Eisbär Unterm Wellblech

Sportplatz Kolumne

Ende August begingen 3.000 Gäste im "Wellblechpalast" zu Berlin-Hohenschönhausen ein 50-jähriges Jubiläum. Dass der Jubilar nach anderer Zählweise erst zwölf Jahre alt ist, tat der Stimmung keinen Abbruch.

"Eisbären" nennt sich ein Berliner Eishockeyclub, der seit 1992 der höchsten deutschen Spielklasse angehört und zuletzt Vizemeister wurde. Nur Vizemeister, muss es heißen, denn gegen die Frankfurt Lions galten die Eisbären als Favorit. Wie sich Ansprüche doch ändern, denn selbst ein zweiter Platz schien noch 1991 utopisch, als der EHC Dynamo aus der 1. Liga abstieg, in die er ein Jahr zuvor aufgenommen worden war. Dafür hatte er sich aus dem Stammverein SC Dynamo gelöst, der vor 50 Jahren aus dem SVDVP, kurz VOPO Berlin hervorging.

Selbst sportlichen Laien verraten die Namen, dass die Wurzeln des Jubilars in der DDR liegen. In deren frühen Jahren wurde auch der Sport neu organisiert, und traditionsreiche Vereine hießen plötzlich Vorwärts, Empor oder eben Dynamo. Grund für die flächendeckende Namensgleichheit war ein Fördersystem, das dem westlichen Ohr nur aufgrund der Wortwahl fremd klingt. Was drüben landauf, landab Industriekombinate übernahmen, leisteten hüben Firmen wie Bayer nicht nur in Leverkusen. Und können viele Amateure bis heute ihrem Sport nur deshalb professionell nachgehen, weil sie der Bundeswehr dienen, boten ihnen früher staatliche "Organe" wie Armee und Polizei diese Möglichkeit.

Mit den Systemen scheiden sich jedoch auch die Geister an den Vereinen namens Dynamo, weil zu deren "Mäzenen" neben dem Ministerium des Inneren auch das für Staatssicherheit zählte. Nur die Stasi, muss es heißen, wenn von Eishockey die Rede ist, dem 1970 wie vielen anderen Sportarten das Aus drohte: Zu wenig prestigeträchtig urteilte die Staatsführung und strich ihnen die Förderung. Dass zwei Teams überlebten, war dem Eishockey-Fan Erich Mielke zu verdanken. 20 Jahre lang ermittelten die Dynamos aus Berlin und Weißwasser den Meister unter sich, bis sie, noch vor der staatlichen Einheit, 1990 in die Bundesliga übernommen wurden.

Dort mitzuhalten war nicht nur in sportlicher Hinsicht schwer: Als "Stasischweine" wurden die Neulinge begrüßt, die den Absteiger prompt unter sich ermittelten. Die Weißwasseraner, die das Dynamo schon abgelegt hatten, schickten die Berliner in die Zweitklassigkeit. Als die ein Jahr später als Eisbären wieder aufstiegen, hatten die Oberlausitzer den umgekehrten Weg angetreten. Heute dümpeln sie am Ende der 2. Liga, während sich die Berliner in der DEL etablieren konnten.

Dass der Haussegen im Wellblechpalast trotzdem lange schief hing, erklärt sich aus einem Umstand, der nicht nur im Sport gang und gäbe war. Den Absturz verhindert hatten Geschäftsleute aus dem Westen, die neben Geld auch Bedingungen mitbrachten, unter denen sie es anzulegen bereit waren. Dazu gehörte, mit dem Namen Dynamo jeden Anklang an die Vergangenheit zu tilgen. Die Rechnung hatten sie jedoch ohne die Zuschauer gemacht, die zu DDR-Zeiten wenige hundert, in der Bundesliga aber nach Tausenden zählten. Und auch wenn viele ihn zum ersten Mal in den Mund nahmen, hielt sich der Dynamo-Schlachtruf so hartnäckig wie die Vereinsfarbe Weinrot.

Sponsoren ließen sich davon wider Erwarten nicht abschrecken, so dass der Verein in neue, zumeist ausländische Spieler investieren konnte: Seit dem "Bosman-Urteil" von 1996 gilt auch für den Sport EU-weit freie Wahl des Arbeitsplatzes, die später auf alle Nationen erweitert wurde. Der Dynamo-Schlachtruf erreicht seither vor allem Spieler, die um dessen Herkunft ebenso wenig wissen wie jene Rufer, die aus dem Westteil der Stadt kommen oder schlicht zu jung sind.

Der Absatz von Fanartikeln leidet darunter ebenso wenig wie unter dem Verkauf der Eisbären an die Anschutz-Gruppe. Neben viel Geld brachte der Investor aus den USA auch Bedingungen mit, unter denen er es anzulegen bereit war. Dazu gehörte, den radikalen Schnitt der westdeutschen Vorgänger rückgängig zu machen. Fortan waren Anklänge an die Vergangenheit nicht nur geduldet, sondern erwünscht: Um den Ehrgeiz der Eisbären anzustacheln, wurden in der Kabine Fotos des 15-maligen DDR-Meisters SC Dynamo aufgehängt.

Am Wochenende beginnt die neue Saison mit einem Heimspiel gegen die Löwen aus Frankfurt, gegen die in der letzten die Meisterschaft verspielt wurde. In diesem Jahr soll der Titel endlich her. Ob der erste oder der 16. hängt von der Zählweise ab.

Mehr Wellblechpalastgeschichte(n) heißt der zweite Band einer Vereins-Chronik, der in diesen Tagen im Berliner IP-Verlag erscheint.


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