Weissdorntee mit Honig gesüßt

KOMMENTAR Der 19. Juli 2000 war der kälteste 19. Juli in Berlin seit es Usus ist, täglich die Temperaturen akribisch zu notieren. Und geblitzt wurde an diesem ...

Der 19. Juli 2000 war der kälteste 19. Juli in Berlin seit es Usus ist, täglich die Temperaturen akribisch zu notieren. Und geblitzt wurde an diesem Tag in der Schönerlinder Chaussee im Berliner Stadtbezirk Pankow, auch in Wilmersdorf in der Auguste-Viktoria-Straße und auf dem Treptower Adlergestell. Schön und gut, aber muss ich das wissen? Wetter und Verkehr, gleich - bleiben Sie dran! Erpresst der Rundfunkmoderator meine Anwesenheit. Trinken Sie dreimal täglich nach dem Essen schluckweise Weißdorntee mit Honig gesüßt, rät mir das Ratgeberblatt. Ziehen Sie sich nicht zu dick an, aber halten Sie die Füße warm, werde ich bevormundet.

Else Buschheuer vom Fernsehsender Pro 7 ist verzweifelt: »Ich muss es immer ausbaden. Jeder macht mich für den Regen verantwortlich.« Heute sinken Luftmassen aus größeren Höhen relativ schnell zum Boden ab, lese ich im Internet und überlege kurz, wie sich das auf den Stadtverkehr auswirken könnte. Es treten vermehrt Erkältungskrankheiten auf, erfahre ich beim Weitersurfen. »Wir hatten den Sommer schon viel früher erwartet.

Aber am Dienstag haben wir die Notbremse gezogen ...«, lüftet Jörg Kachelmann, Wetter-Chef von Meteofax, sein Geheimnis. Dr. Rainer Dettmann von der Freien Universität Berlin hat es schon immer gewusst: »Genau diesen kalten, nassen Juli habe ich in meinen Langzeitprognosen vorausgesehen.« Dazu habe er 2.000 Luftdruckwerte der Nordhalbkugel mit den letzten 50 Jahren verglichen, zitiert ihn ein Boulevardblatt. Aha!? »Im Gegensatz zu den Kollegen benutze ich statistische Verfahren«, erklärt der Meteorologe sein Vorgehen.

Einem sonnigen Juli müsse in den Vormonaten eine ganz bestimmte Wetterentwicklung vorausgehen, die ein stabiles Hoch über Skandinavien hervorbringe - das kam in diesem Jahr nicht zustande, weiß der Leiter des Meteorologischen Instituts der Freien Universität Berlin, Horst Malberg, die Situation zu deuten. Bleiben Sie dran, Wetter und Verkehr gleich!

Nachrichtensprecherinnen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vermelden mit routinierter Stimme erneute Schlammfluten im russischen Nordkaukasus, die Zahl der Opfer steige weiter an, Busch- und Waldbrände toben in Colorado und Indonesien, Millionen Hektar Land werde vernichtet; ein Erdbeben der Stärke 5,5 auf der Rich terskala habe zwei Inseln südlich von Tokio erschüttert, es könnte zu Erdrutschen kommen; langsam tasten sich die kühlen Wortgewaltigen zum regionalen Wetter vor, da droht ihnen die Stimme zu versagen. Ein Hauch der Entschuldigung, ein bedauerndes Lächeln, ein zwinkernder Augenaufschlag als Trost und mögliche Aussicht auf Erlösung. Aber wovon? Unser täglich Wetter gib uns heute ...Wetter und Verkehr gleich, bleiben Sie dran!

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