Ein Land macht wieder Angst

Europa Es läuft zur Zeit viel schief in der EU. Die Eliten in Berlin glauben, sie hätten die Lösung. Dabei sind sie Teil des Problems – und die einzigen, die das nicht bemerken

„Auf einmal wird in Europa deutsch gesprochen“, das ist so ein Satz, der wie dahingesagt klingt, wenn er von Volker Kauder auf einem CDU-Parteitag ausgesprochen wird. Weiter entfernt aber schlägt er wie eine Splitterbombe ein: Man kann sich die stolzgeschwellte Brust förmlich vorstellen. Europa spricht deutsch. Weiß der Mann eigentlich, was solche Sätze anrichten? Wie die ankommen in London, Rom, Paris oder Athen? Hat er wenigstens eine Prise politisches Gespür, ein Gefühl dafür, wie andere solche Sätze verstehen? Oder Wolfgang Schäuble? Der Finanzminister prophezeite Anfang der Woche, die Briten könnten sich schneller vom Pfund verabschieden, als sie dächten.

Es läuft gerade verdammt viel schief in Europa, aber Deutschlands regierende Politik-Elite sieht die Sache so, dass überall alle alles falsch machen. Nur die Deutschen machen es richtig. Deutschland, so sehen sie das, ist fast der einzige, jedenfalls der gewichtigste Stabilitätsanker in Europa. Hier läuft noch alles gut, weshalb Deutschland auch die Euro-Zone retten könne. Aber wenn die Deutschen das in ihrem grenzenlosen Altruismus schon tun und natürlich in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse – dann sollen die anderen das bitteschön anerkennen. Und, bitteschön, auch laut „Dankeschön!“ sagen. So sieht man das im politischen Berlin.

Jenseits davon sieht die Sache eine Nuance anders aus. Da sieht man die Dinge zunehmend so: Es läuft etwas verdammt schief in Europa. Und Deutschland ist ein Teil des Problems.

Auch „Märkte“ lesen Zeitung

Da ist einmal die Krise der Europäischen Institutionen. Wir haben ein kompliziertes institutionelles Tohuwabohu in Europa geschaffen, mit nationalen Parlamenten, nationalen Regierungen, den Ländern, dem Europäischen Parlament, der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs. Aber gerade in den hektischen Krisentagen ist von der EU-Kommission nicht viel zu hören. Das europäische Parlament hat wenig zu reden. Und der EU-Ratspräsident, der berühmte Herman van Rompuy? Der telefoniert viel, hört man. Aber „geregelt“, wenn das in diesem Zusammenhang nicht ein zu großes Wort wäre, „geregelt“ werden die Dinge von den Regierungschefs. Und unter denen vor allem von Sarkozy und Merkel. Und unter den beiden im Grunde vorrangig von Merkel. Sie sagt, was zu tun ist, und die Armutschgerl-Premiers – wie man in Wien Chefs armer Länder nennt – müssen spuren. Das ist doch nicht das, was wir uns unter Demokratie vorgestellt haben, oder?

Aber seien wir nicht ungerecht: In Notfällen geht es eben nicht anders. Und was ist denn heutzutage kein Notfall? Seien wir froh, wenn da überhaupt jemand in der Lage ist, zu führen, „leadership“ zu zeigen, wie die Amerikaner das so schön nennen. Wäre Merkel führungsschwach, würde das auch niemandem gefallen, und jetzt ist es den Leuten umgekehrt auch nicht recht.

Aber ist das, was die deutsche Regierung gerade zeigt, wirklich „Führungsstärke“? Betrachten wir die Sache rein formal, sehen wir fürs Erste einmal von inhaltlichen Fragen ab. Dann stellt es sich doch so dar: Die Regierungschefs fahren zu irgendwelchen Nottreffen nach Brüssel, und dort diktieren Merkel und Sarkozy ihre Kompromisse. Dann fahren sie wieder heim. Dazwischen geben sie höchstens eine Pressekonferenz, bei der sie sinnlose und nichtssagende Soundbites absondern. Und die Bürger und Bürgerinnen sind verunsichert. Die der Krisenstaaten ohnehin, für die stellt sich die Zukunft als großes, schwarzes Loch dar. Aber auch die Bürger und Bürgerinnen der „starken“ Euro-Staaten, die sich die Frage stellen: Bricht jetzt alles zusammen?

Wäre Führungsstärke nicht, um die Zustimmung der Bürger zu ringen, und zwar um die Zustimmung aller in Europa? Dazu würde jedenfalls gehören, dass man sich auch Gedanken macht, wie all das an der Peripherie ankommt, dass aus Brüssel und Berlin die Hilfen, aber auch die Befehle kommen, dass man nicht mehr das Gefühl hat, Herr seines eigenen Geschicks zu sein. Das zu verstehen, dafür braucht es doch nur einen Hauch von politischem Instinkt und eine Prise Empathie. Und wenn man das versteht, sollte Frau Merkel dann nicht vielleicht einmal – nur so ein Beispiel –, nach Griechenland fahren und den Leuten zeigen: „Ja, es interessiert mich, wie es Euch geht. Ich höre Euch zu; ich erkläre Euch, wie ich die Dinge sehe, und an welchen Ausweg ich glaube, damit wir aus dem Loch herauskommen“. Das wäre doch Führungsstärke.

Aber daheim beim CDU-Parteitag den Fraktionschef sagen lassen: „Europa spricht jetzt deutsch“, das ist genau das Gegenteil davon. Und deshalb ist der Kauder-Satz auch so fatal.

Wenn wir die Dinge nun nicht mehr nur formal, gewissermaßen politisch-ästhetisch betrachten, sondern inhaltlich – dann sieht die Sache nicht viel besser aus. Das deutsche Regime in Europa steht auf folgenden Eckpfeilern: Jene Länder in schwierigen ökonomischen Situationen, mit hohen Staatsschuldenständen (wobei das schon ein fragwürdiges Kriterium ist. Spanien hat ja einen niedrigeren Schuldenstand als Deutschland), die zum Spielball der Finanzmärkte geworden sind und hohe Risikoaufschläge auf ihre Staatsanleihen bezahlen müssen, sollen sparen, sparen, sparen. Austerität allüberall.

Das, so die Hoffnung, würde „die Märkte“ beruhigen. Aber es beruhigt keineswegs. Anleger lesen nämlich auch Zeitung, und da schreien ihnen die Schlagzeilen entgegen: „Europa am Rande einer Rezession“. Das beruhigt Anleger überhaupt nicht. Sie können sich ausrechnen, was das für die Staatseinnahmen der verschuldeten Länder bedeutet, und sie zweifeln erst recht daran, dass diese ihre Schulden zurückzahlen können.

An den hohen Risikoaufschlägen, die die Rückzahlung der Schulden erst recht unmöglich machen, ist Deutschland ja nicht ganz unschuldig – und das ist noch sehr zurückhaltend formuliert. Es ist die deutsche Bundesregierung gewesen, die klargestellt hat, dass Europa keine Solidargemeinschaft ist, dass die Europäische Zentralbank nicht als „Lender of Last Resort“ angeschlagene Länder rauspauken wird – was diese Länder erst ins Visier der Finanzmärkte brachte. Und bis heute sperrt sich die Deutsche Bundesbank als gewichtigste Stimme in der Europäischen Zentralbank dagegen, jene Garantie abzugeben, die alles entspannen würde: Dass nämlich kein Eurozonen-Staat pleite gehen wird, dass die EZB im Notfall Geld druckt. Eine solche Garantie würde nicht die Schulden reduzieren, aber mit einem Schlag die Zinslast.

Die Zentralbanken der USA, Großbritanniens oder Japans geben implizit exakt diese Garantie, weshalb diese Länder, trotz erheblich höherer Staatsschulden als die meisten Eurozonen-Länder, deutlich niedrigere Zinsen zahlen müssen.

Paranoid? Ja, klar

Kurzum: Deutschland trägt eine Mitschuld an der Misere der Euro-Krisen-Länder, zeigt mit dem Finger auf sie – und profitiert noch davon. Während mittlerweile die meisten Euro-Zonen-Länder mit hohen Risikoaufschlägen leben müssen, zahlt Deutschland nur Mini-Zinsen auf den Finanzmärkten. Das heißt, dass sich die Schulden Deutschlands gewissermaßen von selbst reduzieren: Wenn man nur ein Prozent Zinsen für neue Schulden zahlen muss, tilgen sich die bei einer Inflationsrate von drei Prozent gleichsam automatisch. Da ist leicht lästern über jene Länder, die unter der Schuldenlast ächzen.

All das weiß man in Europa, und wenn die Bürger es nicht exakt wissen, so haben sie doch eine Ahnung davon, ein Gespür: dass bei der neuen deutschen Überheblichkeit mehr als eine Prise Hybris im Spiel ist.

Und da ist es nur eine Frage der Zeit, bis wieder das Bild vom „hässlichen Deutschen“ hochkommt, vom Deutschland, das Europa sagt, wo es langgeht. Vom „europäischen Deutschland“ war vor 15, 20 Jahren in Sonntagsreden zu hören – heute geht das Gespenst vom „deutschen Europa“ um. Und natürlich, da fügen sich Puzzleteile zu einem Bild, die nicht zusammengehören.

Die Herrenreiter-Mentalität der Bundesregierung, womöglich sogar mit den Bild von Nazi-Terrorzellen, die Einwanderer ermorden, was den Behörden so wenig Sorgen bereitet, dass man über zehn Jahre nicht einmal bemerkte, dass es eine Nazi-Terrorwelle gibt. Aus der Nähe betrachtet, hat das eine mit dem anderen nicht viel zu tun. Aus der Ferne fügt sich das aber zusammen. Paranoid? Ja, klar. Wer weiß, vielleicht hat das eine mit dem anderen mehr zu tun, als einem aus der Nähe scheint.

Die Botschaft, die die deutschen Eliten senden, lässt sich so zusammenfassen: Ihr müsst alle wie wir werden! In einem gewissen Sinn ist die Botschaft nicht einmal falsch: In einer Währungsunion ist zuviel Heterogenität Gift. Sie kann nur funktionieren, wenn es eine Konvergenz von Wirtschafts- und Sozialverhältnissen gibt und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Aber gerade deshalb dürfen die starken Volkswirtschaften den anderen nicht das Gefühl geben, dass sie diktieren. Das zerreißt ein Europa, das immer noch eine Union verschiedener Nationen ist, und damit auch das fragile Ensemble einzelner „Gefühlsgemeinschaften“. Gefühlsgemeinschaften sind immer auch potentielle Opfer narzistischer Kränkungen. „Führung“ kann deshalb nicht absehen vom „Führungsstil“.

Robert Misik lebt in Österreich

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