Der SPD-Sozialexperte Dressler warnt seine Partei davor, in Flügelkämpfe zwischen Modernisierern und Traditionalisten zu zerfallen. Die FDP will mit neuer Strategie Wege suchen, um wahrgenommen zu werden und "profilscharf" ihren Platz in der Gesellschaft bestimmen, die Grünen streiten seit der Regierungsbeteiligung im Vierteljahresrhythmus um eine neue Strategie - die PDS fügt sich nun mit einer Programmdebatte ein. Dass es unter dem Dach von Parteien verschiedene Strömungen gibt, ist nicht PDS-spezifisch, dass man sie unter Leitlinien zusammenführt, dadurch berechenbar und die Partei so koalitionsfähig macht, ebenso wenig.
Vor knapp einem Jahr beschloss der PDS-Parteitag, diese Debatte vorzubereiten. Nun hat die Programmkommission Thesen veröffentlicht, und ein Minderheitenvotum (Michael Benjamin für die Kommunistische Plattform, Uwe Jens Heuer für das Marxistische Forum, Winfried Wolf von der Bundestagsgruppe) hat im Vorstand zum Eklat geführt. Im Programmentwurf fänden sich Positionen, "von denen bekannt ist, dass sie für viele Mitglieder nicht akzeptabel" seien, hatten die "Besserwisser" gesagt und damit selbst bei Bisky das Ende der Geduld beschworen.
Es geht bei den Differenzen um die unterschiedliche Bewertung der DDR, sie erschiene in den Thesen in Gänze furchterregend, und um die Frage, ob der Kapitalismus reformiert oder abgeschafft werden müsse. Tatsächlich geht es damit um die Frage, lässt sich die PDS ins bundesdeutsche Parteiensystem dauerhaft einpassen oder will sie sich als ewige Ostopposition etablieren? Einige der Mitglieder und Wähler würden sofort begeistert Opposition rufen, da hat die "Minderheit" Recht, die meisten aber wissen, dass selbst bei nur partieller Machtbeteiligung auf unterster Ebene die Integration in das nun einmal herrschende System unvermeidlich ist. Schon bei der Frage, ob das bisherige Programm ergänzt oder ein neues formuliert werden sollte, gingen die Meinungen auseinander. Wie geht man mit der Dominanz des Kapitals künftig um, was heißt Friedenspolitik bei der PDS, was sind sozialistische Grundwerte? Die bisherigen ad-hoc-Entscheidungen von oben haben der Partei den Vorwurf eingebracht, sie bestünde aus einer modern agierenden Spitze und einer in der SED-Tradition verhafteten Mitgliedschaft. Früher oder später erodiere ein solches Gebilde. Viele Beobachter begleiten deshalb die Debatten mit Untergangsphantasien, verwursteln die Abfallprodukte und warten auf das Chaos.
Inzwischen hat die PDS aber gelernt, mit ihren eigenen Kontroversen zu spielen und sie medienwirksam zu verkaufen. Die nur an diese Partei gerichtete Erwartung nach Homogenität orientiert sich an dem staatssozialistischen Vorbild, das - alle wissen es - in den Untergang führte. Es ist für die PDS weniger akzeptabel als für jede andere Partei. Zwar sucht sie nach einem Konsens - Handlungsfähigkeit und Berechenbarkeit sollen bis 2002 auch über die Landesebene hinaus koalitionsfähig machen -, sie will aber gleichzeitig eine für Strömungen und plurale Ansätze offene Partei sein, fähig, sich aus sich selbst heraus zu korrigieren. Demokratisch also - und das schließt offen ausgetragene Differenzen ein.
Die Befürchtung, auch diese Partei könnte in ein unverbindliches Fahrwasser geraten, ununterscheidbar von SPD und Grünen werden, die - kaum im Besitz der Macht - die eigene Basis abschüttelten, ist dennoch mehr als eine schillernde Luftblase. Dort, wo die PDS an der Macht beteiligt ist, musste sie - wie andere Parteien auch - Abstriche vom Programm hinnehmen, die Andeutung, sich einem umfassenden Sicherheitssystem unter der Führung der UNO nicht zu verweigern, hat schon im Vorfeld der Debatte zu Missverständnissen geführt. Die Formulierung, "wenn der UN-Sicherheitsrat das Kapitel 7 durch Beschluss" anwende, werde in "jedem Einzelfall geprüft, ob er akzeptiert werden" könne, wurde als Zustimmungsverpflichtung verstanden. Die Gefahr, dass mindestens einige sagen: "Die PDS ist nicht mehr meine Partei" ist wohl einkalkuliert. Am Marsch der PDS in die Institutionen ändert das solange nichts, wie sie sich als verlässlicher Anwalt einer Klientel darstellen kann, die soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ostvertretung einfordert.
Aber sie hat nicht unbegrenzt Zeit. Weder für die Debatte um den philosophischen Grund ihres gegenwärtigen Handelns, noch für die Abnabelung vom ideellen Gebäude, das sie bisher trug. Die bevorstehende Debatte ist nicht nur ein innerparteiliches Kräftemessen um eine konsistentere Programmatik, sondern vor allem eine gesellschaftliche Ortsbestimmung. Dass nun statt Lenin Hegels Satz vom Kapitalismus, der im doppelten Sinne aufgehoben werden müsse, zitiert wird, (Dietmar Bartsch), der Revolution ab- und dem Eigentum zugeschworen wird, rückt sie zumindest für dogmatische Ohren in die Nähe von Reformismus und Ketzerei.
Und dass es solche Ohren in der PDS gibt, das Verhältnis der verschiedenen Strömungen zueinander nicht geklärt, die personelle Stärke unterschiedlicher Fraktionen - käme es zu einem Gegeneinander -, schwer geschätzt werden kann, wer wollte das bezweifeln?
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