Niemand nimmt normalerweise Wahlversprechen ganz ernst. Aber so weit wie Guido Westerwelle hat sich schon lang niemand mehr aus dem Fenster gehängt. Die neue Regierungskoalition ist deshalb rasant in eine Glaubwürdigkeitsfalle geraten.
Schwarz-Gelb hat die Wahl gewonnen, weil die verunsicherten Mittelschichten dieser Konstellation einen Vertrauensvorschuss gegeben haben, die Krise schnell bewältigen zu können. Die große Steuersenkung als Aufschwungversprechen kam bei einer Mehrheit an, die den individuellen Geldbeutel als oberste Instanz betrachtet. Funktionieren sollte das nach dem Patentrezept des Barons Münchhausen, der sich wundersamerweise am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will. Mehr Netto vom Brutto würde den Konsum und eine weitere Unternehmenssteuersenkung die Investitionen auf Touren bringen, tönten Westerwelle, Seehofer und auch Merkel vor der Wahl. Aus den dann sprudelnden Steuereinnahmen könnte sich die Steuerreform selbst finanzieren. Doch schon die Begründung war widerspüchlich. Was man als Konzept der Krisenbewältigung ausgab, wurde im Kleingedruckten auf die Zeit „nach der Krise“ verschoben, die ganz unabhängig von der Steuerpolitik in Bälde käme.
Kein Geld zum Ausgeben
Das Gezerre um den Koalitionsvertrag zeigt, dass die Verhältnisse so nicht sind. Die Pleite- und die Arbeitslosenwelle rollen erst heran. In der Arbeitsverwaltung und beim Gesundheitsfonds werden 2010 Milliardenlöcher klaffen. Alle Vorschläge, dort den Rotstift anzusetzen, sind Makulatur. Altersteilzeit und Arbeitsmarktprogramme zu streichen, würde angesichts explodierender Ausgaben keinen Ausgleich bringen – ganz abgesehen davon, dass kosmetische Reparaturen an den Arbeitslosenzahlen auch nicht mehr möglich sind. Und die Krise ist noch lange nicht vorbei. Selbst im besten Fall wird es noch auf Jahre hinaus nur flache Wachstumsraten mit abgesenkten Einkommen und niedrigem Steueraufkommen geben. Auch eine Steuerersparnis würde weder in Investitionen noch Konsum fließen, weil weiterhin Überkapazitäten in der Industrie wie bei Dienstleistungen bestehen und die Mittelschichten angesichts unsicherer Arbeitsplätze eher zum Sparen neigen. Niedriglöhner haben sowieso kein Geld zum Ausgeben.
Es ist eine Zwickmühle. Man darf gespannt sein, wie Schwarz-Gelb da manö-vrieren wird. Eine Steuersenkung auf Pump birgt nicht nur hohe Risiken angesichts der ohnehin ausufernden öffentlichen Verschuldung – sie würde den Haushältern die letzte Seriösität kosten – die beschlossene „Schuldenbremse“ einzuhalten, würde unmöglich. Kurz- und mittelfristig droht Ländern und Gemeinden bei einer Steuersenkung das Geld für notwendige Ausgaben auszugehen – mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Konjunktur. Kein Wunder, dass auf Landesebene CDU-Chefs und selbst FDP-Minister kalte Füße bekommen, ganz zu schweigen von schwarz-gelben Bürgermeistern und Landräten.
Farbe bekennen
Es führt kein Weg daran vorbei, Farbe zu bekennen. Aussitzen und Tee trinken war gestern. Die Finanzierung einer Steuerreform aus dem Fonds der Konjunkturhoffnungen war als Versprechen gut für den Wahlkampf, aber jetzt hilft keine Stimmungsmache mehr. Einschneidende Kürzungen der Sozialausgaben hatten schon die rot-grüne und die schwarz-rote Regierung auf den Weg gebracht. Dass Schwarz-Gelb hier noch einmal die Daumenschrauben anzieht, ist zu erwarten. Dummerweise stehen im Frühjahr 2010 wichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an. Bis dahin will man den Vorwurf der „sozialen Kälte“ vermeiden. Auch ein Konflikt mit dem sozialpolitischen Flügel der CDU/CSU ist riskant. Schon sitzt der Spaltpilz in der neuen Harmonie-Koalition. Überdies würden weitere Sozialkürzungen die schwache Binnenkonjunktur ausbremsen; mit fatalen Folgen, wenn der Export nicht wie erhofft anspringt und die vermeintliche Weltlokomotive China nicht so unter Dampf steht wie erwartet.
Der finanzpolitische Spagat kann nur auf faule Tricks hinauslaufen, obwohl der Spielraum dafür immer enger wird. Wenn lediglich die schon von der großen Koalition gesenkte Unternehmenssteuer 2010 noch einmal vermindert wird, hätte der Berg eine Maus geboren. Das Versprechen einer großen Einkommenssteuerreform 2011 oder 2012 bliebe bloße Absichtserklärung. Immer wahrscheinlicher wird die „Münchhausiade“ eines Bilanzierungsmanövers, indem durch einen dritten Nachtragshaushalt die bislang größte Schuldenbombe bereits in diesem Jahr gelegt wird, um fürs Erste rein formal „finanzielle Spielräume“ im kommenden Haushaltsjahr zu gewinnen. Unterm Strich bringt das jedoch gar nichts. Deshalb wird sogar die Idee eines „Schattenhaushalts“ als letzte Rettung ins Spiel gebracht, um Schulden in eine Art Bad Bank des Staates auslagern zu können, obwohl Finanzexperten diese Option bei den Koalitionsverhandlungen als unseriös abgelehnt haben. Wenn es so kommt, schnürt Schwarz-Gelb schon vor dem Start eine Mogelpackung. Da wäre es nur gerecht, wenn Guido Westerwelle das Finanzressort übernehmen müsste. Münchhausen als Kassenwart – das wäre eine angemessene Besetzung in Zeiten des deutschen Selbstbetrugs.
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