„Lebe dein Leben so, dass Philipp Amthor Angst vor dir hat“, twitterte die Autorin Kathrin Weßling vor kurzem. Das war, noch bevor Amthor für einen kurzen Augenblick die Antwort der CDU auf den Youtuber Rezo sein sollte. Die Idee, den 26-jährigen Abgeordneten mit einem eigenen Video gegen Rezo zu positionieren, wurde von Generalsekretär Paul Ziemiak schnell wieder einkassiert. Doch es reichte, um im Internet hämische Reaktionen auszulösen. Viele davon bezogen sich auf Amthors Äußeres.
Ich bin schon immer mehr an den Außenseitern interessiert gewesen als an den Angepassten. Im Studium habe ich mich lieber bei den Nerds aufgehalten als bei den gutaussehenden Überfliegern. Und in Umkleidekabinen, wo man die Rangkämpfe männlicher Sportler-Rudel beobachten kann, die sich mittels dreckiger Lache, mit Dominanzgesten, dummen Witzen und einem ganzen Arsenal nonverbaler Waffen in eine Hierarchie einsortieren, da packt mich das Grauen. Lustig finde ich, dass diese sogenannte toxische Männlichkeit genauso in den Kreisen greift, die angeblich längst darüber hinweg sind.
Rituale der Demütigung
Der Begriff „toxische Männlichkeit“ stammt aus der Soziologie und wird gerne missverstanden. Er besagt weder, dass alle Männlichkeit giftig ist, noch beschreibt er ausschließlich das Verhalten von Männern. Es geht dabei um ein Ideal, das Äußerungen von Schwäche, Weichheit, mangelnder Potenz bestraft. Stählerne, kriegerische Gewinnertypen werden idealisiert und zugleich deren Gegenentwürfe bekämpft. Es reicht nicht, stark zu sein, es müssen auch die Schwachen erniedrigt werden. In Männerbünden, Sportvereinen und Armeen gibt es für diese Demütigungen etablierte Rituale. Aber es sind eben nicht nur Männer, die solche Ideale tradieren, sondern ebenso Mütter, die ihren Söhnen beibringen, nicht zu weinen; Mädchen, die schwache Mitschüler auslachen; Frauen, die von ihrem Partner erwarten, „seinen Mann zu stehen“.
Das Philipp-Amthor-Bashing ist ein überraschendes Beispiel toxischer Männlichkeit. Der Nachwuchs-Politiker vertritt konservative Ansichten, die mit meinen gar nicht auf einer Linie sind. Dass er im Interview mit dem Freitag (Ausgabe 16/2019) Rainer Wendt huldigt und für die AfD-Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel als Vizepräsidentin des Bundestags stimmte, verdient heftige Gegenrede. Amthor plädierte für die Beibehaltung des umstrittenen Paragrafen 219a. Er hat Hans-Georg Maaßen in Schutz genommen und hält beim Thema Abschiebungen „Humanität und Härte“ für „zwei Seiten einer Medaille“. Aber Amthor ist kein Populist. Denn Populismus bedeutet, demagogisch, unredlich und affektgesteuert vorzugehen. Amthor hingegen vertritt seine rechten (nicht rechtsradikalen) Thesen eloquent, rhetorisch gewandt, aber auch intellektuell aufrichtig. Er erkennt Argumente an, er bleibt höflich, er differenziert. Seine Ansichten können Linken nicht gefallen, aber seine unaufgeregte Art könnte es eigentlich. Doch gerade dass er kein fingerhakelnder Macho ist, scheint einige besonders zu triggern.
Und statt Amthor argumentativ anzugreifen, reagieren sie mit Hass. Mit Häme und toxisch männlichen Dominanzgesten. Amthor ist nämlich nicht cool. Und gerade deshalb besonders gelassen. Er ist der Typ, der sich von den zwei Meter großen Fußballern nicht beeindrucken lässt, die die Bälle über den Platz bolzen, als wären es Torpedos. Weil er gar keine Lust auf Fußball hat. Die Beispiele, die Philipp Amthor als unmännlich dastehen lassen, die stammen von Männern und von Frauen, von Feministinnen und von AfD-Anhängern (die hat Amthor nämlich ebenfalls geärgert). Es geht hier nicht darum, ein politisches Lager über einen Kamm zu scheren. Aber eine Bestandsaufnahme der Diskussionskultur zeigt, wie verhandelbar für einige die eigenen Ideale sind. Die Tatsache, dass es sich um einen politischen Gegner handelt, reicht aus, um selbst in archaische Denkmuster zurückzufallen.
Eine ganze Armee von Trollen empört sich darüber, dass der Bubi sich wie ein Rentner verhält, Ansichten wie ein Rentner hat, Musik hört wie ein Rentner. Die Vorstellung, Amthor sei auf dem Schulhof verprügelt worden, trieft aus den Kommentaren wie die Butter des geklauten Schulbrots aus dem Pergamentpapier. Auch ein Horst Seehofer oder ein Friedrich Merz ziehen regelmäßig Zorn auf sich. Aber bei Amthor ist es eine andere, empörtere Art der Wut. Denn der Zwerg will sich einfach nicht an den Platz halten, den das Rudel ihm zudenkt. Einer wie er, der über seine eigenen Füße stolpert, keinen Bartwuchs hat und noch nie Metallica gehört hat, der hat sich gefälligst zu unterwerfen. Der muss doch ängstlich sein, selbstunsicher, angreifbar.
Es ist bemerkenswert, dass an anderer Stelle der Vorwurf von „Lookism“ so schnell erhoben wird, Amthor aber aufgrund seines Aussehens nach Belieben gebasht werden darf; dass Männlichkeitsideale überall in Frage gestellt werden, nur nicht beim politischen Gegner. Da zieht auch der Verweis nicht, man messe ihn eben an seinen eigenen Maßstäben, denn Amthor steht zwar für ein erzkonservatives Weltbild, aber er versucht offenkundig nicht, sich als besonders männlich zu inszenieren. Ja, Amthor wird selbst gern mit einem sogenannten „Herrenwitz“ zitiert. Auf die Frage, ob er Zucker in seinen Kaffee haben wolle, soll er geantwortet haben: „Fürs Süße sind die Frauen zuständig.“ Ein Witz, der selbst etwas süßlich klingt. Dass Amthor seinerseits ein altmodisches Rollenbild hat, ist keine Überraschung. Dennoch verkörpert er kein aggressives Alphamännchen.
Auch als vergangene Woche bekannt wurde, dass Amthor eine rassistische Bemerkung über Muslime gemacht hatte, erregte sich das Netz. Die SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli sah sich sogar veranlasst, Amthors Aussage mit Auschwitz in Verbindung zu bringen. Man muss Amthor zugutehalten, dass er sich auch für diesen üblen Ausrutscher entschuldigt hat.
Und: Amthor ist wohl Single, das wird auch gerne aufgegriffen. Eine Twitter-Userin, die sich laut Profil als Feministin und Antifaschistin versteht, vermutet, Amthor werde nie eine Freundin kriegen. Andere drücken sich ordinärer aus. Ich möchte nicht hören, dass Frauen „mal ordentlich rangenommen“ werden müssten. Aber bitte auch nicht andersherum. Und Männer, die sich über ihren Erfolg bei Frauen definieren, dürften eigentlich ins letzte Jahrhundert gehören. Doch wenn sie auf der falschen Seite stehen, sind Singles plötzlich doch Schlappschwänze.
Er aber hat Spaß
Das mit der „Angst“ ist subtiler als die Fantasien, Amthor zu verprügeln. Aber auch hier geht es um das Männlichkeitsideal. Keiner käme auf die Idee, zu twittern: „Lebe so, dass Markus Söder Angst vor dir hat.“ Denn Söder als echter bayerischer Pfundskerl macht sich nicht dessen schuldig, wie ein Schwächling aufzutreten, der auf seinen Platz verwiesen werden muss. Söder attackiert man anders. Die Brillenschlange hingegen soll weinen.
Aber Philipp Amthor ist eben gar nicht unsicher. In seiner tollpatschigen, drolligen Art ist er völlig im Einklang mit sich, er verkörpert das, was er sein will, er hat Spaß an seiner Sache, und den strahlt er aus. Innerhalb seiner Subkultur von Junge-Union-Funktionären, Burschenschaftlern und Perlenohrringträgerinnen mag er eine normale Erscheinung sein. Aber da draußen, in einer Welt, in der nichts schlimmer ist, als „altmodisch“ zu sein, da ist er ein Außenseiter. In seiner Altersgruppe ist er ein Faktotum. Und er scheißt drauf.
„Who’s that kid in the back of the room?“, singen die Dead Kennedys in ihrem Song Insight. „Says he’s bored when we hang around. We never talk to him, he never looks quite right, he laughs at us, we just beat him up, what he sees escapes our sight.“ Die aggressive Masse vermeintlich progressiver Männer und Frauen, die Amthor vorwirft, vorgealtert zu sein, ein Bubi zu sein, wie Alfred E. Neumann auszusehen, also nicht den männlichen Idealen zu entsprechen, die sie angeblich längst überwunden haben, diese Masse ist in der Rolle der Schulklasse und nicht in der des „kid in the back of the room“.
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