Kuhhandel auf Kosten von Regimekritikern

EU-Terrorliste Manche anerkannte Asylberechtigte müssen fürchten, nun doch abgeschoben zu werden

Im Zuge des Kampfes gegen den Terrorismus soll eine von Bund und Ländern geplante Islamistendatei zu einer umfassenden Anti-Terror-Datei ausgebaut werden. Das Innenministerium schreibt dazu: "Beispiele wie die PKK oder die Volksmudschaheddin Iran zeigen, dass eine Beschränkung auf den islamistisch motivierten Terrorismus zu kurz griffe."

Der Kurde Sait C. war eben noch anerkannter politischer Flüchtling in Deutschland. Jetzt wird er als Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik eingestuft. Die Türkei hatte ein Auslieferungsersuchen gestellt und will ihn wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der PKK, vor Gericht stellen. Obwohl das Verfahren zum Widerruf seiner Asylanerkennung vor dem Bremer Verwaltungsgericht noch läuft, wurde Sait C. bereits wochenlang in Auslieferungshaft genommen, bis das Oberlandesgericht ihn - mangels Fluchtgefahr - unter strengen Auflagen wieder auf freien Fuß setzte. Ihm droht dennoch die Auslieferung an die Türkei, wo er mit politischer Verfolgung und Folter rechnen muss.

Sait C. war im Jahr 2001 als Asylberechtigter anerkannt worden, weil er als Mitglied der kurdischen PKK in der Türkei von den dortigen Sicherheitsorganen verfolgt und mit Folter und Tod bedroht worden war. Die nach dem 11.9.2001 beschlossenen "Antiterror"-Gesetze ermöglichen es nun, ihn gerade aus diesen Anerkennungsgründen als "Terroristen" und damit als Gefahr für Deutschland einzustufen und ihm die Asylberechtigung zu entziehen. Sait C. ist inzwischen längst auf Distanz zur PKK gegangen und hat sich in der Bundesrepublik an keinerlei illegalen Aktivitäten beteiligt. Das verschärfte Ausländergesetz würde damit rückwirkend angewandt, was rechtlich äußerst fragwürdig erscheint. Seine Ausweisung an einen Verfolgerstaat würde das Asylrecht ad absurdum führen.

Die Behörde, die sich offiziell "Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" nennt, betätigt sich seit letztem Jahr verstärkt als Amt für die Aberkennung von Asylberechtigungen. Sie widerruft in vielen Fällen ihre eigenen Beschlüsse, mit denen sie politische Flüchtlinge als asylberechtigt bestätigt hatte. Damit wird den Betroffenen der Asylstatus, den sie bereits vor vielen Jahren erworben hatten, wieder entzogen. Das schwächt ihren Schutz gegen Auslieferung an Verfolgerstaaten, wo sie der Gefahr von Folter und anderen unmenschlichen, grausamen und erniedrigenden Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wären.

In den Widerrufsverfahren stützen sich die Behörden jedoch nicht allein auf die Antiterror-Regelungen des Ausländerrechts, sondern auch auf die sogenannte Terrorliste der EU. Hier sind Einzelpersonen und Organisationen aufgeführt, die als terroristisch gelten - unter anderen die linksgerichtete türkische DHKP-C, die kurdische Arbeiterpartei PKK und ihre Nachfolgeorganisation sowie die iranische Volksmudschaheddin.

Ein Gefallen für das Mullah-Regime

Angegangen werden nun auch Anhänger der oppositionellen iranischen Volksmudschaheddin, die in der Vergangenheit wegen ihrer massiven Verfolgung im Iran als Asylberechtigte anerkannt worden waren. Mittlerweile sind mehr als 30 ehemals asylberechtigte Exil-Iraner in der Bundesrepublik von Ausweisung bedroht. Auch Hunderte von Neu-Anträgen auf Asyl und Einbürgerung wurden bereits abgelehnt, weil die Betroffenen aus diesem Personenkreis als "Sicherheitsrisiken" gelten, die angeblich die "innere Sicherheit" der Bundesrepublik gefährdeten. In den Begründungen, für die mitunter die Beteiligung an bestimmten Demonstrationen ausreicht, spielt die EU-"Terrorliste" eine besondere Rolle. Auf dieser Liste wird die Widerstandsorganisation der Volksmudschaheddin gegen das iranische Mullah-Regime als "terroristische Vereinigung" eingestuft.

Ausgerechnet auf Druck des iranischen Staates geschieht dies, den die UNO schon mehrfach wegen systematischer und massiver Menschenrechtsverletzungen verurteilt hat. So wird der Widerstand gegen ein staatsterroristisches Regime, das weit mehr als 100.000 Oppositionelle gefoltert und getötet hat, auch in Ländern kriminalisiert, in denen Anhänger der Volksmudschaheddin Zuflucht gefunden haben und dort legal und friedlich leben - wie immer man ansonsten zu ihren Aktivitäten stehen mag.

Hintergrund ist ein skandalöser Handel zwischen Teilen der EU und dem Iran: EU-Politiker wollen das Mullah-Regime in Teheran dazu bewegen, auf die Anreicherung waffentauglichen Urans zu verzichten. Dafür haben die EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien dem Iran Gegenleistungen offeriert: Neben dem Angebot, dem Land die Technologie zur friedlichen Nutzung von Atomenergie zur Verfügung zu stellen und das Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen EU und Iran wieder aufzunehmen, sollten darüber hinaus die ärgsten Feinde des Mullah-Regimes, die Volksmudschaheddin, auch in Zukunft im Rahmen der EU als "Terroristische Vereinigung" eingestuft bleiben. Diese Einstufung kann dazu führen, dass sich die iranischen Herrscher ermuntert fühlen, weiter Oppositionelle in ihrem Machtbereich zu verfolgen, zu foltern oder hinzurichten. Und bislang anerkannte Asylberechtigte müssen fürchten, schon wegen dieser Einstufung, ihren Asylstatus hierzu Lande zu verlieren und möglicherweise an den Iran ausgeliefert zu werden. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes führe im Iran bereits die bloße Mitgliedschaft bei den Volksmudschaheddin zu menschenrechtswidrigen Verfolgungsmaßnahmen.

Abwegiger Umgang mit dem Recht

Während einer internationalen Konferenz von Juristen und Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt, die Mitte November in Paris zur Problematik der EU-"Terrorliste" und ihren Auswirkungen stattgefunden hat, ist auch das Gutachten des renommierten Asylrechtsexperten Reinhard Marx vorgestellt worden. Er stellt fest, dass allein die Zugehörigkeit zu den Volksmudschaheddin weder die Ablehnung eines Asylbegehrens rechtfertige noch den Widerruf des Asyl- oder Flüchtlingsstatus´ oder gar eine Ausweisung. Zumindest müssten zusätzliche erschwerende Umstände hinzukommen, zum Beispiel eine schwere Straftat. Die Volksmudschaheddin könnten im übrigen nicht als Organisation eingestuft werden, die den internationalen Terrorismus unterstützt. Selbst die im Irak befindlichen Mitglieder, die ursprünglich von dort aus das iranische Regime bekämpft hatten, sind inzwischen völkerrechtlich als schutzwürdige Gruppe nach der Genfer Flüchtlingskonvention eingestuft und anerkannt worden.

Eindringlich warnten Juristen und Menschenrechtsorganisationen davor, die Volksmudschaheddin innerhalb der EU zum Spielball diplomatischer Taktik gegenüber dem Regime des Iran zu machen, das die Menschenrechte nach wie vor mit Füßen trete. Die Zusammensetzung der EU-"Terrorliste" unterliegt keiner demokratischen Kontrolle und die Folgewirkungen dieser Liste sind gravierend und könnten zu massiven Menschenrechtsverletzungen führen. Die EU-"Terror-Liste", die auf einer rein politisch-exekutiven, nicht auf einer rechtlich-legislativen Entscheidung beruhe, sollte unverzüglich revidiert werden.

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, hat auf der Pariser Konferenz die "Internationale Liga für Menschenrechte" vertreten.


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