Am vorletzten Montag ist Boris Beckers Autobiographie erschienen, und es ist nicht nur sein gutes Recht, sondern ihm auch ein Leichtes, dafür die Werbetrommel zu rühren: Ein Besuch bei Gottschalk, ein Vorabdruck in der Bild-Zeitung, Interviews mit Bunte und Gala, Gast und Kandidat bei der ZDF-Sendung Unsere Besten - von solchen Auftritten eines Prominenten profitieren beide Seiten gleichermaßen.
Das galt zumindest bis vor einer Woche, als sich - der Samstag war bereits angebrochen - Johannes B. Kerner von den Zuschauern seiner Talkshow wie gewohnt damit verabschiedete, die Gäste der nächsten Sendung anzukündigen. Diese Sendung, auch wenn sie unverändert bleibt, wird jedoch weiterhin kaum mehr dieselbe sein, und ob Becker sich und seinem Buch mit dem Auftritt bei seinem Duzfreund einen Dienst erwiesen hat, ist mehr als fraglich.
Boris Becker ist eine Ausnahmeerscheinung, neben dem andere moderne "Helden" nicht nur des Sports verblassen. Kein anderer Deutscher der jüngeren Geschichte hat es zu vergleichbarer Popularität gebracht. Der Preis dafür ist hoch. Seit den Tagen, da er als zärtlich "Bobbele" gerufenes Kind in die Welt hinauszog, sieht sich Becker von Journalisten und Paparazzi verfolgt, die über den Tennisspieler "Fakten" zusammentragen, die der oft selbst nicht kennt. Dass der heute 36-Jährige das Bild, das von ihm in der Öffentlichkeit kursiert, mit einer als "intim" angekündigten Autobiographie korrigieren will, ist verständlich, dass er das nötig zu haben glaubt, tragisch.
Eine Struktur kann man der Johannes B. Kerner-Show nicht absprechen: An vier Abenden pro Woche, im ZDF Live-Atmosphäre simulierend, empfängt der Moderator nacheinander vier Gäste, mit denen er sich ein Viertelstündchen unterhält, ehe sie den Sessel vor seinem Schreibtisch räumen und den nächsten zur Sprechstunde vorlassen. Einen zumindest rudimentären journalistischen Anspruch erhebt die Sendung, indem Gäste aus dem richtigen wie aus dem "falschen" Leben und möglichst nach Aktualitätskriterien eingeladen werden - etwa weil sie ein Buch veröffentlicht haben.
"Die Leere nach der Karriere" - falls Kerners Woche mit Boris ein strukturierendes Motto hatte, dann dieses. Diese Leere zu füllen, scheint dem Wimbledon- und Davis-Cup-Sieger auch lange nach dem Karriereende nicht gelungen zu sein. Dem sportlichen Höhenflug folgten private und geschäftliche Niederlagen, die zu akzeptieren dem ebenso erfolgsverwöhnten wie zum Erfolg verdammten Becker offenbar ebenso schwer fällt wie zu seinen aktiven Zeiten.
Zumindest lassen Worte und Habitus, mit denen er nun vier mal eine Stunde mit Kerner und weiteren Gästen bestritt, keinen anderen Schluss zu. Ob Freunde, Kollegen, Mutter, Schwester oder Freundin im Studio saßen oder per Satellit zugeschaltet waren - Huldigungen nahm "Boris Becker", wie er sich oft selbst nannte, ebenso reglos entgegen, wie er über heikle Punkte seiner Biographie mit einer schwer erträglichen Mischung aus Larmoyanz und Blasiertheit sprach. Sein Problem, denkt man, und dass er im Überfluss vorhandenes Sympathiekapital verspielt, um mit seinem Buch Geld zu verdienen - geschenkt. Anlass es zu kaufen, besteht nach diesem Auftritt weniger als zuvor, und an seiner Legende kann ohnehin niemand kratzen. Nicht einmal Boris Becker selbst.
Weniger mild fällt das Urteil über seinen "Gastgeber" aus, der - im Glauben, seinem Gast einen Gefallen zu tun - alle Regeln seiner Sendung - mit ihnen die seines Berufes - missachtete. "Boris Becker ist das Thema dieser Woche", begründete Kerner die Sitzordnung, die Becker durchgehend den Platz vor dem Schreibtisch des Moderators zuwies. Fragen, die diese Berufsbezeichnung legitimierten, hatte Kerner jedoch nicht. Dafür war er mit dem Gast, den er unablässig duzte, wie mit dessen Buch, das in unschöner Regelmäßigkeit eingeblendet wurde, viel zu vertraut.
Dass es nicht um Boris Becker, sondern um den ging, als den er sich in seinem Buch präsentiert, belegt die Unverfrorenheit, mit der dessen "intime" Details abgehakt wurden, vor allem jene, mit denen der Sportler den "Privatmann" ins rechte Licht stellen will. Gab Becker etwa mit unbeholfenen Worten seiner Exfrau die Alleinschuld an der Scheidung, verschaffte Kerner ihm durch einen als Frage nur getarnten Einwurf Gelegenheit, den Vorwurf zu präzisieren, indem er ihn wiederholte.
Eine journalistische Bankrotterklärung war das Gespräch mit Beckers Freundin, die aus New York zugeschaltet war. Nachdem Kerner, feixend und ohne den Blick von Boris zu lassen, minutenlang vergeblich versucht hatte, die Tänzerin auf schlüpfriges Terrain zu locken, verlegte er sich darauf, sie zum Anhängsel eines "Weltstars" zu degradieren, das die Hochzeit förmlich herbeisehnen müsse - um der sichtlich konsternierten jungen Frau zum Abschied den Wunsch über den Atlantik zu schicken, ihre Beziehung zu Boris möge vor der Öffentlichkeit geschützt bleiben.
Die Grenze zum Zynismus war endgültig überschritten, als am dritten Abend Mutter und Schwester Becker "zu Gast" waren - und doch nur als Staffage dienten, indem sie ins Publikum verbannt wurden. Dass Boris sich gegen solch öffentlichen Missbrauch der eigenen Familie nicht verwahrt hat, ist nachvollziehbar: Aus der Distanz ließen sich deren in entwaffnender Ehrlichkeit und Naivität geäußerten Wünsche und Ängste leichter ignorieren - die vor allem Wünsche und Ängste eines Milieus und einer Denkart sind, in die auch der Sohn verfangen ist.
Dass jedoch ein professioneller "Moderator" seinen Gast nicht nur nicht daran hindert, sondern ihn tatkräftig darin unterstützt, sich öffentlich zu desavouieren, ist ein Armutszeugnis, das ihn disqualifiziert - mit ihm seine Sendung. Ob sich nach diesem Tiefpunkt öffentlich-rechtlichen Fernsehens weiterhin vier mal pro Woche vier Freiwillige finden, die sich dieser Gefahr aussetzen, bleibt abzuwarten. "Die Leere nach der Karriere" - mehr noch als Boris Becker sollte sich Johannes B. Kerner Gedanken machen, wie er das Loch füllt, das sich demnächst vor ihm auftun könnte.
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