das wäre so sinnlos gewesen wie der Versuch, auf Beton Blumen zu säen... Nach schwerer Krankheit vom Autor aus dem Englischen - nach dem Exil noch einige Jahre seine Literatursprache - übersetzt, erschien es im Spätsommer dieses Jahres - der Vollständigkeit des Werks halber, wie der Autor in der Vorbemerkung sagt.
Nur deshalb? Das Buch füllt eine Lücke. Die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus war in seinem Frühwerk vergleichsweise wenig ausgeprägt - Radek entsteht später -, der Spiegel wollte sogar wenig bekannte Dokumente gefunden haben, in denen Heym Stalin feiere. Zwar konnte von »wenig bekannt« keine Rede sein, Heym selbst hatte sie im Band Im Kopf sauber öffentlich gemacht und zusammen mit dem, was er Jahrzehnte danach von ihnen hielt, publiziert. Aber eine grundsätzliche Auseinandersetzung gab es aus früher Zeit in der Tat nicht. Die Architekten liefern sie nach. Natürlich bedient Heym sein Thema Architektur. Es geht vordergründig um den Streit zwischen Architekten unterschiedlicher Lebenserfahrung über die Gestaltung steingewordener Macht wie der Stalinallee; vor allem aber fragt er nach der Konstruktion der Fundamente des Staates DDR, nach der Vorgeschichte seiner »Genossen« Baumeister, danach, wie sie mit der ihnen zugefallenen Macht umgingen und wie sie das Wissen über den Stalinismus verarbeiteten. Entsetzt stellt er fest - und Werner Eberlein, ehemals Mitglied des Politbüros und mehrfach betroffen von stalinistischen Verbrechen, bestätigt es in einem gerade veröffentlichten Interview - dass die Sensibleren von ihnen ausschließlich verdrängten. Zwischen dem, was ihnen widerfuhr und dem, worauf sie selbst bauten, vermuteten sie nicht einmal einen Zusammenhang. Sie nahmen das Fundament der eigenen Macht einfach nicht zur Kenntnis. Die anderen aber, meist nicht Betroffene, benutzten es als Drohung, als Puffer, den sie zwischen sich und die anderen legten. War nicht die große Verfolgungswelle, die tausende ergriff, in der DDR ausgeblieben? War das nicht ihr Verdienst? Sollten die aus den Lagern »doch bleiben, wo sie waren«, sagt Sundstrom. Zu Unrecht besorgt über die eigene Zukunft, wie sich herausstellt.
Heym imponierte nach 45, dass diese Republik Schriftsteller zu Botschaftern beruft (Friedrich Wolf - nicht untangiert vom Stalinismus, hatte ihm nur dies, nichts anderes nach Amerika berichtet), er war bereit, sie mit aufzubauen und zu festigen. Und geriet gleich nach seiner Rückkehr in die erste Phase der Abgrenzung von »Westemigranten«. Er verstand unter Hilfe beim Aufbau nicht, der neuen Macht zum Munde zu reden. Gerade das Neue bedürfe der Diskussion, fand er. Und stellte Fragen. Unbequem direkt. Mit der Absicht, Probleme zu überwinden, sofort, nicht später. Die These vom nötigen historischen Abstand für literarische Verarbeitung von Zeitgeschehen hat ihn nie überzeugt. Seine Figuren akzeptieren ebenso wenig wie ihr Erfinder, dass Wahrheit in Gefangenschaft genommen und nur entlassen werden kann, wenn sie nützlich erscheint. Unsichere, ungefestigte Potentaten verfuhren so, aber konnte das für eine Gesellschaft hilfreich sein, die den ganz neuen Ansatz wollte? »Wahrheit macht frei«, setzt er dagegen und sich ins gesellschaftliche Aus. Gleichzeitig aber in eine Position, aus der die Verformungen von Macht und Machthabern überdimensioniert deutlich wurden. »Jede Generation und jede Gesellschaftform erzeugen ihre eigene Art Schurken,« weiß Sundstroms Gegenspieler Tieck.
Die Literatur des Fast-Jahrhundertzeugen Heym ist Spiegel der Jahrhundert-Konflikte. Charaktere im Faschismus, im Widerstand, in den Zwängen dieser neuen Gesellschaft DDR. Heym beschreibt nicht, sondern setzt sie erbarmungslos den Konstallationen der Zeit aus. Die Nische als Refugium für Glück und Trautheit gibt es bei ihm nicht oder sie ist nur vorübergehend.
Er will, dass Literatur weh tut. Schmerz macht wach. Kommunistischen Idealen verbunden, definiert er seine Aufgabe auch als Attacke darauf, dass die neue Macht sich selbst genügt. Das geschlossene Weltbild, das sie verbreitet, verführt, aber macht nicht produktiv. Im selbstgebauten Haus bewegte sich die Macht wie der alt gewordene Hausherr, der Veränderung als Angriff wertet. »Wahrheit« degradiert so zur Magd, nur was »der Sache« dient, so die richtige Antwort für alle Gelegenheiten, ist wahr. Ein merkwürdig unterkühlter, distanzierter Begriff für den Entwurf einer anderen Lebensform. Sprache ist verräterisch für den, der hinhört, aber mehrheitlich hörten selbst DDR-Intellektuelle nicht hin. Die Macht fand sich human, wenn sie dem Volk Aufregung ersparte, Schmerzlosigkeit verordnete, indem sie Bücher vom Druck ausschloss, das über den »17. Juni«, oder Collin, den Architekten wäre es ähnlich ergangen. Der Patient musste Ruhe halten.
»Was sagt man den von den Nazis verhafteten Genossen, wenn man«, denkt selbst Julian Goltz, die Epilogfigur in Heyms Architekten, »von den ÂHoffnungsträgern' aus der SU ebenso traktiert worden war?« Wäre die Wahrheit nicht der Todesstoß, identisch mit dem Verlust jeder Hoffnung für die in den faschistischen Lagern?
Goltz denkt seine Frage nicht zu Ende, er wird von den sowjetischen »Genossen« an die Nazis ausgeliefert und überlebt nicht. Seine Tochter hat als Bezugsperson nur noch den Mann, der Vater und Mutter im Hotel (zweifellos das Lux) denunzierte. Der lehrt sie, die Welt zu sehen. Er erfindet tausend ehrbare Gründe, warum er richtig handelte - Vertrauen in die Gerechtigkeit sowjetischer Justiz, »der Sache« dienen, es gab sie ja, die Kollaborateure der Faschisten, die eigene Angst, die Zeit und später, schon in der DDR, die Idee, die nicht gefährdet werden durfte, das Volk, dem man nicht vertraute, aber zu dienen vorgab. Hatte er sich nicht des Kindes angenommen in diesen Wahnsinnszeiten? Nicht nur aus Eigennutz, wie er sich selbst versichert, auch wenn sie inzwischen seine Ehefrau ist. Der Zerfall dieser kleinen Welt, schmerzhaft auf Raten, ist zwangsläufig. Zwanzig Jahre später wird ebenso zwangsläufig die Gesellschaft folgen. Verbrechen und Unehrlichkeit sind als Fundament untauglich.
Hätte die DDR eine Perspektive gehabt, wenn wenigstens nach der Rede Chruschtschows, die Stalins Verbrechen aufdeckte, ein »sauberer« Anfang gesucht worden wäre? Es hätte sie gegeben, die nicht Korrumpierten aus den Lagern, die dem Machtwillen der Hardliner getrotzt hatten, Janka oder Havemann, Schirdewan oder Ölßner (im Buch steht Daniel Tieck für sie) aber hatten sie eine reale Chance?
Das Fundament des Staates war gegossen, die Mauern, gebaut im Stalinismus, standen, die Sowjetunion lieferte das Gerüst. Konnte man so die Verbindung von Demokratie und Macht versuchen? Der kalte Krieg hatte aus verfestigten Strukturen längst Versteinerungen gemacht. Auch »die letzte Chance zur Rettung (des Sozialismus) 1956«, wie Gysi im Cover des Heym-Buches schreibt, sie war keine. Die Architekten hatten an der Basis gepfuscht, der Überbau war so riesig wie schließlich die Niederlage. Als Heym seine Architekten schrieb, war das noch lange nicht entschieden. Für ihn ist 1966 »Der Sozialismus... eine so logische, vernünftige Sache, dass keiner...ihn umbringen kann«. Heyms Größe: Er hat sich zu allen Zeiten dem Klischee widersetzt.
Stefan Heym: Die Architekten. Roman, Verlag C. Bertelsmann, München 2000, 382 S., 46,- DM
Stefan Heym: Pargfrider. Roman, Verlag C.Bertelsmann, München 1998, 223 S., 34,90 DM
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