Und nun das Wintermärchen

Medientagebuch Der Handball kehrt aus der Verbannung zurück: Wie die Medien im Mannschaftssport Partei ergreifen

Euphorische Begeisterung, ausverkaufte Hallen, schwarz-rot-goldene Fähnchen, der Bundespräsident mit Fanschal, Public Viewing, sensationelle Einschaltquoten, spontane Autokorsos, nächtliche Hupkonzerte, Glückwunschtelegramme, Rathausbalkon und Eintrag ins Goldene Buch - die Handballweltmeisterschaft der Männer, die vom 19. Januar bis zum vergangenen Sonntag in Deutschland stattfand, beschwört den Vergleich mit den Ereignissen des letzten Sommers geradezu herauf. Von den Großbildleinwänden bis zu den Schlagzeilen der Zeitungen war zwar alles eine Nummer kleiner, dafür war am Ende das geschafft, "was uns verwehrt blieb", wie der Deutsche Fußball-Bund, namentlich Bundestrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff, dem "lieben Heiner" nach dem dramatischen Viertelfinale faxte: "Gewinnt das Halbfinale und werdet Weltmeister!"

Am vergangenen Sonntag kurz vor 18 Uhr ging dieser Wunsch in Erfüllung - mit ihm ein zweiter, für den weder der Bundestrainer noch sein "liebes Team" zuständig war. Denn wie vom Fax des DFB ein leise drohendes "gefälligst" erging, so schwang im allgemeinen Jubel über den Erfolg eine tiefe Genugtuung mit. Die auf den Nenner zu bringen blieb der Bild-Zeitung überlassen: "Jetzt sind wir Weltmeister" titelte sie am Montag über zwei Zeilen, um in den Zwischenraum ein kleiner gedrucktes "doch noch" zu schieben.

Das "Wintermärchen" als Wiedergutmachung einer unverdienten Schmach, die seit dem Sommer auf der deutschen Seele lastet? - Diese Lesart mag übertrieben sein; fest steht jedoch, dass beim Endspiel, wie die Berliner Zeitung am Montag schrieb, das Gros des Publikums in der Kölnarena "eher Deutschland- als Handball-Experten" war. Penetrantes "Sieg"-Gebrüll und andere Unarten, die vom Fußball im Übermaß bekannt sind, ließen das schon zu Beginn der Finalrunde vermuten. Für das Fernsehpublikum gilt diese Diagnose umso mehr: Wie Umfragen belegen, wusste noch zu Beginn des Turniers kaum jemand in Deutschland, dass es überhaupt stattfindet, und die Spieler-Namen, die heute in aller Munde sind, kannten die Wenigsten. Sollten die Verantwortlichen bei ARD und ZDF zu den Wissenden gehört haben, so konnten sie es gut verbergen. Das belegt jedenfalls ein Blick in die Fernsehzeitung der zu Ende gehenden Woche. Für Sonntag, den 4. Februar, 16:30 Uhr, steht in der Spalte ARD Ratgeber Reise. Gesendet wurde dann doch das Endspiel.

Dass es an diesem Tag zu dieser Uhrzeit beginnen würde, war seit Monaten bekannt. Nicht absehbar - und auf diese Unwägbarkeit wenigstens als Illusion ist der Sport nun einmal zwingend angewiesen - war hingegen, welche Mannschaften sich dafür qualifizieren würden. Trotzdem hatte das öffentlich-rechtliche Fernsehen schon vor Monaten beschlossen, nur die Spiele mit deutscher Beteiligung zu übertragen. Den Umstand, dass die Programmplaner mit dem Finaleinzug des neuen Weltmeisters offensichtlich nicht gerechnet haben, als Ahnungslosigkeit auszulegen wäre jedoch falsch. Damit standen sie beileibe nicht allein, und das eigentliche Versagen ergibt sich ohnehin erst im Umkehrschluss: Hätte die deutsche Mannschaft den Einzug nicht geschafft, wäre das Finale einer Handballweltmeisterschaft im eigenen Lande von ARD und ZDF schlicht nicht gesendet worden.

Dass diese Ignoranz des gebührenfinanzierten Fernsehens einem Vorsatz entspringt, belegt der erneute Blick in die Fernsehzeitung: Für Sonntag, den 4. Februar, steht in der Spalte ZDF eine Dauersportsendung mit Berichten vom Biathlon, Rodeln und Bobfahren, Nordischer Kombination und Skispringen - zwar durchweg Randsportarten, die allerdings Medaillen garantieren. Worüber sich die Fernsehnation ganz besonders freut, wenn sie so emotional geraten wie bei der Biathlon-WM in Antholz, wo mit Magdalena Neuner das Nesthäkchen im deutschen Team gleich zweimal triumphierte. Ihren sonntäglichen Sieg in der Verfolgung kommentierte Christoph Hamm zwar mit wachsender Begeisterung, die jedoch mit Sachkenntnis gepaart und deshalb nie aufdringlich war. Drei Tage zuvor hatte er vom Halbfinale Deutschland-Frankreich berichtet und sich mit Anfeuerungsrufen an die deutschen Spieler begnügt. Damit war er nicht besser oder schlechter als sein Kollege Florian Nass, der im Namen der ARD ungeniert Partei ergriff.

Solche Irrungen haben System, denn mit der Ausnahme Fußball hat sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen schon vor Jahren aus der Berichterstattung über Mannschaftssportarten zurückgezogen. Auch der Handball, nach Zahl der in Vereinen organisierten Aktiven in Deutschland immerhin die Sportart Nummer zwei, ist aus dem Programm verbannt. Dabei gilt die Bundesliga als stärkste Liga der Welt: Fünfzig Prozent der an den WM-Halbfinals beteiligten Spieler sind bei einem der 18 Vereine engagiert. Die regelmäßige Live-Berichterstattung hat das Deutsche Sportfernsehen übernommen, und auch wenn das DSF mit Werbung tüchtig nervt, hat es in Markus Götz und Peter Kohl zwei kompetente Kommentatoren, denen mit Bob Hanning ein renommierter Manager und Trainer zur Seite steht.

Von deren Qualitäten konnte man sich auch bei der WM wieder überzeugen, denn unmittelbar vor Turnierbeginn hatte sich das DSF mit dem Vermarkter Sportfive geeinigt und die Übertragungsrechte für zehn Spiele ohne deutsche Beteiligung erworben. Das Zeug, ein Wintermärchen zu schreiben, hatte vielleicht keines davon. Dafür konnte man aber Mannschaften sehen, gegen die Deutschland gar nicht spielen musste, und dazu gehörte neben Außenseitern wie Marokko auch der amtierende Olympiasieger Kroatien. Und für jemanden, der Handball um des Sportes willen guckt, ist das doch schon mal was.


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