Jährlich werden Tausende von Menschen aus Deutschland abgeschoben. Sogar in Krisen- und Folterstaaten wie nach Afghanistan, in die Türkei oder den Iran - also in Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen zum Alltag gehören. Die meisten Abschiebungen erfolgen gegen den Willen der Betroffenen, viele von ihnen wehren sich aus Verzweiflung und Angst vor Repressalien, manche werden bei der gewaltsamen Abschiebeprozedur verletzt, geraten in Lebensgefahr oder kommen gar zu Tode.
Tatorte sind bundesdeutsche Abschiebeflughäfen - unter ihnen ist der Frankfurter Rhein-Main-Flughafen mit jährlich knapp 9.000 Abschiebungen der größte. Hier wird ständig gegen die Menschenwürde von Flüchtlingen verstoßen, ohne dass die Öffentlichkeit davon
keit davon erfährt. Es gibt jedoch Gruppen, die das ändern wollen - etwa das Aktionsbündnis Rhein-Main gegen Abschiebungen, deren Aktivisten vor Ort über menschenrechtswidrige Abschiebungen aufzuklären versuchen: Sie informieren Flugpassagiere, Piloten und Crew über die Hintergründe und Gefahren, protestieren vor Ort und nehmen dafür auch Repressalien und Strafverfahren in Kauf.Durch ihre Einmischung ist es dem Aktionsbündnis schon gelungen, Abschiebungen von gefährdeten Personen zu verhindern - wie etwa im Fall von Zarah Kameli, die Ende der neunziger Jahre hierzulande Zuflucht vor dem iranischen Mullah-Regime gesucht hatte. Die Informationsarbeit über ihre akute Gefährdung hat dazu geführt, dass ein Lufthansa-Pilot seine Mitwirkung an ihrer Abschiebung verweigerte. Wäre die nicht anerkannte Asylbewerberin in ihr Heimatland ausgeflogen worden, hätte ihr im Iran Folter und Tod durch Steinigung gedroht, denn sie hatte sich von ihrem iranischen Mann getrennt und war als Muslima zum Christentum übergetreten. Erst nach dem Abbruch der Abschiebung hat Zarah K. ein Bleiberecht erhalten.Solche Fälle von Aufklärung und Zivilcourage sind Erfolge praktischer Menschenrechtsarbeit, die von Seiten des privaten Flughafenbetreibers Fraport AG jedoch mit Hausverboten und Strafanzeigen beantwortet wird. So erging es auch der Abschiebegegnerin Julia Kümmel, weil sie am Flughafen-Terminal über die Abschiebung eines Kurden informieren wollte. Sie klagte gegen das erteilte Hausverbot durch alle Instanzen; vor einer Woche hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Revisionsverfahren sein Urteil gesprochen: Der Flughafenbetreiber darf "Demonstrationen oder ähnliche Aktionen" unterbinden, "wenn diese konkret geeignet sind, eine Störung des Flughafenbetriebs herbeizuführen". Das Flughafengelände sei nicht für beliebige Zwecke geöffnet, insbesondere nicht für das Verteilen von Flugblättern und für Demonstrationen.Nicht entschieden hat der BGH jedoch die Grundsatzfrage, um die es in einem demokratischen Rechtsstaat angesichts zunehmender Privatisierungen öffentlicher Räume und Betriebe eigentlich geht: Darf auf einem Flughafen, von dem aus jedes Jahr Tausende von Menschen abgeschoben werden, über drohende Menschenrechtsverletzungen informiert werden - oder ist der Flughafenbetreiber als privater Hausherr berechtigt, den Flughafen zu seinem "Wohnzimmer" zu erklären, Information und Proteste durch Hausverbote zu unterbinden und mit Strafanzeigen zu kriminalisieren?Die Frage, ob ein privater Flughafenbetreiber an die Grundrechte gebunden ist, hat der BGH bewusst offen gelassen. Ob also der Flughafen zum grundrechtsfreien Raum deklariert werden darf, in dem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Eigentumsgarantie und dem Hausrecht weichen müssen, ist weiterhin ungeklärt. Das Gericht hat die widerstreitenden Rechtsgüter nicht differenziert gegeneinander abgewogen, sondern der ungehinderten Abwicklung des Flughafenbetriebs - und damit dem reibungslosen Lauf der Abschiebemaschinerie - den absoluten Vorrang eingeräumt. Es hat der Klägerin unterstellt, sie habe es mit ihrer Aktion primär auf eine Störung des Betriebs abgesehen, etwa den Abflug zu verzögern. Angesichts der notwendigen Aufklärung über mögliche Menschenrechtsverstöße ist diese Argumentation unausgewogen und unverständlich.Diese Entscheidung ist gerade auch deshalb so unverständlich, da sich die Fraport AG überwiegend in öffentlicher Hand befindet, auf dem "Privatgelände" des Frankfurter Flughafens sich jährlich über 50 Millionen Menschen bewegen und fast 9.000 Abschiebungen durchgeführt werden, also hoheitliche Maßnahmen, die nicht selten mit Menschenrechtsverletzungen verbunden sind. Gerade an solchen Orten müsste es doch möglich sein, letztlich flug- und sicherheitsrelevante Informationen an Crew und Flugpassagiere weiterzugeben und auch gegen einzelne Abschiebungen zu protestieren, die Menschen in die Gefahr von Misshandlung und Folter bringen. Solche hoheitlichen Prozeduren müssen dem öffentlichen Blick, der kritischen Aufklärung und dem engagierten Protest zugänglich sein und bleiben.Die Flüchtlingsorganisation ProAsyl befürchtet angesichts des BGH-Urteils, dass die Demonstrationsfreiheit zu einem Grundrecht dritter Klasse herabgestuft wird. Die Klägerin will den Fall nun vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. Denn es kann mit den Prinzipien einer rechtsstaatlichen Demokratie kaum vereinbar sein, dass öffentlicher Raum in Privatbesitz umdefiniert wird, wo dann elementare Grundrechte eingeschränkt, ja regelrecht suspendiert werden können. Mit diesem brisanten und hochaktuellen Grundproblem hat sich der BGH nicht ansatzweise auseinandergesetzt.Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, ist Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte", für die er das Verfahren vor dem BGH in Karlsruhe beobachtet hat. Internet: www.ilmr.de und www.rolf-goessner.de