Die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes ruft die Anti-Hatespeech-Initiative #UnHateWomen ins Leben, im Zuge derer sexistische, gewaltverherrlichende Songphrasen von erfolgreichen Rappern vor stummen Frauengesichtern zitiert werden. Eine der Frauen verlinkt die Kampagne mit einigen zitierten Rappern auf Instagram. Darunter ist auch Rapper Fler, der sie daraufhin beleidigt und ihr droht. Danach twittert der Comedian Shahak Shapira ein Bild, auf dem erkennbar ist, wie Fler auf Instagram ein Kopfgeld auf eine Frau aussetzt: „Wer die Nutte ranbringt 2.000 €.“ Shapira berichtet, dass diese und weitere Frauen sich an ihn gewandt hätten. Die Situation eskaliert, Rap-Journalisten schalten sich ein, ein RTL-Kameramann wird auf dem Berliner Ku’damm von Fler verprügelt, weil dieser ihn mit seinem Team offenbar ungefragt filmen wollte. Obwohl Shapira den Fokus auf die geschädigten Frauen setzen wollte, wird die Anti-Sexismus-Kampagne in den Hintergrund gedrängt. Das Ganze mutiert zu Schwanzvergleich zwischen Männern.
„Privat sind die ganz anders“
Der Sexismus von Fler ist einer von vielen. Song-Sexismus, Frauenverachtung, Rape Culture, sexualisierte und häusliche Gewalt sind im Deutschrap-Kontext seit jeher strukturell existent. Mit dem sogenannten Image Rap, also der Art von Rap, bei welchem der/die Rapper*in sich eine überzogene Rap-Persönlichkeit zulegt, die nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmt, wurden Songinhalte über Drogenverherrlichung, Luxuskarren, vereinzelt auch antisemitische Verschwörungstheorien und „Nutten“, die sich im Idealfall noch als Zierde in Videoclips räkeln, auf die Spitze getrieben. Antisemitismus im Rap geriet durch die Echo-Verleihung vor zwei Jahren in den medialen Fokus, Sexismus und sexualisierte Gewalt hingegen nicht. Durch das Aufkommen von Trap, einem Subgenre von Rap, wurden die Videos und Autos dekadenter, der Frauenhass expliziter. Ausdrücke wie „Bitch“, „Schlampe“, dienen heutzutage im Rap gemäß der Einteilung von Frauen in „Heilige“ und „Huren“ im negativen Sinne der Bewertung ihrer Sexualität. Gegenübergestellt werden traditionelle bis binäre Geschlechterrollen – in Form der sexuell enthaltsamen oder entsexualisierten Frau oder „Mutter“. Bekannt ist dieser Sexismus seit Jahrzehnten. Neu ist: dass er sichtbar wird und man im Zuge des Modernwerdens von Feminismus und der #MeToo-Bewegung endlich vermehrt hinschaut und darüber redet.
Gerechtfertigt wurde Sexismus szeneintern jahrzehntelang mit dem Argument, dass er Unterhaltung oder Stilmittel sei, zur Kunstfreiheit gehöre und man die Texte nicht so ernst nehmen dürfe. „Privat“ sei der jeweilige Rapper „ganz anders“, habe eine Freundin und behandele diese anständig. Fertig erklärt. Eine ebenso beliebte Ausrede von vielen cis-männlichen Rap-Hörern: Man habe schließlich keine Frauen vergewaltigt, nur weil man solche Texte höre. Durch die Kommerzialisierung und die Popularität von Hip-Hop bei jungen Menschen gehören misogyne und homofeindliche Lyrics mittlerweile so selbstverständlich zum Rap wie das Amen in die Kirche, wie der Kitzler zur Vulva, wie die „fünfte Säule des Hip-Hop“, um die Rap-Journalistin Visa Vie zu zitieren. Da fängt das Problem an: Weil diese Texte so viel Geld bringen, wird seit Jahrzehnten geschwiegen, und zwar nicht bei Rap-Konsument*innen, sondern insbesondere bei der ebenso männlich dominierten Plattenindustrie, den Musikvertrieben, PR-Leuten und natürlich auch intern, bei Beatmachern, Produzenten, Managern und dem Rap-Kollegium. Daran sollte man anknüpfen, wenn man etwas verändern will.
Vor einiger Zeit saß ich mit zwei Rap-Produzenten zusammen. Ich fragte, was sie tun würden, wenn einer ihrer Künstler etwa seine Freundin schlägt und sie das mitbekämen. Sie würden auf keinen Fall öffentlich etwas sagen, rechtfertigten sie sich. Aber sie würden ihm privat sagen: „Ey, Bruder, das ist echt nicht cool, was du machst.“ „Und wenn er weitermacht und nicht auf dich hört?“, fragte ich weiter. „Dann würde ich nichts mehr tun. Aber vielleicht nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten.“ Das ist der Punkt: Der Druck sollte nicht nur von etablierten Rap-Kollegen kommen, die bis dato ungestört Featuresongs mit problematischen Rappern produzieren, sondern auch von der Plattenindustrie, die diese Songs finanziert. Dazu muss man sagen, dass viele Rapper mittlerweile mit eigenen Labels oder Labels von Kollegen finanziell unabhängig sind.
Zu den gängigen Rechtfertigungen von Sexismus und sexualisierter Gewalt im Deutschrap gehört die Aussage, dass beides kein ausschließliches Deutschrap-Problem sei, dass der Sexismus im Rap die Gesellschaft abbilde. Das stimmt. Reicht das als alleinige Erklärung für verbale sexistische Gewalt aus? Als ich neu anfing, als Wissenschaftlerin zu arbeiten, dachte ich, dass Menschen im Hochschulbetrieb bestimmt klüger sind, dass es durch ihre angelesene Bescheidenheit viel weniger Sexismus und Rassismus geben würde. Falsch gedacht: Heutzutage sehe ich keinen Unterschied mehr zwischen einem Rapper, der übers „Mütterficken“ und „Blowjobs“ von „Bitches“ rappt, und einem Professor, der sich mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen schmückt und diese gegebenenfalls nicht nur dominiert, sondern vielleicht sexuell belästigt. Auch diese Frauen werden zum Schweigen gebracht, müssen notfalls die Uni verlassen. Sie statt des Täters. Das Patriarchat ist überall, wir müssen genau hinschauen und es benennen, Konsequenzen müssen folgen.
Ist doch nur „Unterschicht“
Bei den Debatten darf die rassismuskritische Ebene nicht vergessen werden. Für weiße bürgerliche Schichten war Rap immer auch „Musik von Ausländern“ oder „Unterschichtenmusik“. Rap hatte nie den Stellenwert etablierter Kunst, wie Jazz- oder Rockmusik. Kriminalität und Gangster-Identitäten werden bis heute in erster Linie mit Rappern mit Migrationsbackground und/oder mit Schwarzen Rappern in Verbindung gebracht und belächelt. Sexismus und Gewalt an Frauen werden immer noch diesen Männern in die Schuhe geschoben.
Es wird so getan, als würde es Sexismus nur in diesen Milieus geben. Dass auch weiße privilegierte Rapper mit und ohne Migrationsdefizit, die ein „Everybody’s Darling“-Image pflegen, wie etwa Cro oder Yung Hurn, genauso sexistisch sein können wie Gangster-Rapper, wird oft vergessen, weil ihr Sexismus abstrakter und nicht so explizit ist. Dass Sexismus und Frauen-, Queer- und Trans-Hass race- und classübergreifend vorkommen, bestätigten jüngste Fälle medial sichtbarer sexualisierter Gewalt von Deutschrappern, die keinen Migrationshintergrund aufweisen. Dennoch haben sexistische Entgleisungen weißer Rapper immer auch Auswirkung auf Schwarze Rapper und/oder jene mit Migrationsbackground. So kämpfen intersektionell denkende Feministin*nen nicht nur gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Deutschrap, sondern auch gegen Vorurteile und rassistische Ressentiments gegen Rapper*innen of Color.
Ich wurde mit meiner Musik in einer Zeit berühmt, da ließen sich sogenannte „Porno-Rapper“ für ihre Musikvideos Sexarbeiterinnen aus osteuropäischen Ländern einfliegen und mit ihnen bei Frauen erniedrigenden Sexposen filmen. Als feministische Gegenaktion darauf und gegen den vorherrschenden Sexismus im Deutschrap schrieb ich damals Songs wie HengztArztOrgie oder Du bist krank, wo ich in sexuell expliziter Sprache einen weiblichen Gegenentwurf schaffte und damit Frauen, queere und Trans-Menschen empowerte. Angelehnt an meine US-amerikanischen Rap-Vorbilder Lil‘ Kim und Missy Elliott führte ich den Begriff „Bitch“ als positive Umdeutung, als weiblichen Ausdruck der sexuellen Selbstbestimmung in den Deutschrap ein. Ich schrieb Bücher wie Bitchsm und Yalla, Feminismus!, in denen ich Hip-Hop-Feminismus, einem Teil der Schwarzen Frauenbewegung in den USA, erkläre und beschreibe, was es heißt, zum einen als Frau den Hip-Hop-Sound zu lieben, zum anderen Sexismus- und Rassismus-Kritik daran zu üben. Das ist mein Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt im Deutschrap. Rap-Journalistinnen wie Miriam Davoudvandi, Salwa Benz, Naima Limdighri oder Helen Fares beschäftigen sich ebenso seit Jahren mit diesem Thema.
Inzwischen hat sich Fler für seine Kopfgeld-Aktion bei der Frau entschuldigt. Auch das wäre vor zehn Jahren in der Form nicht möglich gewesen. Es gibt Fortschritte bei Sexismus im Rap. Langsam, aber sicher.
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