Man spricht Sächsisch

Medientagebuch Im Niemandsland der Macht: Volker Brauns Stück über "Das unbesetzte Gebiet" Schwarzenberg als Hörspiel

Das unbesetzte Gebiet gab es wirklich. In den Tagen vom 11. Mai bis zum 23. Juni 1945 wurde das Territorium des Kreises Schwarzenberg im Erzgebirge weder von Russen noch von Amerikanern besetzt. Warum, bleibt unklar, von den Uranvorkommen, die einen Streitpunkt hätten bilden können, soll man noch nichts gewusst, aber faschistische Truppen so die Chance auf Durchschlupf ermöglicht haben, um sich in amerikanische Gefangenschaft zu begeben.

Dieses Schwarzenberg interessiert alle, die beschämt sind, dass es den Deutschen nicht gelang, sich selbst zu befreien. Am 11. Mai jagten bewaffnete Arbeiter die Nazibeamten aus dem Rathaus der kleinen Stadt. In den 42 Tagen der "herrschaftslosen Zeit" übernahmen einige Kommunisten, Sozialdemokraten und befreite KZ-Häftlinge die Macht, die Polizeigewalt, die Versorgung der Bevölkerung, gaben eine Zeitung heraus, druckten Notgeld und Briefmarken. Stempel und Unterschrift holten sie sich vom Landrat, dem alten Feind, der 1923 die Schwarze Reichswehr gegen sie gerufen hatte.

Schwarzenberg gilt als Sinnbild einer Möglichkeit. Stefan Heym hat 1984 einen Roman darüber geschrieben, ein Utopia der realen DDR gegenüber gestellt; Volker Braun hat zwanzig Jahre später ein Stück daraus gemacht, das nun als Hörspiel das Historische, das Wahre, das vor der radikalen Leugnung zu Bewahrende am Stoff erkennt.

Den Mitgliedern des Aktionsausschusses vom unbesetzten Gebiet Schwarzenberg wurden in dem Hörspiel beeindruckende Stimmen gegeben. Es sprechen: Hermann Beyer, Volker Braun, Jürgen Holtz, Hilmar Thate, Götz Schulte und Dagmar Manzel. Sie treffen einen Ton sehr genau, an den ich mich noch erinnern kann. In den hellen Frühsommerwochen von 1945 hörte ich als Kind diese Worte, die in Volker Brauns Hörspiel so hilflos und hoffend zugleich klingen: "Jetz´ sinn mir dran!" Man hört dieses besondere, gebildete Dresdner Sächsisch, sehr um das Hochdeutsche bemüht, besonders wenn Gelerntes aufgesagt wird: "Nu müssen wer uns konstituieren." Dann gibt es die Räuber-und-Gendarmen-Sprache der naiven, alt gewordenen Arbeiterkinder ("Machste mit!") Und immer sind es die nachgestellten Vornamen, die das Lokale und das Historische genau treffen: Irmisch-Willy, Krause-Willy, Papst-Lene. Die Aussprache ist sächsisch gefärbt. "Sieecher" ist etwas anderes als Sieger, irschend eener etwas anderes als irgend einer.

Die Schauspieler zu den Stimmen, zuerst der gebürtige Sachse Beyer als Irmisch-Willy, kommen aus Ost-Kulturschichten oder aus sächsischem Vaterland oder aus proletarisch sächsischer Muttersprache. Sie können uns spüren lassen, wie die Traditionen der Arbeiterkämpfe seit 1920, seit Max Hölz, seit dem Mitteldeutschen Aufstand, sich in Bewusstseins- und Sprachresten aufbewahrten. Volker Braun würde sagen: in Hoffnungsresten. Von der Hoffnung hat er schön gesagt, dass sie uns betrüge, aber auch weitertrage. Den besonderen Klang, der Inhalt und Form in einem ist, sollte man für Brauns Stück genau so bewahrt wissen wie etwa den Originaltext der Bauern in Goethes Götz von Berlichingen, wo man der Tragödie ihres Denkens und Handelns gerade wegen ihrer Sprache folgen kann.

Alle Probleme einer "Herrschaft der Habenichtse ", die in der DDR später auftauchen sollten, sind im Keim schon da. Zwei Fabrikbesitzer gibt es, Kraus-Emil, der Lebensmittel gehamstert hat und damit seine Belegschaft bestechen kann. Er treibt Handel, Töpfe gegen Kartoffeln. Man einigt sich mit dem Fabrikbesitzer, Kartoffeln hat der Aktionsausschuss nötig, denn er hat "nichts außer der Verantwortung". Die Fabrik des Kraus wird zum Schrecken der Arbeiter später von den Russen demontiert. Der Fabrikant Volk-Friedrich wird enteignet und "nach Sibirien" verschleppt. "Ausgleichende Grausamkeit". Der rote Bürgermeister Irmisch erlässt einmal einen Aufruf mit der Drohung am Ende: "...wird erschossen". Aber: "Würde er das tun? Nich im Lehbm". Er will den Kindern der Erschossenen später nicht in der kleinen Stadt begegnen müssen. Es fließt kein Blut.

Lene Papst (Dagmar Manzel), die einzige Genossin im Aktionsausschuss, kommt tagelang nicht ins Bett, weil die Kinder, die Flüchtlinge, die Verwundeten versorgt werden müssen. Lene, die Unermüdliche, deren Mann im Krieg blieb, "vermisst oder gefallen, gefallen und vermisst", hockt Tag und Nacht zusammen mit dem unermüdlichen Schöffler, der aus dem Lager gekommenen ist. Die Sache mit der Liebe ist die Liebe und die Sache. Lene nimmt den Mann einer anderen Frau weg. Als drei vom Aktionsausschuss schließlich die Russen in Annaberg aufsuchen, weil sie Passierscheine für ihren Überlebenshandel brauchen und die Erlaubnis "Waffen zu tragen", da stoßen sie den "wie aus einem Unglücksschacht" heraufkommenden verzweifelten Ruf aus: "Besetzt uns!" Ein russischer Hauptmann weint vor Glück über die gelungene Selbstbefreiung: "Kak, kak, wie habt ihr das gemacht?"

Der bewaffnete Kampf gegen die Nazis, der im Stück auf einer Naturbühne im aufgelassenen Steinbruch stattfindet, stellt sich im Hörspiel durch den Hall wie schlechtes Theaterspielen dar: etwas lächerlich. Der Schuss auf der Bühne knallt so laut, dass der Hörspiel-Hörer erschrickt, als sei bei ihm zu Hause losgeballert worden. Dann lässt es der Regisseur irritierend echoen. "Sie hatten die Rollen besetzt..., jetzt konnten sie spielen, ...die Dilettanten."

Regisseur Jörg Jannings hat vieles leise sprechen lassen, begleitet von treibenden Streichern. Eine Geige wird gestimmt, ein altes Klavier, das weckt die Erinnerungen an Kinosäle, in denen die frühen Versammlungen stattfanden. Volker Braun spricht oft selber zu uns: "Aber diese Geschichte ist gelaufen und vorbei, und es bleibt, um dabei zu sein, davon zu erzählen." Der Zuhörer wird so ab und zu herausgenommen aus dem "Durchenanner" der Ereignisse, und es klärt sich der Bericht von dem Häuflein der Aufrechten, die eine leise Scham dazu brachte, am 11. Mai 1945 ein paar weggeworfene Waffen im Wald aufzulesen, hinzugehen und den Nazi-Bürgermeister und seine Bürgerwehr davon zu jagen, eigenhändig: "Hier ist Schluss, hier bestimmen wir!"

Das Hörspiel Das unbesetzte Gebiet nach dem Stück von Volker Braun und in der Regie von Jörg Jannings ist am 9. April um 20.05 Uhr im Deutschlandfunk zu hören.


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