Es existiert zwar ein nationaler Katastrophenplan, aber jeder Ort, jede Stadt benötigt entsprechend ihrer Lage ein eigenes Szenarium
Foto: Angelos Tzortzinis/AFP/Getty Images
Im Fernsehen, in den sozialen Netzwerken oder auf der Straße – die Griechen beschäftigt derzeit nichts so sehr wie die Feuersbrunst in Mati, noch ein Glied in der Kette der nationalen Wunden. 2007 wüteten eine Woche lang heftige Feuerstürme auf Euböa und dem Peloponnes: 77 Menschen starben, 270.000 Hektar Wald verbrannten, das Bild einer Mutter, die mit ihren vier Kindern in einem Auto umkam, ging um die Welt. Im November 2017 starben 24 Menschen in den Sturzfluten von Mandra, Hunderte Häuser wurden zerstört. Sieben Monate später wurde die Stadt erneut von Schlamm und Überflutungen verwüstet. Jetzt also Mati.
Es gebe Indizien für Brandstiftung, sagt der Minister für Bürgerschutz, Nikos Toskas. Dem widerspricht die Feuerw
die Feuerwehr. In Daou Pendeli, wo das Feuer ausbrach, habe ein Bewohner des Ortes Kleinholz verbrannt. Dabei sei es durch starke Winde und eine extreme Hitze zu einem Feuersturm gekommen. Geklärt und offiziell bestätigt ist nichts. Für die Regierungen in Athen sei es schon immer das Einfachste gewesen, Brandstifter und Bauspekulanten für Waldbrände verantwortlich zu machen, sagte Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Mit solchen Behauptungen versuchten die Politiker nur von Versäumnissen abzulenken.Ohnehin bleibt nahezu jeder zweite Waldbrand unaufgeklärt. Meistens handelt es sich um fahrlässige, oft jedoch um vorsätzliche Brandstiftung, vor allem auf Attika, wo Grund und Boden teuer sind und Bauspekulanten wissen, dass – trotz strenger Gesetze – auf den abgebrannten Flächen irgendwann Ferienwohnungen stehen werden. Brachen in Griechenland in den Achtzigern im Schnitt 700 Waldbrände pro Jahre aus, sind es heute mehr als dreimal so viel. In fast allen Fällen ist der Mensch, direkt oder indirekt, verantwortlich: durch die Entvölkerung ländlicher Regionen, vernachlässigte Pflege der Landschaft, Mängel bei der Wartung des Stromnetzes der halbstaatlichen Elektrizitätsgesellschaft DEI. Gerissene Stromkabel und funkensprühende Transformatoren haben manches Feuer entfacht.Illegales BauenIm August 2012 verbrannte ein Mann bei Ierapetra auf Kreta Kabel, um Kupferdraht aus der Ummantelung zu lösen. Im Nu wurde daraus ein Großbrand. Die Strafe: zwei Jahre auf Bewährung. Fünf Monate auf Bewährung erhielt ein Landwirt bei Volos, als er im Oktober 2017 nicht nur Schilf abbrannte, sondern versehentlich auch Wald und Ackerland. Glimpflich davon kamen auch die Verantwortlichen für die tödlichen Brände von 2007 auf dem Peloponnes. „Brandstiftung bleibt ein ungestraftes Verbrechen“, schrieb die Zeitung Efimerida ton Syntakton letzten August. 85 Prozent aller Fälle werden juristisch nie aufgearbeitet. In nur sechs Prozent der wenigen Fälle, die einen Richter finden, werden Täter zu Gefängnisstrafen verurteilt.Nichts, nichts, nichtsNach Mati sind die Menschen natürlich aufgebracht und fordern harte Konsequenzen. Sie sind wütend. „Die Regierung, der Ministerpräsident, alle Verantwortlichen müssen vor Gericht“, sagte ein Bewohner in Mati einem Fernsehreporter. Da hilft die Erklärung von Premier Alexis Tsipras wenig, wenn er die politische Verantwortung für die Katastrophe übernimmt, aber nicht deutlich macht, welche Schlussfolgerungen sein Kabinett daraus zieht.Tatsache ist, dass Mati, ein im Pinienwald gelegener und wild gewachsener Badeort ohne städtebauliche Raumplanung, für viele Bewohner zur tödlichen Falle wurde. Die im Schachbrettmuster angelegten Straßen sind lang, schmal und unzureichend beschildert. Es gibt wenige Querstraßen und viele Sackgassen. Die meisten Routen verlaufen senkrecht vom Zubringer in Richtung Meer und zu einer Küste, die felsig ist und abrupt ins Meer stürzt. Der Zugang dorthin ist ein Nadelöhr, begrenzt von willkürlich hochgezogenen Mauern, Zäunen und illegal erbauten Häusern, die im Laufe der Zeit legalisiert worden sind, in Mati etwa 300 an der Zahl. Es ist gängige Praxis aller Regierungen, auch der von Syriza, Gesetze zu beschließen, die illegalen Bauten das Stigma eines Rechtsbruchs nehmen.„Warum hat die Polizei den Zubringer gesperrt?“, fragt eine weinende Frau Verteidigungsminister Panos Kammenos, als der Mati besucht. Über die vierspurige Trasse, die Mati mit Athen verbindet, hätten sich die Bewohner rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Als das Feuer schließlich diese Straße und damit auch Mati erreichte, konnten die Bewohnern nur noch Richtung Meer fliehen. Chaos und Panik brachen aus. Jeder versuchte es mit seinem Auto, aber es gab kein Durchkommen mehr. „Sie haben uns wie Mäuse verbrennen lassen“, erregt sich eine Frau gegenüber dem Sender Skai. „Es gab keinen Alarm, da war nichts, nichts, nichts“, schimpft ein anderer.Es existiert zwar ein nationaler Katastrophenplan, aber jeder Ort, jede Stadt benötigt entsprechend ihrer Lage und Struktur ein eigenes Szenarium. Fehlte für Mati vor allem die Zeit, um die Bewohner zu evakuieren? Der Bürgermeister widerspricht, von Evakuierung sei nicht die Rede gewesen. Im Unterschied dazu sagt Vaios Thanasias, Vizebürgermeister der Kommune Marathonas, zu der Mati gehört: Am 23. Juli, um 16.50 Uhr, kurz nach Ausbruch des Brandes, habe er mehrmals bei der Polizei und in der Präfektur angerufen und gefragt, was zu tun sei. Er solle abwarten, man werde ihn informieren, lautete die Antwort. Zwei Stunden später stand Mati in Flammen.Placeholder link-1
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