Mit Checkpoints leben

Syrienblog Kontrollstellen sind für das syrische Regime zu einem Mittel der Unterdrückung geworden. Rima Marrouch berichtet aus Syrien

Noch vor einem Jahr gab es in Syrien keine Checkpoints. Man kannte sie im über 20 Jahre von der syrischen Armee besetzten Libanon, aber nie in Syrien selbst. Doch mittlerweile sind sie innerhalb syrischer Städte, auf Zufahrtsstraßen und auf den Autobahnen des Landes zu einer alltäglichen Realität geworden.

Gesuchte Aktivisten kommen durch die Kontrollen, indem sie den Ausweis von jemand anderem bei sich tragen.

„Die Soldaten verlangen die Papiere und gleichen sie dann mit ihrer Liste ab“, sagt Youssef, ein syrischer Journalist, der im April 2011 an einer Straßensperre in Damaskus festgehalten wurde. „Das tun sie schon dann, wenn Familienname oder Herkunftsort in irgendeiner Weise mit der Oppositionsbewegung in Verbindung gebracht werden können.“

Als Youssef aufgegriffen wurde, hatte er sein Laptop dabei und eine Festplatte mit 62 in Daraa gedrehten Kurzvideos sowie Aufnahmen von Protesten in Duma. Daraufhin wurde er über einen Monat festgehalten, verhört und geschlagen.

„Jemand, der aus Homs, Daraa, Idlib oder Hama nach Damaskus kommt, ist sofort verdächtig und wird überprüft. Jetzt habe ich immer Angst, wenn ich einen Checkpoint passieren muss“, sagt Youssef.

Aufgrund der steigenden Anzahl von Kontrollen wird es immer schwerer, sich in Syrien fortzubewegen. Allein zwischen Daraa und Damaskus gibt es über 13 Straßensperren. Yazan, ein in Homs lebender Aktivist, berichtet, dass die Stadt Dutzende von Kontrollposten zählt. Um sie zu umgehen, haben die Aktivisten alle Checkpoints auf Stadtplänen erfasst. Für die oppositionellen Kräfte ist es natürlich von Vorteil, die genauen Standorte zu kennen.

„Durch Angriffe auf Kontrollposten beschafft sich die Freie Syrische Armee Waffen und Munition”, sagt Mohammad Fizo, ein Aktivist im Süden der Türkei.

Meistens werden die Kontrollposten an Brennpunkten und in strategisch wichtigen Gebieten aufgestellt. In Syrien gibt es militärische und zivile Kontrollen.

Laut Youssef sind an den Checkpoints vier bis sechs Posten stationiert. „Zivile Kontrollen lassen sich leicht von den Checkpoints der Armee unterscheiden, denn Sicherheitskräfte tragen eine Mischung aus Zivilkleidung und Uniform.“

Immer wieder hört man von Syrern, dass die Kontrollstellen ihr Leben nicht sicherer, sondern gefährlicher machen. Um Kinan, eine Ladenbesitzerin aus einem Dorf in der Nähe von Homs, gesteht, dass sie in Angst lebt, seit am Eingang ihres Dorfes ein Checkpoint eingerichtet wurde. Denn danach kam es immer öfter zu Zusammenstößen.

„Wir schlafen nicht mehr“, sagt sie. „An Kontrollstellen gibt es oft Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und Rebellen. Unser Leben war sicherer, als der Checkpoint noch nicht hier war.“

Rima Marrouchist freie Journalistin mit einem syrischen und einem polnischen Elternteil. Aufgewachsen ist sie im Homs der 90er Jahre, als die Stadt noch ein friedlicher Ort war. Sie berichtete aus Lybien und Syrien für die LA Times und arbeitet für das Committee to Protect Journalists/Middle East and North Africa Program. Heute lebt sie in Beirut, im Libanon.


Dieser Blog-Eintragstammt aus der ReiheNotizen aus Syrien, die Teil der PlattformArabische Welt in Aufruhrvon Arte ist.



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