Auf die Straße, an die Meinungsfront ...

RR Pegida beunruhigt die politische Klasse. Das könnte produktiv sein, doch Gegen-Pegida räumt ab .... Eine Glosse

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Von allen Seiten werden die Bürgerinnen und Bürger vor Interesse und Teilnahme an Pegida-Demonstrationen gewarnt. Die öffentliche Elite des Landes sieht sich mal wieder genötigt, dem Wahlvolk ins Gewissen zu reden, Belehrung zu erteilen, zu predigen, zu ermahnen und Wohlverhalten einzufordern. Es seien Rechtsextreme, Vorbestrafte, dubiose Gestalten, denen man nicht hinterher laufen dürfe, eine Schande für Deutschland, obwohl man die Menschen mit ihren Sorgen selbstverständlich ernst nehmen müsse. Politikersprech. Am Ende hat es die Pegida sogar in die notorisch dröge Neujahrsansprache der Kanzlerin gebracht, während ihr Vorgänger Schröder einmal mehr den „Aufstand der Anständigen“ bemühte, um der Größe seines Abscheus Ausdruck zu verleihen - beides eine unerhörte Aufwertung des kleinen Häufleins moralisch Versprengter von der großen Herde der Linientreuen und Tugendhaften.

Mobilisieren gegen Pegida

All die Verteufelei klingt am Ende jedoch kaum weniger nach „Populismus“ und Stimmungsmache als die Parolen der Pegida selbst. Man ist dafür oder dagegen, man ist anständig oder nicht, die Dinge sind schwarz oder weiß, es wirkt wie ein Stück Routine aus der gewohnt stromlinienförmigen Inszenierung von Politik, die der unsichtbaren Öffentlichkeit auf der anderen Seite der Fernsehschirme und Zeitungsblätter inzwischen so zuwider ist. Alle Warner, Prediger und Retter des Edelmuts sind sich auf jeden Fall einig, dass sie selber zu den Alleranständigsten gehören, denn sie sorgen ja an exponierter Stelle dafür, dass das erklärte Wohl des Landes und ihr eigenes stets identisch sind. Die Irritationen, die die Pegida auslöst, sind ein sicheres Zeichen dafür, dass die politische Klasse erbebt, leise nur, aber spürbar. Wenn Angela Merkel mit steinerner Miene öffentlich „Kälte in den Herzen“ der Pegida-Bewegten mutmaßt, dann ist nicht Geschmunzel ob der Drolligkeit dieser Formulierung aus ihrem Munde sondern höchste Beunruhigung angesagt.

Die Pegida ist also eine Gefahr, aber wofür? Für das friedliche Zusammenleben, für unser Ansehen, für den Glauben an ein tolerantes Gemeinwesen, für all die dröhnende Phraseologie, mit der wir überschüttet werden, oder für die politische Klasse selbst und den komfortablen Turmpalast, in dem sie sich eingerichtet hat? Dient die Flut der Ratschläge und Distanzierungen dazu, das Wahlvolk vor einem Irrtum zu bewahren oder fühlt sich die Machtmaschine durch Sand im Getriebe gestört?

Demo und Gegen-Demo wetteifern miteinander

Der in Verlegenheit geratenen politischen Klasse sind Bürgerinnen und Bürger zu Hilfe geeilt. Das Volk hat sich in Demos und Gegen-Demos aufgeteilt. Die Mächtigen wird es freuen, als hätte man eine Neutralisierungs-Strategie bei Politikberatern und Spindoktoren bestellt. Vor allem die Anschläge von Paris verleihen den Gegen-Demonstrationen zusätzlich eine geradezu staatstragende Note. Schon lange war es nicht mehr so nobel, gegen Rassismus, gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Ausgrenzung zu sein. Unaufhörlich wird Weihrauch für die Guten verströmt, die Produktion von Ergriffenheit ist exorbitant gestiegen. Alles labt sich an hehren Begriffen, ach du viel geliebte Freiheit, was für ein schöner Klang. Dass die wichtigste Freiheit der westlichen Kultur nicht das Meinen sondern das Kaufen ist, wird nicht gesagt, es klänge zu profan. Viel politische Symbolik wird aufgeboten, nährt Vernebelung. Als könne Migrations-, Asyl-, Flüchtlings-, Krisen-, Kriegs- und Handelspolitik plötzlich ganz einfach sein.

Demonstrationen zwischen Größe und Ziel

Als 1968 demonstriert wurde, wurden Aktive auf breiter Front als Gammler, Langhaarige, als Hippies, Asoziale und Kommunisten beschimpft. Die Empfehlung, wem es hier nicht gefalle, der solle doch in den Osten gehen, war bei den damals Anständigen besonders beliebt. Wenn das nicht reichte, wurde auch vor brutalen Hinweisen, dass solche, die dem lieben Herrgott den ganzen langen Tag die Zeit stehlen würden, doch eigentlich in ein Arbeitslager gehörten, nicht zurückgeschreckt. Man mag sich den Vergleich zwischen einer internationalen Protestbewegung vorwiegend junger Leute und der kleinen Schar urdeutscher, eher etwas verbissen daherkommender Pegida-Anhänger ideologisch verbitten, für die rein physikalische Formation einer kritischen Masse ist das Inhaltliche nicht von Belang. Das Internet mit all seinen Schwärmen und Shitstorms hat bisher nicht die expressive politische Schlagkraft und unmittelbare Vehemenz einer riesigen Zahl von Menschen in ganz irdischer Gestalt auf den realen Straßen und Plätzen des Landes erreicht. Im Übrigen hat auch 1989 letztlich die schiere Masse der Unzufriedenen das Regime zum Kollabieren gebracht und nicht die Feinsinnigkeit der Ansprache. Bei den Demos kristallisierten sich daher auch ganz unterschiedliche Botschaften heraus: Die einen schrien: wir wollen raus, die anderen: wir bleiben hier, dennoch zogen beide im gleichen Demonstrationszug mit. Was wäre gewesen, wenn sich die Gruppen getrennt und jede eine eigene Demonstration veranstaltet hätte …

Wem nützt es?

Die meisten Demonstrationen, von Arbeitskämpfen abgesehen, sind für die Mächtigen harmlos, insbesondere in Deutschland, das per Rechtslage keinen Generalstreik kennt. Allein die Vorstellung, hier könne es, womöglich an einem Werktag, die grandiose Verschwendung eines allgemeinen Protesttages geben, kann vor der Kulisse des geltenden Zeitgeistes nur Heiterkeit hervorrufen, so wie man sich in den betulichen 50er Jahren auch nicht hatte vorstellen können, dass zehn Jahre später Straßenschlachten Schock und Schreck auslösen würden. Ganz sicher können sich die Mächtigen eben niemals sein. Demonstrationen konzentrieren sich zumeist auf einen halbwegs fest umrissenen Zweck, ein Anliegen, das einen politischen Prozess in Gang setzen oder verstärken soll, und ziehen ein sozial mehr oder minder breit gestreutes Teilnehmerreservoir an. Erst wenn ab einer bestimmten Größe der Veranstaltung der Zweck hinter die schiere Masse der Anwesenden zurücktritt, dann ist es im Prinzip egal, wofür demonstriert wird, dann geht es automatisch immer um das Große und Ganze, um das Richtungsweisende, dann kann am Ende auch die Systemfrage im Raum stehen, wie im Falle der ehemaligen DDR geschehen.

Davon ist die Pegida mit ihren derzeitigen Spitzenzahlen von etwa 25.000 Demonstranten plus etwa 30.000 Gegendemonstranten natürlich weit entfernt. Die Heterogenität der Sympathisanten, die offenbar niemand so richtig verorten kann, ist ihr höchstes Alarmpotential. Es ist schwer, einzuhegen, was man nicht kennt. Insofern ist es extrem schade, dass nicht Pegida und Gegen-Pegida gemeinsam auf die Straße gehen, um die Mächtigen mal wieder das Fürchten zu lehren. Wenigstens etwas davon. Doch dank des wütenden Eifers der Gegendemonstranten ist derlei Herausforderndes nicht in Sicht. Ist schon die Pegida eher vage mit ihren Forderungen, konzentrieren sich die Gegen-Demonstranten endgültig darauf, „ein Zeichen zu setzen“.Also weitere Symbolik. Heißt praktisch, wenn die Gegen-Pegida die Pegida niedergemacht hat, ist alles wie vorher, wird es eine Art Nullsummenspiel gewesen sein, und die Regierungsmaschine kann wieder ungestört arbeiten. Die, die es doch so gut meinen, können sich zufrieden mit der „Wohlfühldemokratie“ zurücklehnen; für die anderen, für die sie sich vermeintlich ins Zeug legen, wird am Ende kaum ein politischer Mehrwert dabei herauskommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ribanna Rubens

oder Tote dürfen länger schlafen.

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