In der nicht so kleinen Sachbuchabteilung eines durchschnittlichen Hugendubel fällt auf, dass dort derzeit kein Buch über den Klimawandel auf den Auslagetischen liegt. Sogar vom großen Gore-Bilderbuch (Wir haben die Wahl) sind nur noch zwei Exemplare übrig, die, schon leicht verstaubt, in die Regale zurückwandern mussten. Fast könnte man meinen, ein Konstanzer Physikprofessor namens Gerd Ganteför habe mit seiner These Gehör gefunden, man solle mal nicht so übertreiben: Wahrscheinlich säßen wir allesamt nur „einer Angst fördernden Kampagne hysterischer Umweltaktivisten auf“. Ganteförs Buch liegt zwar auch nicht auf den Auslagetischen, aber schon der Sachverhalt, dass dort auch keines von den hysterischen Umweltaktivisten liegt, könnte der Mann als Erfolg verbuchen.
Recht bekommt er dummerweise ausgerechnet von den hysterischen Umweltaktivisten, die sich derzeit ganz mit der Rettung von Lüchow-Danneberg beschäftigen und noch nicht einmal die Frage zulassen, ob Atomenergie zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielleicht doch Vorteile gegenüber der Kohleenergie besitzt. Denn sie wissen zwar, dass die sogenannten alternativen Energien unmöglich schnell genug beides ersetzen können. Und sie haben den Klimawandel auch nicht ganz vergessen, sondern denken, wenn sie auf Reisen gehen, wenn sie einen Flug buchen, an die CO2-Bilanzen, buchen also Ablassbriefe mit. Jetzt aber gibt es endlich mal wieder schwarz-gelb, endlich kann man mal wieder einfach gegen was sein und achtziger-Jahre-Konfrontationen nachspielen – was ungefähr den Charme des Kaltenberger Ritterturniers besitzt.
Und bei all der nostalgischen Freude über den Relaunch der orangeroten Sonne ist der Rest der Erde dann doch nicht mehr gar so wichtig. Der gute Deutsche, der schwarz-gelb für etwas irgendwie Wichtiges hält, hat rechtzeitig durchgerechnet, dass sogar Gorleben immerhin noch 20 Meter über dem derzeitigen Meeresspiegel liegt, Freiburg im Breisgau sogar auf beruhigenden 278. Die Atomkraftgegner haben ungefähr so viel Skrupel wie Ganteför, wenn dieser zugibt, dass man wohl ein paar Pazifikatolle bald räumen müsse – die sind wahrscheinlich ohnehin von den US-amerikanischen Atomversuchen verstrahlt –; und die ebenfalls akut bedrohten Malediven haben ja dank ihrer Tourismuseinnahmen genug Geld, um sich alternative Ländereien in Afrika zu kaufen. Ja, Bangladesh, naja, Bangladesh, hm. (Dort liegen 10 Prozent eines extrem dicht bevölkerten Territoriums weniger als einen Meter über dem derzeitigen Meeresspiegel).
So reden Propheten
„Was gingen ihn die wüsten Kommentare an, wonach die Welt in ‚Gefahr‘ sei und die Menschheit auf eine Katastrophe zutreibe: Küstenstädte, die von den Fluten verschlungen würden, Missernten, Hunderte Millionen Flüchtlinge, die von einem Land, von einem Kontinent zum anderen zögen, getrieben von Dürre, Überschwemmungen, Hungersnot, Unwettern und endlosen Kriegen um schwindende Rohstoffe.“
Das steht in einem Buch, das dann doch im genannten Buchladen, natürlich in der Literaturabteilung, auf dem Auslagetisch liegt: Ian McEwans Roman Solar. Aber es steht dort eben nicht zustimmend, sondern nur im Modus eines strafenden Zitats: So reden Klimawandelpropheten. Noch im nächsten Satz wird hinzugefügt, es klinge nach apokalyptischen Szenarien des Alten Testaments. Diese Beobachtung macht sich auch Ganteför zu eigen, wenn er die These im Untertitel seines Buches – Der Weltuntergang findet nicht statt – damit begründet, dass schon die Ähnlichkeit von Klimaprognosen zu „alttestamentarischen Überlieferungen zu groß“ ist, als „dass man solche Prophezeihungen einfach so glauben sollte.“ Anders gesagt: Was diese alten Juden sich so ausgedacht haben, kann ja unmöglich wahr werden. Es wird tatsächlich nicht genau so wahr werden, weil sich die bevorstehenden Migrationsbewegungen und Kämpfe um Ressourcen nicht im Alten Testament finden; es wird sich länger hinziehen als dort beschrieben, und die meisten Europäer, Nordamerikaner und Japaner sowie einige Privilegierte aus anderen Kontinenten werden überleben.
Michael Beard, der Titelheld aus Solar, ebenfalls ein Physiker, folgt seiner skeptischen Überzeugung allerdings weniger ehrlich als derjenige aus Konstanz. Er investiert vielmehr in Solarenergie und adaptiert elegant die Rhetorik hysterischer Umweltaktivisten. „Der Planet ist krank“, beginnt er eine Rede, mit der er finanzkräftige Investoren davon überzeugen will, ihre Milliarden in die Entwicklung neuer Methoden zur Gewinnung von Sonnenenergie zu stecken. Geschickt ist auch sein Verfahren, prophetische Elemente einzudämmen. Auch flicht er überzeugend eine selbsterlebte Anekdote ein, der er die Moral abgewinnt, man müsse, um bestimmte Probleme zu lösen, mit sich selbst beginnen und in Situationen wie der jetzigen radikale Neuinterpretationen finden. Kurz: Ich würde meine Milliarden in Beards Projekt zur Entwicklung der künstlichen Photosynthese stecken – stünde diese Rede nicht in einem Roman.
Denn dieser tut alles, um die Glaubwürdigkeit seines Titelheldens zu unterwandern. Nicht nur erfährt man, dass Beard für diese Rede ein „unnatürlich hohes Honorar“ erhalten hat, und ständig mit einem Brechreiz kämpfen muss. Nicht nur hat er seine Argumente ebenso wie das von ihm proklamierte Verfahren von einem Postdoktoranden abgekupfert, den der Autor unter slapstick-Bedingungen umbringt. Vor allem auch wird Beards Interesse an einer Rettung des Planeten davon unterlaufen, dass er selbst mit allem anderen weit mehr beschäftigt ist, mit Mann-Frau-Geschichten wie Formen des Umgangs mit Brechreiz und Harndrang. Leider paktiert in dieser Hinsicht der Erzähler, vermutlich sogar der Romanautor, mit ihm.
Die These des Romans lautet offenbar, dass Menschen viel zu ess-, trink-, sex- und harndranggesteuert sind, als dass sie sich um die Zukunft des Planeten ernsthaft kümmern könnten. Untermauert wird dies damit, dass der Roman selbst permanent auf Leser schielt, die es auch viel interessanter finden, vom Bumsen, Fressen, Saufen, Kotzen und Pinkeln zu lesen als vom Planeten. Es soll ja schwierig sein, keine Satire zu schreiben. Aber zu diesem Thema wäre es durchaus angemessen, diese Schwierigkeit mal zu überwinden.
SolarIan McEwan Zürich 2010, 405 S., 21,90
Klima Der Weltuntergang findet nicht stattGerd Ganteför Wiley-VCH Verlag 2010, 300 S., 24,90
Robert Stockhammer ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in München
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.