Man sieht sich - oder nicht

Signale des Normalen Das Theatertreffen hat die Ankündigung seines eigenen Todes längst überlebt

»Jubiläum Jubiläum«, kündigen die Berliner Festspiele einen Doppelgeburtstag an: Vom 2.-18. Mai findet das Berliner Theatertreffen zum 40. Mal statt, und vierzig Jahre liegt die Eröffnung des Gebäudes zurück, das ihm als Austragungsort dient. »In diesen 40 Jahren wurde aus der Freien Volksbühne Berlin das Haus der Berliner Festspiele, aus einer bescheidenen Theaterschau ein alljährliches Treffen der ›Theater-Oscars‹.«

Wenn die neue Leiterin Iris Laufenberg auf der Pressekonferenz davon spricht, das Theatertreffen sei »im Kern unverändert« geblieben, ist das gleichwohl kein Widerspruch. Dieser »Kern« ist in Punkt 1 der Verfahrensordnung festgeschrieben. Dort heißt es seit 1964, dass »sieben anerkannte Kritiker zehn Inszenierungen nominieren, die ihnen während der Spielzeit in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz besonders bemerkenswert erschienen«. An diesem Verfahren hat sich in der Tat nichts geändert.

Und doch ist mit der identischen Formulierung im Jahr 2003 zwangsläufig etwas radikal anderes gemeint als 1964. Schließlich haben weder die »Bundesrepublik« noch der Veranstaltungsort »Berlin« die Zeit überdauert, zumindest nicht in der Form, dass, wer von hier nach dort will, »am Flugplatz zum Auslandsschalter, Pass oder Personalausweis vorzeigen oder mit dem Zug zwei Grenzkontrollen durchlaufen« müsste. Diese Klage ist der Festschrift zum 25. Jubiläum im Jahre 1988 entnommen. Inmitten der damaligen Feierstimmung will sie daran erinnern, dass das Theatertreffen - das Gründungsdatum legt es nahe - »weniger ein kulturelles, sondern ein entschieden politisches Unternehmen« ist, das in Zeiten der betonierten Teilung dokumentieren sollte, dass »West-Deutschland und West-Berlin zusammengehören«. Die Beschreibung der »düsteren Voraussetzungen« mündet schließlich in eine Warnung, die eher eine Hoffnung ist: »Man denke sich all die Signale, Chiffren des Unnormalen weg - und auch das Theatertreffen verschwindet.«

Im vierzehnten Jahr nach Anbruch der Normalität sieht das Theatertreffen jedoch nicht dem prophezeiten Verschwinden, sondern anscheinend einer goldenen Zukunft entgegen. Zumindest ist das Jubiläumsplakat in dieser Farbe gestaltet. Das »Augenzwinkern«, von dem der Leiter der Festspiele Joachim Satorius spricht, scheint angebracht, denn auch der zweite Jubilar hat die Geschichte nicht unbeschadet überstanden. Mehr als das Gebäude bezeichnet der Name »Freie Volksbühne« nämlich das Theater, das dort »teilungsbedingt« untergekommen war. Die neue Bezeichnung des Hauses vermag nur notdürftig zu kaschieren, dass die ehemaligen Nutzer dem Sparzwang des wiedervereinigten Berlin zum Opfer fielen.

Immerhin steht nach Jahren des Improvisierens so wieder ein zentraler Veranstaltungsort zur Verfügung, der den Namen »Theatertreffen« rechtfertigt - selbst wenn auch das nicht ohne Einschränkungen gilt. Denn dass sich die beteiligten Theater treffen, »ist praktisch und aus finanziellen Gründen nicht möglich, weil das Theatertreffen die Ensembles nicht drei Wochen lang einladen kann und die natürlich zu Hause spielen müssen.« Auch diese Klage stammt von 1988, doch letztlich ist sie so alt wie die Veranstaltung selbst.

Dass sie dennoch vor nunmehr 39 Jahren von »Wettbewerb« in »Treffen« umbenannt wurde, findet seine Erklärung ebenfalls in Punkt 1 der Verfahrensordnung, in dem als ihr »Zweck« benannt wird, dass sie »die ausgewählten Inszenierungen in zeitlichem Zusammenhang zeigen und damit einen Mittelpunkt des Vergleichs, der Diskussion, des Meinungsaustausches und der Orientierung vor internationaler Öffentlichkeit bilden« soll. Aus diesem Anspruch erklärt sich auch das umfangreiche Rahmenprogramm, das die öffentliche Begegnung des Theaters mit seinem Publikum selbst dann befördern soll, wenn das traditionelle Spiegelzelt nicht mehr zur Verfügung steht.

Zu dieser Tradition gehört auch, dass das Theatertreffen stets eine Art »Börse« war, die mancher Karriere einen kräftigen Schub verliehen hat. Seine Erklärung findet das darin, dass sich Kritiker, Intendanten und Politiker einen konzentrierten Überblick über die künstlerische Arbeit in der »Provinz« verschaffen konnten.

Diese Funktion scheint sich mit dem »gewendeten« Theatertreffen ins Gegenteil verkehrt zu haben. Das legt zumindest die Formulierung des Jurymitglieds Gerhard Jörder nahe, laut der das Theatertreffen »unersetzlich« ist, weil sich Kritiker aus der Provinz, und damit ihre Leser, über die Arbeit in den »Metropolen« informieren können, ohne in Zeiten des allgemeinen Sparzwangs die Reiseetats ihrer Redaktionen überzustrapazieren.

Mit einer solchen »Ersatzöffentlichkeit« allein ließe sich sicherlich weder der enorme organisatorische und finanzielle Aufwand rechtfertigen, den das Theatertreffen Jahr für Jahr bedeutet, noch jener »Zusammenhang zwischen Metropole und Diaspora«, stiften, den Jörder sich weiterhin erhofft - erst recht nicht, wenn, wie in diesem Jahr, die eingeladenen Inszenierungen aus Wien, Zürich, München, Hamburg und Berlin und damit sämtlich aus den wenigen Metropolen stammen, über die der deutschsprachige Raum verfügt. Ähnlich »klassisch« mutet die Auswahl der Regisseure - von Andrea Breth bis Frank Castorf - und der Stücke an, die von Aischylos über Lessing und Ibsen bis zu »Fritz Kater« alias Andreas Kriegenburg reicht.

Darüber, was die Inszenierungen »besonders bemerkenswert« macht, kann jedoch erst der Theaterbesuch Aufschluss geben. Der Vorverkauf hat allerdings schon begonnen. Wer keine Karte mehr ergattert, dem bieten 3Sat, Arte und der Theaterkanal des ZDF ausgiebig Gelegenheit, sich über die »Standortbestimmung des deutschsprachigen Theaters« vor dem Fernseher zu informieren.

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