Danach gefragt, wie er der Nachwelt in Erinnerung bleiben wolle, hat der Dramatiker Arthur Miller einmal geantwortet: "Ich hoffe, als Dramatiker." Nicht überliefert ist der Grund für die Skepsis, die Miller an etwas zweifeln ließ, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Doch ist nicht schwer zu erraten, warum einer der bedeutendsten Bühnenautoren des 20. Jahrhunderts seinen "letzten Willen" als vage Hoffnung formulierte: Ins kollektive Gedächtnis der Weltöffentlichkeit hat ihn eine Episode aus seinem Privatleben gebracht. Und dass Miller darum wusste, zeugt von jenem Realismus, von dem auch sein dramatisches Werk geprägt ist.
Arthur Miller wurde 89 Jahre alt, und wie die Zahl belegt, gehörte er einer Generation an, deren Leben weitgehend mit einem Jahrhundert und dessen Verwerfungen identisch ist. Geboren am 17. Oktober 1915 im damals noch vornehmen New Yorker Stadtteil Harlem, liegen seine Wurzeln in Europa. Und obwohl das zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf fast alle weißen US-Amerikaner zutrifft, ist der Verweis auf Millers Herkunft mehr als eine Plattitüde: Mehr als den geografischen beschreibt er einen geistigen und kulturellen Hintergrund, der mit den Menschen, die ihm entstammten, systematisch ausgelöscht wurde.
In seiner 800-seitigen Autobiographie Timebends von 1987, die in deutscher Übersetzung unter dem Titel Zeitkurven erschien, erinnert sich Miller daran, wie er beim Spiel mit dem Soldatenhelm seines Onkels "stolz darauf war, ein Deutscher zu sein". Was dem Erwachsenen nachträglich einen Schrecken einjagt, galt als Kind nicht dem Relikt aus dem Ersten Weltkrieg, sondern der Sprache seines Trägers, aus der er das kulturelle Erbe eines Volkes heraushörte, das bis 1914 zumindest in dem Ruf gestanden hatte, das zivilisierteste Europas zu sein. Mit diesem Erbe im Gepäck waren seine jüdisch-polnischen Vorfahren von Krakau über Wien in die USA ausgewandert, um dort ein europäisch geprägtes großbürgerliches Leben zu führen, als das in der "Alten Welt" schon längst nicht mehr möglich war.
In der "Neuen Welt" kam diese Tradition zwanzig Jahre später und aus gänzlich anderen Gründen zum Erliegen. Arthur Millers Vater Isidor Mahler hatte es als Kleiderfabrikant zu einigem Wohlstand gebracht, der durch die Große Depression zu Beginn der 30er Jahre vollständig vernichtet wurde. Miller, mit Kindermädchen und Dienstboten aufgewachsen, musste sich, um sein Studium zu finanzieren, unversehens als Lastwagenfahrer und Fabrikarbeiter verdingen. Aus dieser "Amerikanisierung" des Europäers - das Wissen um bürgerliche Werte und Tugenden, gepaart mit dem Erleben wirtschaftlicher Not - lässt sich wohl am ehesten die Moralität eines Werkes erklären, die mit Moralismus zu verwechseln es zu verkennen hieße.
Mit dem Schreiben begann Miller schon als Student, und bereits sein erstes Stück No Villain, in nur sechs Tagen verfasst, brachte ihm einen Preis in Form eines Stipendiums ein. Weitere Dramen, Hörspiele und journalistische Arbeiten folgten, bis ihm 1947 mit Alle meine Söhne der Durchbruch gelang. Heute mag es befremdlich klingen, dass die Schilderung sozialer Konflikte und existenzieller Krisen am Broadway reüssieren konnte. Und doch wurde dort 1949 Millers berühmtestes Stück uraufgeführt, das ihm unter anderem den Pulitzer-Preis eintrug. Der Tod eines Handlungsreisenden beschreibt an der Hauptfigur Willy Loman das Los eines Durchschnitts-Amerikaners, der mit 63 Jahren zum alten Eisen erklärt wird. Von Schulden, Hoffnungslosigkeit und Minderwertigkeitsgefühlen geplagt, begeht Loman Selbstmord - um mit der fälligen Lebensversicherung wenigstens seine Familie versorgt zu wissen.
Während die Verdichtung einer Biographie auf einen einzigen Tag durchaus in der Tradition Ibsens steht, unterscheidet sich das Stück von dessen psychologischem Realismus darin, dass es einer anderen Wahrheit verpflichtet ist: Nicht die Schuldhaftigkeit der Figuren, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse bedingen die Tragik des modernen Individuums, die nicht zuletzt im Verlust seiner Würde gründet.
Als Variation dieses Themas lässt sich auch das Stück Hexenjagd von 1953 lesen, das an einem historischen verbrieften Fall aus dem 17. Jahrhundert den Blutzoll schildert, den Gesinnungsschnüffelei und Massenhysterie in einer amerikanischen Kleinstadt fordern. Darin Parallelen zur McCarthy-Ära der 50er Jahre auszumachen liegt nicht nur deshalb nahe, weil sich auch Miller vor dem "Ausschuss für unamerikanische Umtriebe" verantworten musste.
Solch durchschlagende dramatische Erfolge, die sich bis heute in den Spielplänen namhafter Bühnen und - wie die Verfilmung von Der Tod eines Handlungsreisenden durch Volker Schlöndorff und mit Dustin Hoffman von 1984 - in dem Kanon des Kinos finden, blieben Arthur Miller in späteren Jahren versagt. Für ähnlich großes Aufsehen sorgte allenfalls noch sein Stück Nach dem Sündenfall von 1964 - was jedoch vor allem dem Umstand zu verdanken war, dass viele darin die Schilderung jener privaten Episode erkennen wollten, die Miller ins kollektive Gedächtnis der Weltöffentlichkeit gebracht hat: Von 1956 bis 1961 war er in zweiter Ehe mit Norma Jean Baker verheiratet, bekannt, berühmt und zum Mythos geworden als Marilyn Monroe, für die er das Drehbuch zu Misfits - Nicht gesellschaftsfähig schrieb. Das Theaterstück jedoch, so wollten die Auguren wissen, war der Versuch, die eigene Schuld an ihrem Tod 1962 zu bilanzieren - und sich zugleich von ihr freizusprechen, um eine dritte Ehe schließen zu können.
Fest steht, dass Arthur Miller nach der Ehe mit Marilyn Monroe und vor ihrem Tod ein drittes Mal geheiratet hat, und zwar die aus Österreich stammende Fotografin Inge Morath. Mit ihr hat er über vierzig Jahre lang die Welt bereist, um sich zwischendurch immer wieder auf seinen Landsitz in Connecticut zurückzuziehen. Dort ist der seit längerem an Krebs erkrankte Dramatiker Arthur Miller, einer der bedeutendsten Bühnenautoren des 20. Jahrhunderts, am 10. Februar an Herzversagen gestorben.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.